26. Tätigkeitsbericht (2004)

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Datenschutz in Deutschland

Das Thema der nächsten Jahre: Biometrie

Mit dem technischen Fortschritt zu kleineren und immer leistungsfähigeren Mikrochips gewinnen biometrische Verfahren eine immer größere Bedeutung. Biometrie steht für eine Technologie, mit deren Hilfe die einzelne Person anhand unverwechselbarer, häufig unveränderlicher mit ihr verbundener "lebensechter” Kennzeichen von anderen unterschieden werden kann. Solche Verfahren sind nicht neu: Zumindest aus Kriminalfällen ist jedem das Verfahren zum Vergleich von Fingerabdrücken bekannt. Auch der Abgleich von Gesichtsfotos ist ein biometrisches Verfahren, das zur Unterscheidung von Personen dient. Die fortschreitende Digitalisierung hat die Leistungsfähigkeit biometrischer Verfahren erhöht, aber auch ihre spezifischen Datenschutzrisiken. Elektronisch gesteuerte Sensoren vermessen einzelne Körperteile, ihre digitalen Abbilder können auf kleinsten Speichermedien abgelegt, automatisiert mit anderen Personendaten verglichen und schließlich mit Zusatzinformationen über den Merkmalsträger versehen werden.

Neben dem Vergleich von Fotografien und Fingerabdrücken werden mittlerweile auch DNA-Analysen von Körpergeweben wie beispielsweise von Hautpartikeln oder Haaren zum Zwecke der Identifizierung durchgeführt. Zur Verfolgung von Straftaten gibt es in der Strafprozessordnung hierfür eine Rechtsgrundlage, über deren Ausweitung derzeit rechtspolitisch auf Bundesebene gestritten wird. Riskant sind diese Verfahren wegen der für den eigentlichen Zweck nicht benötigten "überschießenden” Informationen. Neben der Analyse der so genannten "nicht codierenden Teile” fallen regelmäßig auch Zusatzinformationen über die einzelne Person an. Sie können eine Bestimmung des Geschlechts, des Alters, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, aber auch die Kenntnis über bestimmte Krankheiten ermöglichen.

Die besondere Sensibilität solcher Informationen erschließt sich dem Betroffenen spätestens dann, wenn eine Versicherung oder der Arbeitgeber vor Abschluss eines Vertrages die für eine eindeutige Identifizierung gewonnenen biometrischen Informationen zur Bestimmung einer Risikogruppe verwenden will: Der Arbeitgeber ist aber kein Arzt, und auch die Versicherung ist weniger an der Gesundheit ihrer Kunden als an der Minimierung ihrer eigenen Ausfallrisiken interessiert. Dem einen oder anderen mag dies noch als Zukunftsmusik erscheinen. Allzu fern sind solche Anwendungen allerdings nicht, wie Beispiele aus dem Ausland zeigen. Von Fachkreisen wird daher schon lange das Verbot eines so genannten "Negativattestes” gefordert, mit dessen Hilfe sich beispielsweise Versicherungen oder Arbeitgeber das Nichtvorhandensein einer bestimmten Eigenschaft, insbesondere einer Krankheit bestätigen lassen wollen, um einen für sie unwirtschaftlichen Vertragsschluss vermeiden zu können. Welche Dimensionen die wirtschaftlichen Interessen annehmen können, zeigt das Beispiel von genetischen Datenbanken z. B. in Island, deren Aufbau von der Pharmaindustrie betrieben wird. Ihr Ziel ist nicht weniger als die Kartierung der genetischen Informationen der gesamten Bevölkerung.

Auch keine Zukunftsmusik, sondern Realität ist die Anwendung biometrischer Verfahren zur Identifizierung von berechtigten Personen in Wirtschaft und Verwaltung. Vor allem der Zugang zu Hochsicherheitssystemen und -bereichen wird mittlerweile mithilfe von vorab gespeicherten biometrischen Informationen der Zugangsberechtigten gesteuert. Eine elektronische Schleuse gibt den Weg erst frei, wenn das biometrische Merkmal des Besuchers mit dem bereits vorab in einer Datenbank gespeicherten Merkmal übereinstimmt. Für diese Anwendung ist der Fingerabdruck weit verbreitet, gefolgt von dem Abdruck der gesamten Hand sowie der Vermessung der Iris. Beim Fingerabdruck beispielsweise untersucht und vermisst ein Sensor den Verlauf der Papillarlinien und hält insbesondere Lage sowie Art der so genannten "Minutien” fest, die bei jedem Menschen anders verlaufen. Andere Verfahren von bislang noch geringer praktischer Bedeutung sind die Gesichtserkennung, die insbesondere wegen ihrer technischen Verknüpfung mit einer automatisierten Videoüberwachung zukünftig von Bedeutung sein wird, der Anschlag bei der Bedienung der Tasten eines Terminals, den der Kunde beispielsweise bei einem Geldautomaten oder einem Computer bedient, oder die allerdings noch nicht weit entwickelte Spracherkennung.

Konjunktur hat die öffentliche Förderung der Biometrie seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Was bislang nur für Hochsicherheitstrakte und kleine Benutzergruppen praktikabel erschien, soll nun Schritt für Schritt für den Aufbau einer international kompatiblen Identifikationsinfrastruktur eingeführt werden. Im Vordergrund steht das Ziel, die Ströme ein- und ausreisender Personen zu überwachen und zu kontrollieren. Die ersten rechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme digitalisierter biometrischer Merkmale in Personalausweise und Reisepässe sind in Deutschland mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 2002 getroffen worden. Rechtlich ist es nunmehr möglich, die Ausweisdokumente mit Chips auszustatten, auf denen bestimmte biometrische Merkmale der Ausweisinhaber gespeichert werden, die dann zu Kontrollzwecken von den zuständigen Behörden ausgelesen werden können. Ein erster Feldversuch mit der Erfassung der Iris ist auf freiwilliger Basis im Februar 2004 vom Bundesgrenzschutz am Frankfurter Flughafen gestartet worden. Erfahrungen werden von deutschen Behörden auch bei der Vergabe von Visa an Ausländerinnen und Ausländer aus Drittstaaten gesammelt - so in Lagos/Nigeria mit Fingerabdrücken und in Jakarta/Indonesien mit einer digitalen Gesichtserkennung (vgl. Tz. 4.4).

Die internationale Dimension dieser Biometriepolitik verdeutlicht ein Beschluss der Justiz- und Innenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 27. November 2003, mit dem unionsweit eine grundsätzliche politische Einigung über die Einführung biometrischer Merkmale in VISA und Aufenthaltstiteln von Bürgern aus Drittstaaten erzielt wurde. Künftig sollen das Gesichtsbild sowie die Abdrücke von zwei Fingern in einen in das Ausweisdokument implementierten Chip aufgenommen werden. Ferner soll 2004 über die Einzelheiten der Einführung eines "Europäischen Visumsinformationssystems” entschieden werden, das schengenweit einen Abgleich der Visumsanträge ermöglichen soll, um auf diese Weise Mehrfachanträge unterbinden zu können.

Was zunächst nur für Ausländer aus Drittstaaten gilt, wird bald auch für die Unionsbürger zum Standard werden. Für Anfang 2004 hat die EU-Kommission Vorschläge zur Einführung biometrischer Merkmale in die Pässe der Unionsbürger angekündigt. Nach einem Beschluss des Rates vom 19./20. Juni 2003 soll die EU-Kommission ein einheitliches Konzept biometrischer Merkmale in Ausweisdokumenten gewährleisten. Für zusätzlichen Handlungsdruck sorgen vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika, da auch EU-Bürger ab dem 24. Oktober 2004 für die Einreise in die USA Pässe mit biometrischen Merkmalen vorweisen müssen. Andernfalls unterliegen auch EU-Bürger zukünftig einer Visumspflicht; Visa werden künftig von den USA nur gegen die Bereitstellung biometrischer Merkmale, und zwar in Form eines Fotos sowie zweier digitaler Fingerabdrücke, erteilt.

Voraussetzung für die Verfügbarkeit biometrischer Merkmale in nationalen Ausweisdokumenten ist die Interoperabilität der nationalen Systeme. Derzeit werden die technischen Anforderungen und Schnittstellen von den internationalen Standardisierungsgremien genormt. Für die Gestaltung der Reisedokumente sind insbesondere die Arbeiten der Internationalen Luftfahrtorganisation (ICAO) von Bedeutung. Mit Rücksicht auf ihre weltweite Verwendung, insbesondere in den wirtschaftlich nicht entwickelten Staaten der Dritten und Vierten Welt, wird als Mindeststandard das Lichtbild vorgeschlagen. Darüber hinaus ermöglicht die Standardisierung aber auch die Aufnahme des Fingerabdruckes und/oder eines Irisabbildes.

Die politischen Entscheidungen für die Einführung von biometrischen Verfahren sind gefallen. Nun gilt es, durch eine möglichst datenschutzfreundliche Gestaltung dieser Anwendungen Schäden für die informationelle Selbstbestimmung zu verhindern. So macht es beispielsweise sowohl aus Sicht des Datenschutzes als auch aus Sicherheitsgründen einen großen Unterschied, ob die biometrischen Merkmale aller Bürgerinnen und Bürger in einer Zentraldatei oder in vernetzbaren dezentralen Dateien gespeichert werden oder ob die Authentifizierung des Ausweisinhabers auf einen Abgleich des aktuell gemessenen biometrischen Merkmals mit dem auf dem Ausweis gespeicherten beschränkt bleibt. In der ersten Variante droht eine neue Form der Überwachungskultur - in der zweiten Variante lassen sich die Risiken minimieren, ohne die angestrebten Sicherheitsgewinne zu vernachlässigen. Von Bedeutung sind aber auch der Schutz der biometrischen Merkmale vor einem unberechtigten Zugriff sowie ihre für den Betroffenen transparente Verwendung. Mit Rücksicht auf ihre Eindeutigkeit und Unveränderlichkeit gilt es auszuschließen, dass biometrische Merkmale durch die elektronischen Netze "vagabundieren”. Sie müssen im Prinzip in der Verfügungsgewalt der Betroffenen bleiben.

Der Gesetzgeber verbindet mit der Einführung biometrischer Verfahren große Erwartungen; er sollte sich aber auch der Risiken bewusst sein und sie konstruktiv zu minimieren versuchen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren mit den datenschutzrechtlichen und sicherheitstechnischen Implikationen biometrischer Verfahren intensiv beschäftigt. Durch unsere Mitarbeit im Projekt BioTrust (vgl. 24. TB, Tz. 9.3) signalisierten wir die Zukunftsrelevanz dieses Themas. In zwei ausführlichen Gutachten für das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) haben wir im Jahr 2001 sowie 2003 die Wirkungsweise biometrischer Verfahren analysiert und dem Gesetzgeber und der Öffentlichkeit Handlungsempfehlungen unterbreitet. Im Zusammenhang mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz haben wir in einer weiteren Expertise die verfassungsrechtlichen Grenzen für einen Einsatz biometrischer Verfahren aufgezeigt. Danach müssen biometrische Daten auf Ausweisdokumenten auch aus verfassungsrechtlichen Gründen in der ausschließlichen Verfügungsgewalt der Bürgerinnen und Bürger verbleiben. Das Beispiel der Biometrie zeigt wie kein anderes, dass die datenschutzgerechte Gestaltung der besonderen technischen und rechtlichen Kompetenz bedarf. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz bemüht sich darum, diesen Sachverstand den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, aber auch den Mitgliedern in Parlament und Regierung zur Verfügung zu stellen.



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