19. Tätigkeitsbericht (1997)



4.2

Polizei

4.2.1

Prüfung beim Staatsschutz


Schneller als der Polizei erlaubt speicherte der Staatsschutz personenbezogene Daten. Nach einer datenschutzrechtlichen Querschnittsprüfung sind umfangreiche Bereinigungsaktionen im Gange.

Eine systematische Kontrolle im Dezernat für Staatsschutzdelikte des Landeskriminalamtes (LKA) hat gezeigt, daß es in diesem Bereich polizeilicher Datenverarbeitung noch erhebliche Umsetzungsdefizite des 1992 neugefaßten Landesverwaltungsgesetzes (LVwG) gibt. So kam stellenweise eine Auslegung der Vorschriften zutage, die sich weder mit dem Wortlaut der Normen noch mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang bringen läßt. Anders als der Verfassungsschutz nach dem Landesverfassungsschutzgesetz besitzt der polizeiliche Staatsschutz keine Vorfeldkompetenz zur Beobachtung politisch motivierter Gruppierungen oder Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Seine Aufgabe ist dieselbe wie die der übrigen Polizei: Straftaten aufklären und konkrete Gefahren abwehren.

Wir haben deshalb eine Reihe von Beanstandungen ausgesprochen und auf die strikte Aufgabentrennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz hingewiesen. Im einzelnen war folgendes zu kritisieren:

Personenakten und Kartei "Innere Sicherheit"

Im Bereich "Innere Sicherheit" werden Informationen über Staatsschutzdelikte in Personenakten und in der dazugehörigen Kartei "Innere Sicherheit" gespeichert. Für die Einordnung als ein Staatsschutzdelikt reicht der politische Bezug einer Straftat allein noch nicht aus. Vielmehr setzt dies ein besonderes Gewicht der Tat und eine Gefährdung von Rechtsgütern der freiheitlich demokratischen Grundordnung voraus.

Auch für diese Datenbestände müssen die Regelungen, wie sie im Landesverwaltungsgesetz (§ 189), in den KpS-Richtlinien und in der KA-Regelung festgeschrieben sind, Anwendung finden. Dementsprechend dürfen sie nur die für eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten wesentlichen Informationen enthalten. Die von uns geprüften 56 Personenakten standen fast durchgehend nicht im Einklang mit diesen Anforderungen.

Beispiele:

  • Eine Gruppe von zehn Jugendlichen stieß vor einer Kneipe zwei Blumenkübel um. Einer der Jugendlichen soll "Sieg Heil" gerufen haben, wer, ließ sich aus dem dazugehörigen Vorgang nicht feststellen. Dennoch wurden zu allen zehn Jugendlichen Personenakten angelegt. Die Namen und ein Vermerk über den Vorfall wurden an die Landesverfassungsschutzbehörde und das Bundeskriminalamt übermittelt.

  • Im Frühjahr 1995 kam es in Westerland/Sylt zu sogenannten "Chaos-Tagen", bei denen eine mit der Bahn angereiste Menge erhebliche Sachbeschädigungen begangen hat. 99 Personen wurden erkennungsdienstlich behandelt. Die Unterlagen wurden nach der Einstellung des Verfahrens vernichtet. In dem dazugehörigen Ermittlungsvorgang findet sich folgender Vermerk des LKA: " ... Der Tatverdacht des Landfriedensbruchs konnte gegen keinen der Verdächtigen aufrechterhalten werden." Dennoch wurden sämtliche aus Schleswig-Holstein stammenden Teilnehmer mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs (zumeist erstmalig) gespeichert.

  • Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz hat ein Polizeipräsidium eines anderen Bundeslandes eine umfangreiche Auflistung mit den Personalien von ca. 250 Personen übersandt. Dies war verbunden mit der Bitte, soweit Zuständigkeit bestehe, die angegebenen Wohnadressen zu überprüfen und ggf. eigene Erkenntnisse zu diesen Personen zu übermitteln. Zu neun Personen aus Schleswig-Holstein wurden aufgrund dieser Anfrage Personenakten angelegt, obwohl weitere Erkenntnisse nicht vorlagen.

Zu diesen Beispielen ist anzumerken: Speicherungen zu einer Person sind nur dann zulässig, wenn sich ein tatsächlicher Verdacht ihrer strafrechtlichen Beteiligung ergibt (vgl. § 189 LVwG). Bei Verfahrenseinstellungen ist eine Weiterspeicherung auf präventiver Grundlage nur möglich, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Täterschaft durch die Unterlagen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei belegt sind. Dies war den geprüften Akten nicht zu entnehmen.

Datenspeicherungen wegen vermuteter künftiger Straftaten

Hierbei geht es um die Möglichkeit, wegen eines vermuteten künftigen Verbrechens oder möglichen gewerbs- oder gewohnheitsmäßigen Vergehens, Daten über die hieran möglicherweise beteiligten Personen eigens zu erheben. Nach dem Landesverwaltungsgesetz (§ 179 Abs. 2) müssen in jedem Einzelfall Tatsachen vorliegen. Allgemeine Erfahrungssätze ohne Bezug zum jeweiligen Geschehen sind nicht ausreichend.

Die Speicherpraxis des Staatsschutzdezernates ging bislang in vielen Fällen an den präzisen Kriterien dieser Vorschrift vorbei. Sie wurde vielmehr als "Auffangnorm" benutzt, wenn sonstige Rechtsgrundlagen für Speicherungen nicht vorlagen. Insbesondere traf dies bei Daten über die Mitgliedschaft und die Aktivitäten von Personen in politischen bzw. extremistischen Vereinigungen und Bestrebungen zu. Da es sich hierbei um eine dem Verfassungsschutz zugewiesene Vorfeldarbeit handelte, die der Gesetzgeber der Polizei gerade nicht eröffnen wollte, war diese Datenverarbeitungspraxis zu beanstanden.

Beispiele:

  • Zwölf Personen waren als "Mitglied einer als gewaltorientiert eingeschätzten ausländischen Organisation" gespeichert. Dem dazugehörigen Vorgang des Bundeskriminalamtes war hingegen zu entnehmen, daß "Hintergründe dieser Verbindungen bisher nicht konkretisiert werden konnten und nicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens führten".

  • Im Zusammenhang mit Ermittlungen zu einem Brandanschlag wurde vom Verfassungsschutz eine Liste von Anhängern bzw. Sympathisanten von Ausländerorganisationen übermittelt. Obwohl nach den ausdrücklichen Feststellungen der Verfassungsschutzbehörde zu den in der Liste genannten Personen keine Hinweise auf ihre mögliche Tatbeteiligung vorlagen und auch die Ermittlungen keine Anhaltspunkte für ein polizeilich relevantes Verhalten ergaben, wurde zu jeder Person eine Personenakte angelegt.

Unzulässige Vorratsdatenhaltung

In erheblichem Umfang wurden auch Daten über die persönlichen Lebensumstände über die Teilnahme an nicht verbotenen Versammlungen, Veranstaltungen, Aufrufen, Telefonaktionen der Medien sowie über die bei bestimmten Ereignissen festgestellten Kraftfahrzeuge in Personenakten gespeichert.

Beispiele:

  • In einer Personenakte befand sich die Kopie des Personalausweises einer dritten Person. Sie hatte ihn vermutlich bei einer Gerichtsverhandlung gegen die Person, über die die Personenakte geführt wurde, verloren. Diese Registrierung der Teilnahme an der Gerichtsverhandlung verstieß nicht nur gegen die Persönlichkeitsrechte der Besucher, sondern auch gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit des Strafverfahrens.

  • In Form von Vermerken wurde zu einer Person, die in der Bundesrepublik bislang nicht durch strafrechtlich relevantes Verhalten aufgefallen war, gespeichert, daß sie mit einer minderjährigen Tochter in eine schleswig-holsteinische Stadt verzogen war. Es folgten Details über die Einschulung der Tochter, Vermerke über den Beginn einer Berufsausbildung und die Ausbildungsstätte der gespeicherten Person. Gespeichert war sogar, daß sie auf einem Weihnachtsmarkt an einem Stand Porzellanfiguren verkaufte und daß sie ein zweites Kind geboren hatte. Die Personalien ihres ständigen Lebensgefährten waren ebenfalls erfaßt.

  • Zu einer Person fand sich ein Vermerk, in dem die Vermutung geäußert wurde, sie und eine Begleitperson seien lesbisch. Darüber hinaus waren bei dem Arbeitgeber Daten über ihre Ausbildung und ihren Arbeitsplatz erhoben worden.

Das polizeiliche Datenverarbeitungsrecht sieht allerdings eine Schwelle für die Verarbeitung von Daten aus dem persönlichen Umfeld polizeibekannter Personen vor. Demnach kommt die Speicherung von "ergänzenden Erkenntnissen" nicht schon dann in Betracht, wenn solche Erkenntnisse einmal potentiell "nützlich" sein könnten, sondern nur, wenn sie selbst gefahren- oder verdachtsbegründend sind.

Daten über dritte Personen

In den Personenakten fanden sich zudem eine Vielzahl von Daten über dritte Personen, die zu der in der Akte gespeicherten Person bzw. dem dort festgehaltenen Ereignis in Beziehung standen (z.B. als Familienangehörige, Halter der von den gespeicherten Personen mitgenutzten Kraftfahrzeuge, Vermieter, Begleitpersonen, Hinweisgeber, Mittäter, aber auch als Personen, die sich zufällig im Umfeld der gespeicherten Person aufgehalten haben).

Dies kann sachlich nur gerechtfertigt sein, wenn es für die Bewertung der gespeicherten "Hauptperson" und des Sachverhaltes unerläßlich ist. In vielen Fällen wurden diese Grundsätze nicht beachtet.

Beispiele:

  • In einer Personenakte wurden alle Eigentümer des von der gespeicherten Person gepachteten Restaurants namentlich, teilweise mit ihren Beschäftigungsstellen, genannt.

  • Zu einer Person wurden Fernschreiben abgeheftet, aus denen sich Daten von möglichen Begleitpersonen, Kfz-Haltern, Vorbesitzern von genutzten Kfz, eines Wohnungsvoreigentümers, des Rechtsanwaltes eines anderen Häftlings sowie Angehöriger anderer Mitgefangener ergaben.

Prüffristen

Die gesetzlich angeordneten Prüffristen für Personenakten wurden vielfach nicht korrekt festgesetzt:

  • Sie wurden gar nicht oder falsch vergeben.

  • Es war nicht sichergestellt, daß die gesetzlichen Höchstgrenzen für Datenspeicherungen auch tatsächlich beachtet wurden.

  • Gründe, die die Festlegung einer neuen Prüffrist zur Folge hatten, waren nicht in der Personenakte notiert.

Speicherungen in der "Arbeitsdatei PIOS - Innere Sicherheit" (APIS)

In der Datei APIS werden "klassische" Staatsschutzdelikte, wie Hochverrat, verbotene Parteibetätigung, Sabotage, aber auch andere Delikte wie Sachbeschädigungen, Körperverletzungen oder Beleidigungen bundesweit erfaßt, wenn beim Täter eine extremistische Motivation erkennbar wird.

In Schleswig-Holstein sieht die Errichtungsanordnung des Innenministers vor, daß stets zu prüfen ist, ob eine Speicherung in dieser bundesweiten Datei verhältnismäßig ist. Bei der Erfassung "anderer Straftaten" mit politischer Motivation ist stets die Schwere und die überörtliche Bedeutung der Tat ausschlaggebend.

Eine stichprobenhafte Überprüfung der Speicherungspraxis zeigte einen weitgehend korrekten Umgang mit diesen personenbezogenen Daten. Auf unsere Anregung werden künftig alle in APIS eingestellten Vorgänge auch in der jeweiligen Personenakte dokumentiert.

Lichtbildkartei

Im Zeitpunkt der Prüfung umfaßte die Lichtbildkartei Fotos von insgesamt 320 Personen. Das Material datierte zu einem großen Teil bis in die 70er bzw. 80er Jahre zurück. In den betreffenden Personenakten war das Vorhandensein von Lichtbildern nicht vermerkt, so daß bei ihrer Vernichtung die Lichtbilder unzulässigerweise gespeichert bleiben.

Ein weiterer häufig anzutreffender Dokumentationsmangel dieser Lichtbildkartei war, daß eine hinreichende Beschriftung der einzelnen Lichtbilder und Negative selbst nicht existierte. So enthielt ein Lichtbildumschlag 51 Reproduktionen eines Lichtbildes, die gänzlich unbeschriftet waren. Gefunden wurden auch Lichtbilder, obwohl in der Personenakte ausdrücklich vermerkt war: "Fotos zur Person nicht vorhanden."

Bei einer derartigen Dokumentation war es dann keine besondere Überraschung, als wir zu einer Person Lichtbilder aus einer erkennungsdienstlichen Behandlung vorfanden, obwohl das Landeskriminalamt im Rahmen einer Eingabe dieser Person zuvor schriftlich bestätigt hatte, es liege kein erkennungsdienstliches Material mehr in Schleswig-Holstein vor.

Datenspeicherungen über gefährdete Personen

Daten über gefährdete Personen, aber auch über Personen, von denen Gefährdungen ausgehen können (Gefährder), werden in Gefährdeten- und Gefährderakten sowie einer speziellen Datei vorgehalten.

Auffällig war, daß zwischen dieser Datei und der Aktensammlung keine Kongruenz bestand, so daß keine Datensammlung für sich vollständige Auskunft über den jeweiligen Datenbestand dieser Personengruppen geben konnte. Darüber hinaus war der Aktenbestand stark veraltet, weil wegen mangelnder Prüffristenüberwachung bislang keine Aktualisierung erfolgte.

Die Speicherung von Daten in einer Gefährdetenakte ist zudem nur nach vorheriger Aufklärung des Betroffenen und mit seiner schriftlichen Einwilligung zulässig, sofern nicht eine unmittelbare, konkrete Gefahr vorliegt. Bei einer Vielzahl der Gefährdetenakten fehlte diese schriftliche Einwilligungserklärung.

Außerdem befanden sich in den Akten in beträchtlichem Umfang Daten über dritte Personen, die bei der Überprüfung möglicherweise gefährdungsrelevanter Sachverhalte einmal festgestellt worden waren. Offensichtlich wurde für diesen Personenkreis keine ordentliche Datenpflege mit regelmäßigen Prüfungen hinsichtlich der Erforderlichkeit ihrer Weiterspeicherungen durchgeführt.

Beispiele:

  • Die Personalien und Kraftfahrzeugdaten eines Schornsteinfegers wurden gespeichert, weil dieser bei Messungen sein Auto regelmäßig entlang der Anfahrtsroute einer gefährdeten Person geparkt hatte.

  • In einer anderen Gefährdetenakte waren Mitmieter dieser gefährdeten Person ebenso gespeichert wie Halter von Kraftfahrzeugen, die in der Nähe des Betriebes der gefährdeten Person parkten. Erfaßt waren auch ein Landwirt, der an einer Treibjagd teilgenommen hatte, ein Betriebsangehöriger, der auf dem Betriebsgelände fotografiert hatte, aber auch Lieferanten des Gefährdeten.

Häftlingsüberwachung

Nach geltender Rechtslage besitzt nur der Leiter der Justizvollzugsanstalt (bei Untersuchungshaft nur ein Haftrichter) die Kompetenz, eine Überwachung der Besuche und des Schriftwechsels mit Gefangenen anzuordnen. Er kann sich bei der Überwachung der Amtshilfe durch die Polizei bedienen.

Die Prüfung zeigte, daß die Praxis der Polizei dem allerdings nicht entsprach. Die Besuchsüberwachung wurde nämlich eigenständig von der Polizei durchgeführt, ohne daß weitere Entscheidungen durch den Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) getroffen wurden. Das vom anwesenden Polizeibeamten aufgrund seiner Notizen gefertigte Besuchsprotokoll verblieb beim Landeskriminalamt und wurde zeitgleich an die JVA und an andere polizeiliche Dienststellen gesandt. Eine vorherige Sichtung und Relevanzprüfung im Hinblick auf den eigentlichen Überwachungszweck durch den Leiter der JVA fand offensichtlich nicht statt.

Die Besuchsprotokolle enthielten in vielen Fällen Informationen, deren Erforderlichkeit im Hinblick auf den Zweck der Datenerhebung nicht nachvollziehbar war.

Entgegen der anläßlich einer früheren Prüfung (vgl. 16. TB, Tz. 4.3.3) gegebenen Zusicherung des Justizministeriums, wonach "die Weitergabe von Kopien von Briefen an das Kriminalpolizeiamt gemäß ausdrücklicher Weisung seit vielen Jahren, insbesondere seit Inkrafttreten datenschutzrechtlicher Bestimmungen in Schleswig-Holstein, nicht mehr praktiziert" werde, fanden sich in den polizeilichen Unterlagen zur Häftlingsüberwachung mehrere Kopien von Briefen an Häftlinge, die von der JVA an das Landeskriminalamt weitergegeben worden sind, das wiederum Kopien an das Bundeskriminalamt und den Polizeipräsidenten eines anderen Bundeslandes übermittelte.

Unter anderem fanden wir Briefe, in denen höchstpersönliche Angaben enthalten waren, beispielsweise einen 19seitigen Brief, der einen Abriß über die Kindheit des Absenders, seinen politischen Werdegang, aber auch seine sexuelle Orientierung wiedergab. Wir haben ihre Vernichtung verlangt. Da diesen Briefen Anhaltspunkte für Straftaten nicht zu entnehmen waren, stellte ihre Weitergabe und Speicherung in den polizeilichen Unterlagen nämlich einen unzulässigen, tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Absenders dar.

Die Reaktion des Innenministers
Der Innenminister hat auf den Prüfbericht schnell und in der Sache angemessen reagiert. Inzwischen sind 169 von insgesamt 206 beanstandeten Einzelfällen bereinigt. Der Datenbestand zu den verbliebenen 37 Einzelbeispielen war zunächst vorsorglich gesperrt worden, da hierzu noch Erörterungsbedar f mit uns gesehen wurde.

Auch hinsichtlich der rechtlichen Bewertung dieser Fälle ist zwischenzeitlich weitgehender Konsens erzielt worden, so daß nunmehr eine Bereinigung des gesperrten Datenbestandes zu erwarten ist. Ein weiteres Ergebnis der Besprechung ist, daß die Speicherung künftig nach klareren Kriterien erfolgen soll, die nachvollziehbar dokumentiert werden. Lediglich einige Detailfragen zu Datenerhebungen und -speicherungen bedürfen nun noch der Klärung. Die Häftlingsüberwachung wird in Abstimmung mit dem Justizministerium neu geregelt.

Auch außerhalb des geprüften Bereiches ist inzwischen mit umfangreichen Bereinigungsarbeiten begonnen worden.



4.2.2

Prüfung einer Polizeiinspektion


Bei der Prüfung einer Polizeidienststelle erwies sich einmal mehr die Art und Weise der Führung der Kriminalakten als wesentlicher Kritikpunkt.

Bei einer datenschutzrechtlichen Querschnittsprüfung in einer Polizeiinspektion konnten wir Qualitätsunterschiede bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten in den einzelnen Organisationseinheiten feststellen:

  • Einsatzleitstelle

    Alle bei der Einsatzleitstelle unter den Notrufnummern 110 und 112 eingehenden Telefonanrufe wurden automatisch aufgezeichnet und die Tonbänder circa zwei Monate aufbewahrt. Anrufer, die zum Ausdruck brachten, daß sie eine Telefonaufzeichnung nicht wünschten, wurden auf die Möglichkeit hingewiesen, sich unter einer anderen Telefonnummer bei der Polizeidienststelle zu melden. Dieses Verfahren war nicht zu beanstanden.

    Die den Funkstreifen bekanntgewordenen oder mitgeteilten Sachverhalte wurden in Einsatzberichten formularmäßig festgehalten. Darin wurden neben einer umfassenden und einheitlichen Einsatzdokumentation auch etwaige Anfragen in Zentral- und Fremdverfahren (u.a. PED, ZEVIS, EIS) registriert. Wir mußten aber bemängeln, daß die Dokumentation des Abfragegrundes und/oder eine Sachverhaltsdarstellung nicht immer hinreichend erfolgt ist, so daß eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Datenabrufe kaum möglich war. Erfreulich war aber der geringe Umfang personenbezogener Daten in den Einsatzberichten.

  • Polizeistation

    Bei der stichprobenweisen Überprüfung von Vorgangsdurchschriften der Polizeistation war folgendes zu bemängeln:

    • Die polizeiliche Erkenntnisdatei (PED) war zu einem Zeugen abgefragt worden, obwohl es ohne besondere Begründung nicht zulässig ist, die Daten von Zeugen mit polizeilichen Dateien abzugleichen.

    • Dem Verfassungsschutz wurde im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung ein Vorfall der Nötigung und Straßenverkehrsgefährdung mitgeteilt, bei dem der Betroffene jedoch Geschädigter war. Dies begründete keinesfalls einen sicherheitsrelevanten Umstand. Die Übermittlung war mithin unzulässig.

  • Kriminalpolizeistelle

    Die Kontrolle von Kriminalakten gab zu erheblichen datenschutzrechtlichen Beanstandungen Anlaß. Kriminalakten dürfen nach der Gesetzeslage (siehe Wortlaut v. § 189 LVwG) nur angelegt werden, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht und eine Prognose im Hinblick auf die Täterpersönlichkeit vorliegt. Keinesfalls ist es zulässig, pauschal alle im Verlauf von Ermittlungsverfahren anfallenden Daten zu speichern. Vielmehr bedarf es eines besonderen Auswertungsschrittes durch den zuständigen Sachbearbeiter, der zur Erstellung eines entsprechenden Merkblattes führt, das die auf die präventiven Zwecke abgestimmte Sachverhaltsschilderung enthält.

    Folgende Unterlagen gehören nach der KA-Regelung nicht in eine Kriminalakte:

    • Ausschreibungs- und Fahndungsunterlagen

    • Schlußberichte der Staatsanwaltschaft

    • Durchschriften von Strafanzeigen

    • Vernehmungsniederschriften

    • Haftbefehle

    • Auszüge aus EIS und ZEVIS

    • PED-Ausdrucke

    • Bundeszentralregisterauszüge, es sei denn, hierdurch wird eine den derzeitigen Überprüfungsfristen zugrundeliegende Prognoseentscheidung belegt (Ziff. 5.1 KA-Regelung)

    Bei der Speicherung von Daten über dritte Personen (z.B. Zeugen, Geschädigte, Anzeigenerstatter) muß ein besonders restriktiver Maßstab angelegt werden. Solche Daten dürfen nur dann enthalten sein, wenn dies unerläßlich ist. Dies gilt z.B. für Mittäter; keinesfalls jedoch für Rechtsanwälte oder Wohnungsvermieter der Verdächtigen.

    Der Ausgang des Ermittlungsverfahrens bzw. das Ergebnis der Gerichtsverhandlung ist zeitnah zu erfassen, um festzustellen, ob weiterhin von einem verbliebenen Tatverdacht und einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Nur dann ist eine weitere Datenspeicherung rechtlich zulässig.

    Werden Personen erkennungsdienstlich behandelt, ist die Begründung hierfür unter Angabe der Rechtsgrundlage in der Kriminalakte zu dokumentieren. Aber auch die Anzahl der in diesem Zusammenhang gefertigten Lichtbilder, die sich in der Kriminalakte selbst oder in anderen Sammlungen befinden, muß dokumentiert werden. Die Lichtbilder sind mit den Personalien des Betreffenden zu kennzeichnen, um ihre Vernichtung zum gegebenen Zeitpunkt zu gewährleisten. Auch dies wurde in einer Reihe von Fällen nicht beachtet.

    Darüber hinaus mußte die Datensicherheit bemängelt werden. So fanden sich im Zeitpunkt unserer Prüfung in unabgeschlossenen Schränken auf dem Flur Asservate, die mit Namen von Tatverdächtigen beschriftet waren. In Räumen, in denen auch Vernehmungen durchgeführt werden, standen nicht abgeschlossene Schränke und Regale mit Aktenordnern, die Namen von Beschuldigten und Opfern aufwiesen.

Die Reaktion des Innenministers
Der Innenminister hat mitgeteilt, daß unseren Forderungen und Anregungen weitgehend gefolgt wird. Die geprüften Kriminalakten sind bereits entsprechend bereinigt worden. Bei der Kriminalpolizeistelle sind organisatorische Maßnahmen durchgeführt worden, die die Datensicherheit nunmehr gewährleisten sollen.


4.2.3

INPOL-Neu: mit dem Rasenmäher durch die Landespolizeigesetze?

Der Bund will das polizeiliche Informationssystem INPOL neu gestalten. Die bisher vorliegende Konzeption und der Entwurf des BKA-Gesetzes führen zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Verschiebung von Zuständigkeiten weg von den Ländern hin zum Bund.

Das Bundesministerium des Innern plant, das wichtigste System der polizeilichen Informationsverarbeitung, INPOL, mit dem Bund und Länder gemeinsam arbeiten, neu zu gestalten. Neben einer technischen Neukonzeption sind vor allem umfangreiche Ausweitungen der Speicherbefugnisse vorgesehen. Diese sollen rechtlich durch eine Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes abgesichert werden. Die dort vorgesehenen Regelungen zur Behandlung der Daten, die von den Polizeien der Länder angeliefert werden, und die weiteren Vorstellungen im Rahmen von INPOL-Neu sind unserer Ansicht nach nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach der verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung liegt die Gesetzgebungsbefugnis zur Gefahrenabwehr grundsätzlich bei den Ländern. Die Gesetzgebung des Bundes darf lediglich den Bereich der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten der Kriminalpolizei regeln.

Die im BKA-Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen gehen jedoch weit darüber hinaus. Sie legen fest, welche Daten die Länder in das INPOL-System einstellen müssen. Dies wären wesentlich mehr als derzeit nach dem schleswig-holsteinischen Polizeigesetz zulässig. So ist z.B. vorgesehen, die Daten Dritter zu speichern, die Personen, die einer Straftat verdächtig sind, lediglich begleitet haben oder mit diesen zufällig in Kontakt standen. Davon wäre eine große Anzahl Unverdächtiger betroffen.

Problematisch ist außerdem die Frage, wann die gespeicherten Daten gelöscht werden müssen. Es ist vorgesehen, daß im Regelfall nach zehn Jahren geprüft wird, ob eine Speicherung noch aufrechterhalten werden muß. Das schleswig-holsteinische Landesrecht sieht hier eine deutlich kürzere Prüffrist von fünf Jahren vor. Nach unserer Auffassung kann die Zehnjahresfrist nur als Höchstgrenze gelten, d.h., eine kürzere Prüffrist und die darauf folgende Löschung nach Landesrecht muß den am INPOL-Verbund angeschlossenen Polizeibehörden unbenommen bleiben, weil die Stelle für die eingespeicherten Daten verantwortlich ist, von der die Daten ursprünglich stammen.

Das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein hat sich allerdings bislang auf den Standpunkt gestellt, die Zulässigkeit der Speicherung von Daten im INPOL-Verbundsystem werde sich allein nach den Vorgaben des künftigen BKA-Gesetzes richten. Auch die Prüf- und Löschungsfristen müßten allein den Regelungen des Bundesgesetzes entnommen werden. Diese Auffassung würde nach unserer Ansicht zu Speicherungen führen, die nach dem Polizeirecht des Landes Schleswig-Holstein nicht zulässig sind.

Was ist zu tun?
Das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein sollte seine Auffassung überdenken und auf eine der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung entsprechende Aufgabenbeschreibung im BKA-Gesetzentwurf hinwirken.


4.2.4

COMPAS

Eingehende Beratungen haben zu weiteren wesentlichen datenschutzrechtlichen und technischen Verbesserungen beim Projekt COMPAS geführt.

Waren in der Konzeption des "computergestützten polizeilichen Arbeitsplatzsystems" COMPAS zunächst eine Reihe von datenschutzrechtlichen Schwachpunkten erkennbar, so ist der Innenminister unseren Änderungs- oder Klarstellungsvorschlägen (vgl. 18. TB, Tz. 4.2.8) zwischenzeitlich weitgehend gefolgt.

Beispiele:

  • Durch Dienstanweisung wird geregelt, daß in COMPAS nur Daten erfaßt werden dürfen, die für die Bearbeitung des Einzelfalles tatsächlich benötigt werden. Die Speicherung von Personenbeschreibungen muß z.B. besonders begründet werden, wenn sich die Erforderlichkeit nicht bereits aus dem zugrundeliegenden Sachverhalt ergibt.

  • Um bei COMPAS eine Synchronisation mit dem papierenen Datenbestand zu gewährleisten, ist verfahrenstechnisch sichergestellt worden, daß Änderungen im Datenbestand erst vollzogen werden, wenn zuvor ein papierener Ausdruck erfolgt ist. Darüber hinaus ist in die Fußzeile aller Vordrucke ein Druckdatum eingefügt, so daß eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit vorhanden ist. In einer Dienstanweisung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei Abweichungen die auf dem Papier vorhandenen Daten als authentisch anzusehen sind.

Was ist zu tun?
Der Innenminister muß dafür Sorge tragen, daß die Vorschriften zu COMPAS auch in der Praxis zum Tragen kommen.


4.2.5

POLDOK

Der Innenminister hat den Erlaß zum POLDOK-Meldedienst trotz unserer datenschutzrechtlichen Kritik in Kraft gesetzt. Er trägt weder datenschutzrechtlichen Belangen Rechnung, noch genügt er offenbar den Anforderungen der polizeilichen Praxis.

Zum neuen POLDOK-Meldedienst erreichten uns Anfragen von irritierten Polizeibeamten. Sie konnten nicht verstehen, aus welchem Grunde die Personendaten der Beschuldigten dort durch ein Aktenzeichen ersetzt werden, während gleichzeitig die Opferdaten gespeichert bleiben sollen. Die Recherche nach Opfern und Geschädigten komme extrem selten vor. Allerdings erschwere es die alltägliche Arbeit erheblich, daß jetzt nicht mehr nach den Beschuldigten mit Namen, sondern umständlich über das Aktenzeichen und dann mit diesem in POLDOK der dazugehörige Datensatz gesucht werden müsse.

Der Erlaß ist auch aus datenschutzrechtlichen Gründen zu kritisieren:

  • Eine Speicherung personenbezogener Daten von Tätern oder Tatverdächtigen nach Abschluß eines Ermittlungsverfahrens kann nur nach den Regelungen des Landesverwaltungsgesetzes erfolgen. Dies wird jedoch nicht dadurch erreicht, daß der Name des Verdächtigen durch das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft - wie im Erlaß vorgesehen - ersetzt wird. Denn auch hierdurch bleibt die betreffende Person eindeutig, wenn auch etwas umständlich, bestimmbar. Ein solcher Datensatz enthält also auch weiterhin personenbezogene Daten. Unabdingbar ist es vielmehr, daß die Prüffristen des LVwG eingehalten werden. Der Verfahrensausgang ist außerdem spätestens zwei Jahre nach Abgabe an die Staatsanwaltschaft zu ermitteln.

  • Bei Daten von Opfern und Geschädigten muß eine weitergehende Einschränkung der Speicherungsdauer erfolgen. Opferdaten können allenfalls bis zum Abschluß eines Strafverfahrens gespeichert bleiben. Spätestens mit der Verurteilung eines Täters ist die Weiterspeicherung für Ermittlungszwecke nicht mehr erforderlich.

  • Der Katalog der meldepflichtigen Straftaten ist erheblich zu weit gefaßt und schließt auch typische Massendelikte, wie z.B. Trickdiebstahl, Diebstähle in und aus öffentlichen Verkehrsmitteln, Werbe- und Verkaufsbetrug, betrügerische Vermittlung von Aufträgen und Lieferungen, mit ein, für die die Erforderlichkeit einer landesweiten Datenspeicherung keinesfalls gesehen wird.

Wir haben die Polizeibeamten darauf hingewiesen, daß die im Erlaß festgeschriebene Verfahrensweise nicht auf unsere Einflußnahme zurückgeht. Unserer Auffassung nach wäre es vielmehr datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Personendaten von Beschuldigten für den rechtlich zulässigen Zeitraum speichert blieben. Die dauerhafte Speicherung der Opferdaten ist für uns ebenso unakzeptabel wie offenbar für einige Polizeipraktiker unverständlich.

Was ist zu tun?
Der Innenminister sollte den POLDOK-Erlaß noch einmal überprüfen und die genannten Schwächen beseitigen.


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