22. Tätigkeitsbericht (2000)



4.6

Sozialbereich

4.6.1

Überblick

Jeder hat Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis). So hat es der Gesetzgeber festgelegt; doch wie sieht es in der Praxis aus? Die Zusammenarbeit sozialer Einrichtungen soll verbessert und die unberechtigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen verhindert werden. Man will Verwaltungskosten einsparen, zugleich soll der Service für die Bürgerinnen und Bürger, den "Kunden der Verwaltung”, besser werden. Wie können diese Ziele erreicht werden, ohne dass das Sozialgeheimnis auf der Strecke bleibt? Unsere Erfahrungen mit Eingaben und Anfragen zeigen, dass diese Fragen lösbar, aber oft nicht befriedigend gelöst sind. Wir stehen innovativen Ideen auch im Sozialverwaltungsbereich positiv gegenüber. Ziel muss es jedoch sein, den Sozialdatenschutz bei der Verwirklichung solcher Ideen zu integrieren, wenn möglich weiter zu verbessern.

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Schleswig-Holstein nahm ein Projekt "Digitale Kundenakte” in Angriff, bei dem zunächst eine gemeinsame elektronische Aktenführung von Sozial- und Arbeitsamt vorgesehen war. Zweck der Maßnahme sollte eine verbesserte Beratung und eine schnellere Bearbeitung sein. So sehr wir diese Zielsetzung unterstützten, so wenig sahen wir die ersten Planungen als geeignet an. Durch eine gemeinsame Aktenführung würden die Verantwortlichkeiten der kommunalen Sozialverwaltung und der auf Bundesebene angesiedelten Arbeitsverwaltung verwischt. Die Zweckbindung der vorhandenen Daten würde aufgehoben. Zudem erweist sich die Schnittmenge der wahrgenommenen Aufgaben bei näherem Zusehen nicht als so groß, dass der technische Aufwand einer vollständigen Digitalisierung der Akten gerechtfertigt wäre. Wir haben daher weniger ambitionierte, dafür aber datenschutzrechtlich realisierbare Alternativen vorgeschlagen: die teilweise organisatorische Zusammenlegung der Datenerhebung und die Verbesserung der Kommunikation auf elektronischer Basis unter Einbeziehung der Betroffenen.

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(Rubrik: weitere Materialien/Vorträge)


Ein Schwerpunkt unserer diesjährigen Tätigkeit lag im Sozialhilfebereich. Im Dialog mit den Sozialleistungsträgern wurden datenschutzgerechte Lösungsansätze erarbeitet. So wurden Hinweise zur Zulässigkeit eines Datenaustausches zwischen den Sozialleistungsträgern (Tz. 4.6.3) oder zur Gewährung von einmaligen Beihilfen (Tz. 4.6.5) herausgegeben. Außerdem wurde ein Konzept für die Prüfung der Datenverarbeitung in den Sozialämtern entwickelt, das die Verfahrensabläufe von der Antragstellung bis zur Archivierung im Sozialamt erfasst. Ergänzend bieten wir im neuen Jahresprogramm der DATENSCHUTZAKADEMIE erstmals gezielt Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiter von Sozial- und Wohngeldämtern an, die auf die Bedürfnisse der täglichen Praxis abgestellt sind.

4.6.2

Keine Extrawurst für Geheimdienste

Auch Geheimdienste wie der Verfassungsschutz, der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst müssen bei Übermittlungsersuchen den Zweck und die Rechtsgrundlage darlegen. Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung von Sozialdaten liegt bei dem Sozialleistungsträger.

Eine Sozialamtsmitarbeiterin berichtete uns vom Anruf eines MAD-Mitarbeiters, der einen Auskunftsbesuch ankündigte. Man wolle sich Akten anschauen. Welche Akten und zu welchem Zweck er einsehen wollte, mochte er nicht angeben. Einige Tage später erschienen die Mitarbeiter des MAD im Sozialamt und begehrten Einsicht in sämtliche Vorgänge über die in der Zeit vor der Wiedervereinigung gewährten Hilfsmaßnahmen zu Gunsten von Besuchern aus der DDR und Berlin (Ost), die so genannten Besuchergelder.

Dazu war das Sozialamt nicht bereit, denn die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt die übermittelnde Stelle, die das Ersuchen zu prüfen hat. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die ersuchende Stelle Zweck und Aufgabe, für deren Erfüllung die Daten benötigt werden, benennt. Ohne diese Angaben ist das Ersuchen nicht zu prüfen und darf die Übermittlung nicht erfolgen. Nur bestimmte gesetzlich definierte Sozialdaten, wie Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige und frühere Anschriften des Betroffenen sowie Namen und Anschriften seiner derzeitigen und früheren Arbeitgeber dürfen außerdem übermittelt werden, keinesfalls vollständige Akten.

Im konkreten Fall kam erschwerend hinzu, dass die Vorgänge über die gewährten Besuchergelder längst hätten vernichtet werden müssen, da sie für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich waren. Eine "zeitlich unbegrenzte” Speicherung ist unzulässig. Unzulässig gespeicherte Daten dürfen erst recht nicht übermittelt werden. Der MAD-Mitarbeiter musste daher das Sozialamt unverrichteter Dinge verlassen.

Was ist zu tun?
Fehlen Angaben in einem Übermittlungsersuchen und kann daher eine Prüfung nicht vorgenommen werden, so darf dem Ersuchen nicht stattgegeben werden. Dies gilt auch gegenüber Geheimdiensten.

4.6.3

Datenaustausch zwischen Sozialhilfeträgern

Wenn ein Sozialhilfeempfänger umzieht, dürfen nur die Sozialdaten an das Sozialamt des neuen Wohnsitzes übermittelt werden, die dort für die weitere Sozialhilfegewährung erforderlich sind. Auch ein Kreissozialamt kann nur solche Sozialdaten von einer Gemeinde anfordern, die es für seine Aufgabenerfüllung benötigt. Die Übersendung vollständiger Sozialhilfeakten ist nur in wenigen Fällen zulässig.

Sozialhilfeempfänger, die von einer Gemeinde in eine andere Gemeinde umziehen, werden häufig von dem neuen Sozialamt "aufgefordert”, schriftlich ihr Einverständnis in eine vollständige Aktenübersendung zu geben. Das Einverständnis des Betroffenen kann jedoch die gesetzliche Verpflichtung der Sozialämter nicht ersetzen, nur die Daten zu übermitteln, die zur weiteren Sozialhilfegewährung erforderlich sind (vgl. 20. TB, Tz. 4.7.3). Mit unseren im Amtsblatt Schleswig-Holstein von November 1998 veröffentlichten Hinweisen haben wir den Kommunen die Rechtslage detailliert dargestellt.

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(Rubrik: speziell für Behörden)

In einem anderen Fall stellte sich die Frage, ob ein Kreissozialamt ohne weiteres in die Sozialhilfeakten der kreisangehörigen Städte, Amtsverwaltungen bzw. amtsfreien Gemeinden Einblick nehmen darf. Grundsätzlich sind die Kreise und kreisfreien Städte für die Sozialhilfegewährung zuständig. Um bürgerfreundlich und bürgernah zu sein, haben sie die Gemeinden mit der Aufgabenerfüllung betraut und durch Satzung festgelegt, welche Sozialhilfeleistungen von den örtlichen Sozialämtern gewährt werden. Damit geht auch die Verantwortung auf die Datenverarbeitung an diese Stellen über. Sie treffen die Entscheidungen in eigenem Namen. Dem Kreis verbleibt in dem Umfang der Aufgabenübertragung kein Selbsteintrittsrecht, er kann Einzelfälle nicht einfach an sich ziehen und entscheiden.

Dies bedeutet, dass ein genereller, vom Einzelfall unabhängiger Datenzugriff des Kreises auf Sozialdaten einer oder aller zugehörigen Gemeinden unzulässig ist. Zulässig ist eine Datenübermittlung nur, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben, die der Kreis nicht an die Gemeinden übertragen hat, erforderlich ist. Dies ist z. B. in einem Widerspruchsverfahren oder dann der Fall, wenn ein Hilfeempfänger den Kreis auffordert, eine bestimmte sozialhilferechtliche Entscheidung der Gemeinde zu überprüfen. Ein pauschales Prüfrecht steht dem Kreis jedoch nicht zu.

Was ist zu tun?
Ein Austausch von Sozialdaten zwischen den Sozialämtern der Gemeinden kann ebenso wie ein Datenaustausch zwischen dem Sozialamt einer Gemeinde und einem Kreissozialamt nur erfolgen, wenn die Daten für die weitere Sozialhilfegewährung erforderlich sind.

4.6.4

Datenübermittlung an private Arbeitsvermittler

Ein Hilfesuchender muss zwar seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhaltes für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen einsetzen. Seine Sozialdaten dürfen im für die Vermittlung erforderlichen Umfang an private Arbeitsvermittler jedoch nur dann übermittelt werden, wenn er zuvor eingewilligt hat.

Sozialämter gehen neue Wege, um die Hilfesuchenden aus der Sozialhilfeabhängigkeit herauszubringen. Längst vorbei sind die Zeiten, in welchen nur der Nachweis der Arbeitssuche durch das Arbeitsamt verlangt wurde. Eigeninitiative ist gefragt. Der Hilfesuchende wird aufgefordert, Durchschriften von Bewerbungen vorzulegen. Sozialämter ermuntern Hilfeempfänger, sich gezielt auf aus der Tagespresse entnommene aktuelle Stellenangebote zu bewerben. Mit speziellen Beratungskonzepten versuchen besonders geschulte Mitarbeiter auf die Möglichkeiten einzelner Hilfeempfänger einzugehen. Angaben über schulische und berufliche Vorbildung, bisherige Tätigkeiten, aber auch über persönliche Neigungen, die familiäre Situation oder gesundheitliche Einschränkungen werden erfragt, um zu ergründen, welche Arbeitsstelle infrage kommt.

Sozialämter suchen zudem verstärkt die Zusammenarbeit mit privaten Arbeitsvermittlern. Eine private Arbeitsvermittlung ist nur eine von mehreren Möglichkeiten der Arbeitssuche. Ein Hilfeempfänger kann die ihm obliegende Mitwirkungspflicht bei der Arbeitssuche ggf. auch anderweitig erfüllen. Daher kann eine private Arbeitsvermittlung nur beauftragt werden, wenn der Hilfeempfänger zuvor schriftlich seine Einwilligung erteilt hat. Er muss über den Umfang der beabsichtigten Datenübermittlung, den Empfänger und den Verwendungszweck der Daten informiert werden. Seine Einwilligungserklärung kann er jederzeit widerrufen. Nur in den Grenzen der Einwilligung dürfen die für die Vermittlung erforderlichen Sozialdaten an die private Arbeitsvermittlung übermittelt werden, in keinem Fall die komplette Sozialhilfeakte mit einer Vielzahl von zum Teil hochsensiblen Daten.

Was ist zu tun?
Bevor eine private Arbeitsvermittlung mit der Arbeitssuche beauftragt werden kann, ist der betroffene Hilfeempfänger über Umfang, Zweck und Empfänger der Datenübermittlung zu informieren. Wenn er seine Einwilligung erklärt, kann ein Datenaustausch im erforderlichen Umfang erfolgen.

4.6.5

Diskriminierende Bestellscheine

Bei der Entscheidung, ob eine einmalige Beihilfe zur Beschaffung von Gebrauchsgütern von längerer Lebensdauer wie z. B. Elektro-Großgeräte oder Möbeln per Bestellschein oder als Barbeihilfe gewährt wird, haben die Sozialämter nicht ohne weiteres freie Hand.

Neben der monatlichen Sozialhilfeleistung, der so genannten laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt, können Hilfeempfänger einmalige Beihilfen, z. B. für Bekleidung, Hausrat oder Gebrauchsgüter von längerer Lebensdauer und höherem Anschaffungswert, beantragen. Durch Eingaben wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass viele Sozialämter pauschal und unabhängig vom Einzelfall diese Leistungen in Form von Bestell- oder Warengutscheinen gewähren. Hilfeempfänger schilderten uns wiederholt ihre Erlebnisse, wie sie mit den Bestellscheinen von Geschäft zu Geschäft wanderten, sich als Sozialhilfeempfänger zu erkennen geben mussten, Preise erfragten und von Verkäufern oder "zuhörenden” Käufern mitleidig bestaunt wurden.

Sozialleistungsträger sind bei der Wahl der Form einer einmaligen Beihilfe nicht frei. Über Form und Maß der Sozialhilfe ist vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Berücksichtigung des Einzelfalles zu entscheiden. Wünschen des Hilfeempfängers ist zu entsprechen, wenn diese angemessen sind und keine unverhältnismäßigen Mehrkosten verursachen. Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Hilfeempfängern die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen. Hierzu gehört, erwachsenen und mündigen Menschen die Möglichkeit zu belassen, im Rahmen der gesetzlich zustehenden Mittel ihre Bedarfsdeckung frei zu gestalten. Dem wird der Sozialleistungsträger dadurch gerecht, dass er die Sozialhilfe in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle in Geld gewährt. Die grundsätzliche Gewährung der Beihilfen in der Form von Bestellscheinen berücksichtigt nicht die Besonderheiten des Einzelfalles und läuft der Zielsetzung der Sozialhilfe zuwider. Eine solche Entscheidung ist ermessensfehlerhaft.

Die Gewährung von einmaligen Beihilfen in der Form von Bestellscheinen zwingt den Hilfeempfänger zur Offenbarung von besonders geschützten Sozialdaten, und zwar von Namen, Anschrift und sozialem Status gegenüber dem Geschäft. Es ist nicht entscheidend, dass der Hilfeempfänger den Bestellschein selbst übergibt, da ihm keine andere Wahl bleibt. Der Sache nach liegt eine Übermittlung von Sozialdaten durch das Sozialamt vor, die nur im Rahmen des Erforderlichen zulässig ist. Bestellscheine sind dann erforderlich, wenn z. B. die begründete Sorge besteht, dass die gewährte Hilfe nicht zweckentsprechend verwendet wird, oder dem Sozialamt hierdurch ermöglicht wird, Sozialhilfemittel, z. B. durch Rabattvereinbarungen mit dem Einzelhandel, einzusparen.

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(Rubrik: speziell für Behörden)

Was ist zu tun?
Gutscheine sollten bei der Gewährung von einmaligen Beihilfen nur in begründeten Einzelfällen benutzt werden.


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