23. Tätigkeitsbericht (2001)



4.7

Soziales - Schwerpunkt Sozialhilfe

Wie 1999 lag auch im vergangenen Jahr ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit im Sozialhilfebereich. Erneut wurden Sozialämter "auf Herz und Nieren" geprüft. Ein eigens hierfür entwickeltes Prüfungskonzept ermöglichte es, die Ergebnisse von Querschnittsprüfungen zu vergleichen und strukturelle Defizite sichtbar zu machen. Die Querschnittsprüfungen sowie Kontrollen aufgrund von Eingaben und die neuen Fortbildungsveranstaltungen der DATENSCHUTZAKADEMIE Schleswig-Holstein speziell für die Mitarbeiter von Sozialämtern zeigen Wirkung. Die Beratungsersuchen im Bereich des Sozialdatenschutzes haben sich mehr als verdoppelt.

4.7.1

Querschnittsprüfungen in Sozialämtern

Im Jahr 1999 hatten wir damit begonnen, einzelnen Sozialämtern "auf den Zahn zu fühlen". Mithilfe eines speziellen Prüfungskonzeptes erfolgte vor allem eine Bestandsaufnahme bei der konventionellen Datenverarbeitung. Geprüft wurden im Jahre 2000 kleine und mittlere Sozialämter.



Das Ergebnis der Querschnittsprüfungen hat uns positiv überrascht. Trotz der hier bestehenden starken Arbeitsbelastung begegneten wir durchgängig offenen und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Stets war man bemüht, die von uns festgestellten Mängel und Verstöße schnellstmöglich abzustellen. Insbesondere Mängel in der Datensicherheit, z. B. nicht abschließbare Aktenschränke, überfüllte Archive oder veraltete Schließanlagen, waren nicht auf die Sorglosigkeit der Mitarbeiter, sondern auf (bislang) fehlende Mittel im Haushalt der Kommunen zurückzuführen. Es gab aber auch strukturelle Probleme in bestimmten Bereichen. So mussten wir wiederholt feststellen, dass die Übermittlung von Sozialdaten an potenzielle Arbeitgeber oder private Arbeitsvermittlungsagenturen recht freizügig erfolgte. Es ließen sich aber im Anschluss an die Prüfungen Verfahren finden, die eine bessere Transparenz für den betroffenen Hilfeempfänger und eine optimale Hilfegewährung ermöglichen.

4.7.2

Diskriminierende Bestellscheine abgeschafft

Die Gewährung einmaliger Beihilfen in Form von Bestellscheinen für den Einzelhandel darf nur in begründeten Einzelfällen oder wenn sich hierdurch Steuermittel einsparen lassen erfolgen. Dieser Meinung haben sich sowohl das Sozialministerium als auch der Sozialausschuss des Landtages angeschlossen.

Das Sozialamt der Landeshauptstadt Kiel vertrat als einzige kreisfreie Stadt des Landes zunächst eine andere Auffassung (vgl. 22. TB, Tz. 4.6.5). Sozialhilfeempfängern sei prinzipiell nicht zu trauen. Bestellscheine seien die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass Beihilfen auch zweckentsprechend verwendet werden. Nach langer Diskussion wird auch das Sozialamt Kiel künftig auf die Verwendung von Bestellscheinen für den Einzelhandel bei der Gewährung von einmaligen Beihilfen, insbesondere bei Elektrogroßgeräten, verzichten. Anfang 2001 wurde außerdem eine monatliche Beihilfepauschale eingeführt. Mit ihr erhält der Hilfeempfänger die Möglichkeit, finanzielle Mittel anzusparen, um größere Anschaffungen zu tätigen. Diese Eigenverantwortung beinhaltet auch die Pflicht der zweckgemäßen Verwendung dieser Mittel. Die Landeshauptstadt Kiel hat hiermit eine datenschutzgerechte Lösung gefunden, die zugleich Verwaltungsaufwand reduziert und Steuermittel einspart.

4.7.3

Hausbesuche, der neue Lügendetektor des Sozialamtes?

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Mitarbeiter der Sozialämter fragen sich des Öfteren, wie sie die Angaben von Hilfe Suchenden überprüfen können. In Ermangelung von Lügendetektoren scheinen Hausbesuche ein probates Mittel zu sein. Aber Achtung: Die Würde des Menschen ist ebenso ein Grundrecht wie die Unverletzlichkeit der Wohnung. Nur unter besonderen Voraussetzungen sind Hausbesuche ein geeignetes und angemessenes und damit auch datenschutzrechtlich zulässiges Mittel der Bedarfsfeststellung.

Wiederholt erreichten uns Eingaben, in denen aufgebrachte Petenten ihre Erlebnisse von regelrechten Hausdurchsuchungen schildern. Männliche Mitarbeiter durchschnüffelten die Wäsche von allein erziehenden Frauen. Der Presse war gar zu entnehmen, dass in einem Fall die Schmutzwäsche in einer Waschmaschine kontrolliert wurde.

"Dürfen Hausbesuche überhaupt durchgeführt werden?", lautete deshalb eine häufig gestellte Frage. Die Antwort ist: "Ja, aber nur, wenn diese Form der Datenerhebung wegen der Besonderheiten des Falles erforderlich und verhältnismäßig ist. Regelrechte Hausdurchsuchungen dagegen sind unzulässig." Was bei der Durchführung von Hausbesuchen zu beachten ist, sollte vorab in einer Dienstanweisung wie folgt festgelegt werden:

  • Vor Durchführung eines Hausbesuches ist stets zu prüfen, ob nicht andere Möglichkeiten der Sachverhaltsklärung bestehen, die weniger tief in die Rechte des Betroffenen eingreifen.

  • Der konkrete Grund für die Durchführung eines Hausbesuches, z. B. der Anhaltspunkt für Sozialhilfemissbrauch, ist in der Akte zu vermerken.

  • Über die Durchführung von Hausbesuchen sollte der Leiter des Sozialamtes oder eine von ihm besonders ermächtigte Person entscheiden.

  • Hausbesuche dürfen nur von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialamtes durchgeführt werden.

  • Die Mitarbeiter des Sozialamtes müssen sich zu Beginn des Hausbesuches durch die Vorlage ihres Dienstausweises gegenüber den Betroffenen legitimieren.

  • Die Gründe für den Hausbesuch sind den Betroffenen zu Beginn des Gespräches offen zu legen. Sie sind darauf hinzuweisen, dass sie den Zutritt zu der Wohnung verweigern können, dass dies jedoch u. U. eine Kürzung der Sozialhilfe zur Folge haben kann.

  • Befragungen dritter Personen wie des Hausmeisters oder der Nachbarn ohne Wissen des Betroffenen sowie für die Betroffenen nicht erkennbare Ermittlungen sind nur in Ausnahmefällen zulässig, z. B. wenn ein konkreter Verdacht besteht, dass ein Hilfeempfänger einer Arbeit nachgeht und andere Erkenntnismittel nicht zum Ziel führen.

Als sinnvoll kann sich die Einrichtung eines zentralen Außendienstes bei größeren Kreissozialämtern erweisen. So kann ein einheitliches Vorgehen ermöglicht werden. Weitere Hinweise finden sich auf unserer Homepage zum Thema "Prüfbericht über die Kontrolle des Ermittlungsdienstes und der Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Kiel":

www.datenschutzzentrum.de/material/themen/pruefbe/auslbeki.htm

Was ist zu tun?
Diese Grundsätze sollten von allen Sozialämtern umgesetzt werden.

4.7.4

Schweigepflichtsentbindung nicht im "Kleingedruckten"

Die Frage, wie Vordrucke und Formulare datenschutzgerecht gestaltet werden können, stellt sich stets aufs Neue. Insbesondere bei der Formulierung von Einwilligungserklärungen bestehen Unsicherheiten.

Viele Verwaltungen haben im vergangenen Jahr deshalb unsere Beratung in Anspruch genommen (vgl. 22. TB, Tz. 13). In der Regel konnten unbürokratisch datenschutzrechtlich korrekte und praxisgerechte Lösungen gefunden werden. Wegen der Unterschiedlichkeit der Fallkonstellationen kann es bei der Formulierung von Einwilligungen nämlich kein Patentrezept geben. Grundsätzlich ist zu beachten, dass eine wirksame Einwilligung voraussetzt, dass der Einwilligende eine Vorstellung davon erhält, worin er einwilligt, und somit die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung überschauen kann. Er muss wissen, welche Daten zu welchem Zweck von welcher Stelle erhoben werden. Eine Einwilligungserklärung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen und muss einen Hinweis auf die Freiwilligkeit bzw. die möglichen Folgen bei einer Verweigerung enthalten. Andererseits darf eine Einwilligungserklärung auch nicht mit Informationen derart überladen werden, dass der Betroffene resigniert und das "Kleingedruckte" gar nicht liest.

Was ist zu tun?
Formulare sollten entsprechend gestaltet werden.

4.7.5

Sind Gemeinden nur Außenstellen der Kreissozialämter?

Im Bundessozialhilfegesetz ist festgelegt, dass die Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe die Hilfe zum Lebensunterhalt gewähren. Die Kreisverwaltungen bedienen sich hierzu der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Amtsverwaltungen auf der Grundlage von Heranziehungssatzungen. Welche Folgen sich aus dieser Konstellation ergeben, ist strittig.

Die Bürgernähe der Sozialhilfe ist sinnvoll. Ein Hilfe Suchender kann in seiner Gemeinde vorsprechen und muss nicht in die Kreisstadt zum Kreissozialamt fahren. Er stellt seine Anträge bei dem Mitarbeiter seiner Gemeinde und erhält von dort die Sozialhilfe. Zieht er in eine andere Gemeinde, kann er in der neuen Gemeinde einen neuen Antrag stellen. Seine "alte" Sozialhilfeakte wird bis zur endgültigen Vernichtung bei der vormals zuständigen Gemeinde aufbewahrt. Die neue zuständige Gemeinde erhält Kenntnis nur von den Daten, die sie für die Sozialhilfeberechnung benötigt (vgl. 20. TB, Tz. 4.7.3; 22. TB, Tz. 4.6.3). Die Daten verarbeitende Stelle ist nicht das (ferne) Kreissozialamt, sondern das Sozialamt der Gemeinde. In Übereinstimmung mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales meinen wir, dass die kreisangehörigen Städte, Gemeinden und die Amtsverwaltungen mit der Aufgabe der Sozialhilfegewährung auch die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung übernommen haben.

Nach dem Verständnis einzelner Kreisverwaltungen sind dagegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialämter in den Gemeinden lediglich ihre "Außenstellen". Ein Kreissozialamt dürfe jederzeit und ohne Grund jede Sozialhilfeakte der Gemeinde prüfen, anfordern oder selbst bearbeiten. Andererseits sind die Kreise nicht bereit, die Verantwortung für Fehler bei der Datenverarbeitung zu übernehmen.

Dieser Auffassung können wir uns nicht anschließen. In den teilweise äußerst umfangreichen Sozialhilfeakten sind sensible Angaben über die familiäre, finanzielle oder gesundheitliche Situation der Hilfeempfänger mit besonderem Schutzbedürfnis enthalten. Sie unterliegen aus gutem Grund dem Sozialgeheimnis. Sozialdaten dürfen danach nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Für den Bürger muss klar ersichtlich sein, wer die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung seiner Daten trägt. Dies kann nur das Sozialamt vor Ort sein. Alles andere widerspräche der täglichen Verwaltungspraxis, nicht nur in unserem Bundesland. Mit dieser Grundsatzfrage hängt eine Vielzahl weiterer rechtlicher Fragen zu einzelnen Bereichen der Hilfegewährung zusammen, z. B. wer die Aufsicht ausübt (dazu siehe unten), inwieweit im Kreis eine gemeinsame Einrichtung von EDV zulässig ist, aber auch, wer Adressat einer datenschutzrechtlichen Beanstandung ist.

Was ist zu tun?
Die Gespräche mit den Kreisen und der Kommunalaufsicht müssen fortgesetzt werden.

4.7.6

Befreiung von Rundfunkgebühren

Wie das Verfahren zur Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht datenschutzgerecht gestaltet werden kann, ist leider immer noch eine aktuelle Frage. Bis heute ist keine datenschutzgerechte Regelung in Sicht.

Der NDR und die Datenschutzbeauftragten sind sich immer noch nicht einig, ob und in welchem Umfang bei der Beantragung der Gebührenfreiheit Kontrollfragen zulässig sind, mit denen die Glaubwürdigkeit der gemachten Angaben überprüft werden soll. Schon letztes Jahr monierten wir, dass der NDR pauschal jedem Studierenden misstraut und diesem Personenkreis detaillierte Fragen stellt, die nicht einmal ein Sozialamt für erforderlich hält (vgl. 22. TB, Tz. 4.8.3).

Ein erneuter Lösungsvorschlag des NDR verfehlt das Ziel aber ganz und gar. Sahen sich bislang nur Studierende genötigt, detaillierte Angaben z. B. zu ihren Telefon- oder Handygebühren zu machen, so soll diese Pflicht zukünftig alle Antragsteller mit geringem Einkommen treffen. Die auch für den NDR bindende Befreiungsverordnung für Rundfunkgebühren grenzt diese Datenerhebung jedoch ein. Kontrollfragen, die über den Datenkatalog der Befreiungsverordnung hinausgehen, sind nur in einzelnen, besonders begründeten Fällen zulässig.

Gleichzeitig zeigt sich der NDR modern und zukunftsorientiert: Papieranträge sind out. Die Angaben der Antragsteller sollen zukünftig online von den Mitarbeitern der Sozialämter erhoben und an den NDR bzw. die GEZ übermittelt werden. Dies ist zu begrüßen. Gerade die EDV bietet vielfältige Möglichkeiten für die Wahrung des Datenschutzes. So könnte ein "abgestuftes Verfahren" eine differenzierte Datenerhebung vorsehen. Dies ließe sich unproblematisch technisch in der neuen Software abbilden. Aufgrund unserer Intervention hat der NDR zugesagt, das Programm zu überarbeiten. Man darf gespannt sein, zu welchem Ergebnis er dabei kommt.

www.datenschutzzentrum.de/material/themen/divers/befrrund.htm

Was ist zu tun?
Der NDR muss ein Verfahren vorlegen, das sich bei der Erhebung von Daten bei Anträgen auf Gebührenfreiheit auf die erforderlichen Daten beschränkt.


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