21. Tätigkeitsbericht (1999)



4.2

Polizeibereich

4.2.1

Überblick

Auch 1998 wurden die Befugnisse der Polizei erneut erweitert. Anfang des Jahres wurde durch das "Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" der Große Lauschangriff eingeführt. Damit verliert der Bürger seine letzte räumliche Rückzugsmöglichkeit vor staatlicher Überwachung. Bereits im letzten Jahr (20. TB, Tz. 2.2) hatten wir ausführlich unsere Argumente dargelegt, die wir im Gesetzgebungsverfahren gegen den Großen Lauschangriff vorgebracht hatten. Immerhin ist es aufgrund der von uns unterstützten öffentlichen Proteste gelungen, eine Ausnahme für die aus beruflichen Gründen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen durchzusetzen. So dürfen Gespräche von Geistlichen, Ärzten, Anwälten, Journalisten, Abgeordneten, Drogen- oder Schwangerschaftsberatern auch in Wohnungen Dritter nicht überwacht werden. Auf der Strecke geblieben ist jedoch die Intimsphäre der Familie, für die offenbar keine ausreichende Lobby gegenüber den Strafverfolgungsinteressen mobilisiert werden konnte.

Derzeit wird die Umsetzung der durch Artikel 13 Grundgesetz festgeschriebenen Berichtspflichten der Sicherheitsbehörden über durchgeführte Lauschangriffe vorbereitet. Der Schleswig-Holsteinische Landtag muß ausreichende Informationen über das tatsächliche Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigungen bei allen überwachten Personenkreisen erhalten. Er muß seine parlamentarische Kontrolle so wahrnehmen können, daß eine öffentliche Erörterung der Auswirkungen dieses weitreichenden Eingriffsinstruments möglich ist. Die nichtöffentlich tagende Parlamentarische Kontrollkommission ist dafür nicht geeignet.

Neue, datenschutzrechtlich sensible Fragen wirft der Aufbau einer präventiven Datei "genetischer Fingerabdrücke" beim Bundeskriminalamt, die DNA-Analyse-Datei, auf (vgl. Tz. 4.2.4 ). Gegen die offensichtlich erfolgversprechende Nutzung der Genomanalyse zum Tatnachweis - oder zur Entlastung - bei der Aufklärung von Straftaten ist aus datenschutzrechtlicher Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings hätte das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz an einigen Stellen präziser und enger gefaßt werden müssen. Seine Umsetzung durch das Bundeskriminalamt und in einigen Ländern läßt darüber hinaus befürchten, daß selbst diese Regelungen in der Praxis z. B. durch Einwilligungslösungen umgangen werden und es entgegen rechtsstaatlichen Garantien zu ungewollten Selbstbelastungen "freiwilliger" Probanden kommt.

Die polizeiliche Datenverarbeitungslandschaft steht bundesweit vor einer entscheidenden Neustrukturierung, die sich in dem Projekt INPOL-neu (Tz. 4.2.2) kristallisiert und Auswirkungen auf die gesamte polizeiliche Datenhaltung auch in den Ländern haben wird. Es geht im Grunde um die Ersetzung der einzelnen zu unterschiedlichen Zwecken angelegten polizeilichen Datensammlungen durch ein einheitliches Data-Warehouse-System. Damit droht das Wort Zweckbindung im Polizeibereich weitgehend zum Fremdwort zu werden.

Die bei einigen Polizeidienststellen durchgeführten Kontrollen erbrachten vereinzelte, aber keine gravierenden systematischen Mängel (vgl. Tz. 4.2.6). Offenbar zahlt sich langsam aus, daß die Polizei mit eigenen behördlichen Datenschutzbeauftragten viele Mängel von alleine bereinigt.

4.2.2

INPOL-neu

An der Neugestaltung des polizeilichen Informationssystems INPOL wird seit Jahren gearbeitet. Die Aufnahme des Echtbetriebes von "INPOL-neu" ist schon für das Jahr 2000 geplant. Die entscheidenden Weichenstellungen stehen jedoch noch aus. Der Beratung der datenschutzrelevanten Aspekte dieses Großprojekts kommt für das nächste Jahr deshalb eine besondere Bedeutung zu.

Kerngedanke von INPOL-neu ist das "Data-Warehousing" (vgl. Tz. 7.3). Zu jeder gespeicherten Person soll in einem einheitlichen Datenpool nur ein Personendatensatz bestehen, über den sämtliche auf sie bezogenen Sachverhalte erschlossen werden. Der Informationsumfang und die Recherchemöglichkeiten werden durch neue Funktionen wie "Gesamtauskunft" und "Fallkurzauskunft" sowie durch den umfassenden einheitlichen Fallbereich stark erweitert.

Dabei müssen aus unserer Sicht folgende Anforderungen beachtet werden:

  • Es dürfen nur solche Sachverhalte an das Bundeskriminalamt übermittelt werden, die entsprechend dem Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) länderübergreifende oder erhebliche Bedeutung haben. Personenbezogene Informationen, die diese Kriterien nicht erfüllen, dürfen nicht "vorsorglich" bundesweit zur Verfügung gestellt werden. Auch bei den sogenannten Meldediensten ist diese Relevanzschwelle zu beachten.

  • Die einzelnen Nutzer dürfen nur zum Zugriff auf solche Daten berechtigt werden, die sie für ihren Aufgabenbereich brauchen. Insbesondere bei - noch ungesicherten - "weichen" Daten ist der Kreis der Zugriffsberechtigten zu begrenzen.

  • Die Errichtungsanordnungen für die "logischen Dateien" müssen nach den Erfordernissen des jeweiligen Deliktsbereichs angemessen differenziert sein und dürfen nicht ein größtmögliches, deliktsneutrales Datenprofil erlauben.

  • Das BKAG und noch mehr das schleswig-holsteinische Polizeirecht lassen eine Speicherung der Daten von Opfern und Geschädigten nur in sehr eingeschränktem Rahmen und grundsätzlich nur mit deren Einwilligung zu. Das Datenfeld "Geschädigter" darf also nicht routinemäßig geführt werden.

  • Die Abrufe aus INPOL-neu sind vollständig zu protokollieren, damit neben der Mißbrauchsprävention auch im nachhinein eine wirksame Datenschutzkontrolle möglich ist. Die Nutzung von Protokolldaten zu polizeilichen Zwecken muß besonders genehmigt, dokumentiert und dem zuständigen Datenschutzbeauftragten mitgeteilt werden.

  • Für das künftige technische System der Polizei muß ein hoher technischer Sicherheitsstandard, einschließlich der Verschlüsselung bei der Datenübertragung, selbstverständlich sein.

Die Landespolizei hat sich mit anderen Bundesländern zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, um die technischen Voraussetzungen der Umsetzung von INPOL-neu auf Landesebene vorzubereiten. Wir sind beratend tätig.

Was ist zu tun?
Die Landespolizei muß INPOL-neu, z. B. bei der Vergabe von Nutzerberechtigungen, in datenschutzgerechter Weise umsetzen und beim Anschluß der Landessysteme an die INPOL-Bund-Schnittstelle einen hohen Sicherheitsstandard realisieren.

4.2.3

Landespolizeirecht oder Bundeskriminalamtgesetz

Die Auffassung, wonach für die Einstellung und Pflege von Daten in INPOL-Verbunddateien ausschließlich das Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) gelte, verfestigt sich bei den Innenressorts immer mehr.

Wir haben über die Besorgnis, daß das Landespolizeirecht einem schleichenden Erosionsprozeß ausgesetzt wird, bereits vor Verabschiedung des neu gefaßten BKAG berichtet (vgl. 19. TB, Tz. 4.2.3). Auch der Wissenschaftliche Dienst des Landtages hat in einem Gutachten unsere Position geteilt. Der Innenminister hält jedoch bis heute an seiner Auffassung fest und argumentiert, INPOL könne sich nicht am "kleinsten gemeinsamen Nenner" der Landesgesetzgebung orientieren. Wir verstehen dagegen das föderale Kompetenzgefüge im Polizeirecht weiterhin so, daß für schleswig-holsteinische Datensätze in INPOL das schleswig-holsteinische Landesrecht als Mindestschutzrahmen für den Betroffenen gelten muß. Dies gilt gleichermaßen, wenn Daten an den bundesweiten Informationsverbund oder an EUROPOL übermittelt werden.

Konkret bedeutet dies z. B., daß in INPOL nach den Vorgaben des Landesverwaltungsgesetzes, anders als nach dem BKAG,

  • vorbeugende Datenspeicherungen über Beschuldigte eine Einzelfallprognose voraussetzen,

  • Opfer nur bei Gefahr besonders schwerer Taten mit kurzer Prüffrist abrufbar gespeichert werden dürfen,

  • eine Prüffrist von im Regelfall fünf Jahren gilt.

Der Innenminister kann sich - ausgerechnet zu einer Zeit, in der wegen des Aufbaus weit in die Persönlichkeitssphäre hineingreifender EUROPOL-Dateien eine selbstbewußte Positionsbestimmung der Länder nötig ist - nicht über die Neuorganisation der polizeilichen Datenlandschaft von dem vergleichsweise liberalen schleswig-holsteinischen Polizeirecht verabschieden. Es kann nicht angehen, daß personenbezogene Daten zwar nicht auf Landesebene, wohl aber auf Bundes- oder gar Europaebene gespeichert werden dürfen.

Was ist zu tun?
Das Land sollte seine gesetzgeberischen Kompetenzen verteidigen und das Landespolizeirecht nicht aushöhlen lassen.

4.2.4

Genetischer Fingerabdruck

Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Grundlage für die Erhebung und Speicherung sog. genetischer Fingerabdrücke für die Zwecke künftiger Strafverfahren geschaffen. Auch wenn grundsätzlich einleuchtet, daß Polizei und Justiz die modernen Techniken der DNA-Analyse für die Strafverfolgung nutzen dürfen, muß hier ein hoher Standard für den Persönlichkeitsschutz gelten. Die bundesweiten Ausführungsbestimmungen werden diesem Anspruch noch nicht gerecht.

Im September 1998 ist das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in Kraft getreten. Danach können bei Beschuldigten und Verurteilten die zu ihrer künftigen Identifizierung in Strafverfahren notwendigen genetischen Informationen erhoben, untersucht und beim BKA gespeichert werden. Dies betrifft zwar lediglich die Informationen des sogenannten nicht-codierenden Bereiches der DNA, die nach heutigem Stand der Wissenschaft noch keine Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale oder andere individuelle genetische Dispositionen erlauben. Aufgrund der rasanten Entwicklung - weltweit wird an der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms gearbeitet - kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß künftig auch aus diesen Merkmalen sensible Erbinformationen ableitbar sind. Deshalb darf der genetische Fingerabdruck dem herkömmlichen, daktyloskopisch auszuwertenden Fingerabdruck nicht gleichgesetzt werden. Es bedarf hier strengerer datenschutzrechtlicher Absicherungen.

Die Regelungen im DNA-Identitätsfeststellungsgesetz genügen diesem Anspruch nicht:

  • Der Katalog von Straftaten, bei denen eine DNA-Analyse zur präventiven Speicherung angeordnet werden darf, umfaßt neben Verbrechen und Sexualdelikten u. a. auch Banden- und Einbruchsdiebstähle. Die zusätzliche Öffnungsklausel in Richtung der sonstigen "Straftaten von erheblicher Bedeutung" erscheint sachlich nicht gerechtfertigt und ist zu unbestimmt.

  • Eine nachträgliche Datenerhebung bei Personen, die bereits verurteilt wurden und ihre Strafe möglicherweise bereits abgesessen haben, ist ausdrücklich vorgesehen. Aus Verhältnismäßigkeitsgründen wäre bei Verurteilten jedoch eine Einschränkung des Deliktskatalogs z. B. auf Verbrechen, Sexual- und Körperverletzungsdelikte angebracht gewesen.

  • Der Gesetzgeber hat lediglich auf die allgemeinen Speicherungs- und Verwendungsregelungen im BKAG verwiesen. Hintergrund war eine bereits vor Verabschiedung des Gesetzes vom BKA erlassene Errichtungsanordnung für die DNA-Analyse-Datei, die so durch den Gesetzgeber im wesentlichen "abgesegnet" wurde. Aus unserer Sicht müßte die Nutzung der DNA-Daten durch das BKA und die Übermittlung an andere Behörden auf die Verfolgung oder Verhütung von Straftaten nach dem Katalog des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes begrenzt werden.

  • Außerdem fehlt eine gesetzliche Regelung zum Umgang mit "freiwillig" abgegebenen DNA-Proben. Diese dürften nicht einfach mit den in der DNA-Datei gespeicherten Spuren aus anderen unaufgeklärten Taten abgeglichen werden oder gar selbst zu einer Speicherung in der Datei führen. Geklärt werden müßte vom Gesetzgeber auch, unter welchen Umständen die Untersuchungsergebnisse aus "freiwilligen" Proben zur Belastung eines Verwandten eines Probanden, der sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, genutzt werden dürfen.

Mittlerweile liegt zur Errichtungsanordnung des BKA ein überarbeiteter Entwurf vor. Vorgesehen ist darin entgegen den gesetzlichen Vorgaben:

  • eine präventive Speicherung von DNA-Profilen, die zur Beweisführung in einem Strafverfahren erstellt wurden, ohne daß ein Richter die Prognose möglicher erneuter Begehung schwerer Taten bejaht hat;

  • die Speicherung von DNA-Profilen allein auf Grundlage einer "Einwilligung", also unter Umgehung des richterlichen Entscheidungsvorbehalts, sowie

  • Anfragen an die DNA-Analyse-Datei mit den Personalien einer Person, obwohl allein die Anfrage mit DNA-Identifizierungsmustern dem Zweck der Datei entspricht.

Nach einem Erlaß des Justizministeriums werden bei der gerade angelaufenen Erfassung der genetischen Fingerabdrücke von Gefangenen in schleswig-holsteinischen Justizvollzugsanstalten DNA-Analysen, anders als offenbar in anderen Bundesländern, nicht auf "freiwilliger" Grundlage, sondern nur auf richterliche Anordnung hin durchgeführt. Auch eine Übermittlung aus Strafverfahren vorhandener DNA-Analyse-Daten an die Datei beim BKA setzt nach dem Erlaß eine richterliche Anordnung voraus.

Was ist zu tun?
Der Innenminister sollte sich dafür einsetzen, daß die Errichtungsanordnung des BKA für die DNA-Analyse-Datei den gesetzlichen Vorgaben angepaßt wird.

4.2.5

Schleierfahndung oder nicht?

Während anlaßfreie Personenkontrollen der Polizei nach dem Muster der in anderen Bundesländern eingeführten "Schleierfahndung" in Schleswig-Holstein keine parlamentarische Mehrheit gefunden haben, hat die Verkehrspolizei ein neuartiges Konzept zur Kriminalitätsbekämpfung auf Autobahnen auf der Grundlage von Lagebildern verwirklicht. Dieses stützt sich auf eine Rechtsgrundlage im Landesverwaltungsgesetz zur sog. Razzia an gefährlichen Orten. Hierbei darf allerdings die Grenze zur verdachtsunabhängigen Schleierfahndung nicht überschritten werden.

Im 20. Tätigkeitsbericht (Tz. 4.2.5) haben wir dargelegt, warum wir die gesetzliche Einführung der Schleierfahndung aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten und als Verstoß gegen den "Vertrag von Schengen", wonach gerade ein Abbau von Personenkontrollen stattzufinden hat, abgelehnt haben. An dem Grundsatz, daß ein polizei- oder strafrechtlich relevanter Anlaß bestehen muß, bevor die Polizei jemanden anhalten, durchsuchen oder seine Personalien mit polizeilichen Dateien abgleichen darf, muß sich deshalb auch das im Februar 1998 vorgestellte Konzept des Innenministers zur Einführung verstärkter Autobahnkontrollen zur Kriminalitätsbekämpfung messen lassen. Auf unsere Nachfrage erläuterte uns der Innenminister die wesentlichen Eckpunkte des Konzepts wie folgt:

  • Rechtsgrundlage für die durchgeführten Kontrollen sei die Befugnis zur Identitätsfeststellung "an einem Ort, an dem zu diesem Zeitpunkt Tatsachen für die Verabredung, Vorbereitung oder Verübung von Straftaten oder das Verbergen gesuchter Straftäter sprechen" (§ 181 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LVwG - "Razzia"). Ein Surrogat für weggefallene Grenzkontrollen sei - trotz des von der Verkehrspolizei verwendeten Begriffs der "Ausgleichsmaßnahmen" - nicht beabsichtigt.

  • Die Kontrollen sollen als Gefahrerforschungseingriff nur bei sich häufenden Delikten stattfinden.

  • Es dürfen bei einer solchen "Razzia" nur auffällige Fahrzeuge und Personen angehalten und überprüft werden.

Wir haben, um uns ein Bild von der tatsächlichen Verfahrensweise zu machen, an einer gemeinsamen stationären Autobahnkontrolle zur Kriminalitätsbekämpfung der Polizei, des Bundesgrenzschutzes und des Zolls teilgenommen. Ein datenschutzrechtlich relevantes Überschreiten der polizeirechtlichen Befugnisse der Polizei haben wir dabei nicht festgestellt.

Mit einer verkappten Schleierfahndung sind die "neuartigen Autobahnkontrollen" nach unserer derzeitigen Einschätzung nicht gleichzusetzen. Dennoch ist diese Form der von einer reinen Verkehrskontrolle abzugrenzenden lagebildabhängigen Kontrolle, gemessen an den gesetzlichen Anforderungen an eine "Razzia" nach LVwG, für die Polizei eine Gratwanderung zur Jedermannkontrolle: Das zugrundeliegende Lagebild muß so aussagekräftig sein, daß die kontrollierten Personen an dem betreffenden Ort und zur Zeit der Kontrolle hinreichenden Anlaß für einen Gefahrerforschungseingriff bieten. Es müssen zudem die gesonderten Rechtsgrundlagen für Datenabgleiche, Durchsuchungen oder weitere Maßnahmen gegenüber jedem betroffenen Fahrzeuginsassen beachtet werden. Wenn dies der Fall ist, kann gegen eine Nutzung der verkehrspolizeilichen Ressourcen für die Bekämpfung von Kriminalität aus unserer Sicht nichts eingewandt werden.

Was ist zu tun?
Die Polizei muß bei den neuen Autobahnkontrollen zur Kriminalitätsbekämpfung in jedem Einzelfall sicherstellen, daß sich aus dem Lagebild ausreichende Anhaltspunkte für die Eingrenzung auf potentielle Störer und künftige Straftäter ableiten lassen.

4.2.6

Prüfungen bei Polizeistationen

"Angemeldete Unangemeldete Kontrollen" (AUK) bei einigen Polizeistationen ergaben einen recht guten Datenschutzstandard. Auf festgestellte Detailmängel reagierte die Polizei prompt.

Bei den Prüfungen im Bereich der Polizeidirektion Süd ging es schwerpunktmäßig um die Datensicherheit in den Polizeistationen (vgl. zur AUK Tz. 4.12 ). Wir haben aber auch stichprobenweise kontrolliert, ob für die personenbezogenen Unterlagen die Aufbewahrungsfristen eingehalten und ob mehr Daten als zulässig und erforderlich gespeichert wurden.

Dabei stießen wir auf Defizite der folgenden Art:

  • Teilweise konnten Besucher im Wachraum den Polizeifunk, über den sensible personenbezogene Daten abgefragt und übermittelt werden, durch die dort aufgestellte Funksprechanlage mithören.

  • In einigen Einsatzdokumentationen (Einsatzberichte, Vorgangsdurchschriften, Gewahrsamsbuch) fanden sich Ausdrucke aus Dateien wie PED und ZEVIS, deren Aufbewahrung über den Zeitpunkt der aktuellen Sachbearbeitung hinaus nicht erforderlich und auch nicht statthaft war, da auf diese Weise zwischenzeitliche Datenlöschungen unwirksam würden.

  • In einem Gewahrsamsbuch befanden sich detaillierte medizinische Daten.

  • In einer Station fanden wir "Übernachtungsbescheinigungen" für eine städtische Obdachlosenunterkunft. Sie mußten von den Betroffenen auf Veranlassung der Stadt vor der Aufnahme in die Unterkunft beigebracht werden. In ihnen bestätigte die Polizei nach Abgleich der Personalien mit der PED, keine Bedenken gegen eine Übernachtung der Person zu haben. Für dieses Verfahren gab es beim besten Willen keine Rechtsgrundlage!

  • Einzelplatz-PC wurden ohne die erforderliche Dokumentation, Nachweis im Geräteverzeichnis, Verfahrensbeschreibung, Test und Freigabe der eingesetzten Verfahren genutzt.

Diese Mängel wurden von den betreffenden Dienststellen in Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion umgehend behoben.

Was ist zu tun?
In allen Polizeidienststellen des Landes sollte geprüft werden, ob vergleichbare Mängel vorliegen. Gegebenenfalls sollten sie umgehend abgestellt werden.

4.2.7

ZEVIS-Abfrage mit schwerwiegenden Folgen?

Ein gezielter Mißbrauch der Daten von Kfz-Haltern aus ZEVIS zu privaten Zwecken ist bei der Polizei derzeit nicht in jedem Falle über die Protokollierung und Dokumentation von Abfragen aufklärbar. Ein Petent wurde möglicherweise Opfer eines solchen Mißbrauchs.

Bei einer Auseinandersetzung zwischen zwei Pkw-Fahrern hatte sich einer der beiden demonstrativ die Kfz-Nummer des anderen aufgeschrieben und Konsequenzen angedroht. Kurz darauf wurden am Fahrzeug des Petenten vor seiner Wohnung die Reifen zerstochen und der Lack mit Säure zerstört. Seine Familie war wochenlang Drohanrufen ausgesetzt. Eine Überprüfung ergab, daß in der Zeit zwischen dem Vorfall und der Beschädigung bzw. dem Beginn der Drohanrufe die Personalien und Anschrift des Petenten über eine Kfz-Halterabfrage an das Kraftfahrt-Bundesamt von der Datenstation einer Polizeidirektion telefonisch an ein Polizeirevier übermittelt worden waren.

Wozu die Abfrage erfolgte, ließ sich aufgrund von Erinnerungslücken des anfragenden Beamten und fehlender schriftlicher Aufzeichnungen bei seiner Dienststelle nicht mehr klären. Die Polizei räumte ein, es sei nach dem praktizierten Verfahren nicht ausgeschlossen, daß ein unbefugter Kollege die telefonische Anfrage an die Datenstation unter dem Namen eines Polizeibeamten vorgenommen hat. Demzufolge war es bislang weder möglich, dem in der technischen Protokollierung erfaßten Beamten einen eklatanten Datenmißbrauch nachzuweisen, noch ihn vollständig von einem dahin gehenden Verdacht zu entlasten. Ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Nach den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes und der Fahrzeugregisterverordnung findet im Kraftfahrt-Bundesamt und bei der Datenzentrale eine automatische Protokollierung sämtlicher Abrufe aus dem Zentralen Verkehrsinformationssystem (ZEVIS) statt. Trotzdem stehen der gesetzlich geforderten Möglichkeit einer nachträglichen Rechtmäßigkeitsprüfung folgende Dokumentationslücken entgegen:

  • Bei telefonischen Anfragen wird die Identität des Anfragenden nicht überprüft; nur bei Zweifeln erfolgt ein Rückruf. Es ist also möglich, durch falsche Namensnennung Spuren zu verwischen und unter Umständen Polizeibeamte erheblich zu belasten. Das Mißbrauchsrisiko könnte nach unserer Auffassung zumindest gesenkt werden, wenn bei der Datenstation zusätzlich die Dienstausweisnummer des Anrufenden registriert würde.

  • Es wird nicht in allen Bereichen der polizeilichen Sachbearbeitung verlangt, daß zu einer Anfrage an ZEVIS ein schriftlicher Vorgangsnachweis in der Form einer Tätigkeitsbucheintragung existiert, über den sich im nachhinein feststellen läßt, ob ein berechtigter Grund für die Anfrage vorlag. Die fehlende Erinnerung des Beamten an einen konkreten Vorgang als Abfragegrund bedeutet ohne solchen Nachweis derzeit bereits das Ende der Fahnenstange einer datenschutzrechtlichen Kontrolle. Deshalb unsere Forderung: keine Anfrage aus Polizeidienststellen ohne zugrundeliegenden Vorgangsnachweis! Ausnahmen sollten allerdings für besondere Tätigkeitsbereiche - z. B. Kontrollen auf der Straße - gelten, wo schriftliche Nachweise nicht immer geführt werden können.

Unsere Beanstandung im Falle des Petenten will die Polizei aber nicht zum Anlaß nehmen, unsere praktikablen Vorschläge zur Verbesserung des Verfahrens umzusetzen. Er hält die derzeitige Protokollierung für ausreichend. Ein Ergebnis, das wir dem Betroffenen nicht verständlich machen konnten.

Was ist zu tun?
Der Innenminister muß Konsequenzen aus diesem Fall ziehen und durch geeignete Verfahrensvorkehrungen seine datenschutzrechtliche Verpflichtung umsetzen, eine zweifelsfreie Nachvollziehbarkeit der Rechtmäßigkeit von ZEVIS-Abfragen zu gewährleisten.

4.2.8

Evaluierung polizeilicher Befugnisse - Verwaltungsfachhochschule Altenholz startet ein Untersuchungsprojekt

Bereits vor einigen Jahren hat das Innenministerium zugesagt, die Erforderlichkeit und Wirksamkeit polizeilicher Eingriffsbefugnisse einer objektiven Evaluierung zu unterziehen. Dies ist aber aus Haushaltsgründen nicht erfolgt. Nun wird ein entsprechendes Projekt durch die Verwaltungsfachhochschule in Altenholz realisiert.

Das Innenministerium hat nunmehr bei der Verwaltungsfachhochschule ein Gutachten in Auftrag gegeben, das in einem repräsentativen Umfang abgeschlossene Strafverfahren, in denen besonders tiefgehende Eingriffsbefugnisse durch Polizei und Staatsanwaltschaft angewandt wurden, untersuchen soll (vgl. 19. TB, Tz. 10.4). Analysiert werden soll z. B.

  • der Umfang von Telefonüberwachungen und die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen im Hinblick auf die Anzahl der in ihren Grundrechten betroffenen Personen, die Dauer des Eingriffs sowie die betroffenen Räumlichkeiten (Privatwohnungen oder Geschäftsräume),

  • die hierdurch gewonnenen beweisrelevanten Ergebnisse und

  • die denkbaren alternativen Vorgehensweisen.

Es sollen aber auch Aussagen darüber getroffen werden, ob die vorhandenen Rechtsgrundlagen der Polizei sinnvolle Handlungsmöglichkeiten bieten oder ob sie den Ermittlungserfolg im Einzelfall gemindert haben.

Sinn und Absicht des Projekts ist es nicht, die oft mühevolle Arbeit von Ermittlern in den jeweils untersuchten Strafverfahren im nachhinein "auseinanderzunehmen". Vielmehr soll eine fundierte Aussage zur Frage erarbeitet werden, wie sich das in den letzten Jahren stark angewachsene Instrumentarium der Polizei in der Praxis auf die Grundrechte von Beschuldigten und dritten Personen auswirkt. Diese Fragestellung unterscheidet das schleswig-holsteinische Projekt von der Rechtstatsachensammelstelle des BKA. In der Konsequenz der Untersuchung sollten Befugnisse, die sich nicht bewährt haben, gegebenenfalls wieder gestrichen werden. An der Durchführung des Projektes werden wir seitens des Innenministeriums beteiligt. Man bemüht sich auch um eine Kooperation mit anderen Bundesländern, um zu repräsentativeren Aussagen zu gelangen. Erste Ergebnisse sollen Ende 1999 vorliegen.

Was ist zu tun?
Justiz und Polizei sollten das Vorhaben durch das Bereitstellen der erforderlichen Informationen unterstützen.

4.2.9

Polizeifunk für alle?

Bei der Schaffung eines allgemeinen Informationszugangsrechts ist die Polizei anderen staatlichen Stellen mehr oder weniger freiwillig einige Schritte voraus. Das Abhören des Polizeifunks ist mittlerweile ohne Kosten und Mühen für jedermann möglich und erfreut sich offenbar größter Beliebtheit. Mit Bestrafung muß man kaum rechnen.

Seit jeher stellt es für ehrgeizige Funkamateure eine echte Herausforderung dar, Geräte zu bauen, mit denen sich der Polizeifunk und anderer behördlicher Funkverkehr abhören läßt. Zu dem erforderlichen technischen Wissen kam aber bislang das Risiko der Strafbarkeit. Bereits der Beginn des Zusammenbaus wurde als strafbarer Versuch angesehen, eine Fernmeldeanlage zu errichten. Verkäufer solcher Geräte mußten damit rechnen, daß Polizeibehörden zur Abwehr von Gefahren die Geräte sicherstellten und einzogen.

Im Jahr 1992 kam es dann allerdings durch eine Vorgabe der EG zu einer Aufweichung der Rechtsvorschriften. Danach war der Besitz der Abhörgeräte nicht mehr strafbar. Die fortschreitende Computertechnik tat ein übriges. Heute sind sogenannte Scanner, mit denen sich der Funkverkehr der Polizei, der Rettungsdienste und anderer Stellen aufspüren läßt, bereits für ca. 40 DM erhältlich. Es gibt umfangreiche Spezialliteratur inklusive regelmäßig erscheinender Zeitschriften zu dem Thema; der Handel hält sogar CD-ROMs bereit, die die Frequenzbänder des Funkverkehrs unterschiedlicher Behörden, z. B. der Polizeidienststellen verschiedener Städte, nachweisen.

Wir haben bereits im 15. Tätigkeitsbericht (Tz. 6.2.4) und im 16. Tätigkeitsbericht (Tz. 4.1.3.5) auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam gemacht und verlangt, daß die Polizeibehörden ihren Funkverkehr in verschlüsselter Form abwickeln. Wenn schon erstaunlicherweise kein operatives Problem darin gesehen wird, daß fast der gesamte Funkverkehr der Polizei abgehört wird und dadurch z. B. Pressevertreter häufig vor der Polizei am Einsatzort eintreffen, ist jedenfalls zur Wahrung des informationellen Selbstbestimmungsrechts die Abschottung der behördlichen Kommunikation vor privater Neugier geboten. Die Ausführungen im 16. Tätigkeitsbericht haben weiterhin Gültigkeit: "Für Polizei und Rettungspersonal ist die Beschäftigung mit Menschen und Personalien alltägliche Praxis. Mit Hilfe des Funkgerätes wird überprüft und berichtet, z. B. wer Halter eines Fahrzeugs ist, ob jemand gesucht wird, wo ein Betroffener wohnt und vieles andere mehr. So wandern zwangsläufig brisante Informationen zumindest in Auszügen durch den Äther. Vom Einsatzort wird gemeldet, was mit Betroffenen geschehen ist (z. B. Festnahme, Blutprobe, Anzeige, Einlieferung in das Krankenhaus mit Diagnose), welcher Ehestreit zu schlichten war, wer wen geschlagen hat usw." Bei unverschlüsselter Übermittlung kann ein Betroffener fast sicher sein, daß er z. B. bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle, bei der seine Halterdaten über Funk mit dem Register abgeglichen werden, zur Unterhaltung einiger "Funkamateure" beiträgt.

Bis vor kurzem konnte der Gesetzgeber noch darauf verweisen, daß das Telekommunikationsgesetz eine Vorschrift enthält, durch die das unerlaubte Abhören des Funkverkehrs unter Strafe gestellt wird. Nach § 86 Satz 1 TKG dürfen nämlich mit einer Funkanlage solche Nachrichten nicht abgehört werden, die für die Funkanlage nicht bestimmt sind. Allerdings haben zwei strafgerichtliche Entscheidungen aus jüngerer Zeit gezeigt, daß die Vorschrift im wesentlichen leerläuft. Nach dieser Rechtsprechung muß nämlich der Täter auf frischer Tat angetroffen werden. Außerdem muß dem benutzten Gerät anzusehen sein, daß es nicht zum Abhören bestimmter Funkverkehre eingesetzt werden darf.

Polizei wie Bürger müssen also offenbar weiter damit leben, daß die Übertragung von personenbezogenen Daten über den Polizeifunk quasi öffentlich stattfindet. Erst für die Zeit zwischen 2002 und 2008 ist bei der schleswig-holsteinischen Polizei die Einführung eines digitalen Funksystems geplant, bei dem dann auch die Möglichkeit der Verschlüsselung besteht. Die Verschlüsselung des zur Zeit eingesetzten analogen Funkverkehrs ist nach Aussage der Verantwortlichen zu teuer und zudem technisch relativ leicht zu überwinden. Diese Sorglosigkeit gerade der Sicherheitsbehörden überrascht, wird doch sonst bei vielen Gelegenheiten Klage über all das geführt, was der Polizei bei ihrem Kampf gegen das Verbrechen (vermeintlich oder tatsächlich) im Weg steht.

Was ist zu tun?
Die für die Ausrüstung der Polizei verantwortlichen Stellen sollten sich zum Schutz personenbezogener Daten und im Interesse der operativen Sicherheit endlich dazu durchringen, den polizeilichen Funkverkehr durch Verschlüsselungstechniken zu schützen. Außerdem muß geprüft werden, ob § 86 Telekommunikationsgesetz in seiner jetzigen Form als Strafvorschrift ausreicht.


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