19. Tätigkeitsbericht (1997)



4.7

Sozialwesen

4.7.1

Ein Federstrich des Gesetzgebers - Datenschutz für Sozialhilfeempfänger hat keine Konjunktur


Durch eine Änderung des Bundessozialhilfegesetzes in letzter Minute im Vermittlungsausschuß ist es den Sozialämtern nunmehr erlaubt, die Daten der Sozialhilfeempfänger mit anderen Dateien abzugleichen. Der Kritik der Datenschutzbeauftragten an bisherigen Abgleichen wurde dadurch der Wind aus den Segeln genommen.

Im 18. Tätigkeitsbericht wurde unter Tz. 4.7.1 darüber berichtet, daß ein Sozialamt unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen die Kraftfahrzeugdaten sämtlicher Sozialhilfeempfänger mit den Daten der Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle abgeglichen hatte. Zum Zeitpunkt der Prüfung war dieser Totalabgleich unzulässig. Das Sozialamt hätte nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte bei der Zulassungsstelle nachfragen dürfen, ob der Betroffene Halter eines Pkw ist. In dem konkreten Fall wurde daher die Übermittlung der Daten von 4500 Hilfeempfängern durch das Sozialamt an die Zulassungsstelle als rechtswidrig gewertet und beanstandet.

Inzwischen hat der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts eine ergänzende Vorschrift geschaffen, die künftig einen automatisierten Datenabgleich erlaubt. Sie wurde in letzter Minute durch den Vermittlungsausschuß eingefügt.

Die Tatsache, daß der Gesetzgeber hier Handlungsbedarf für eine entsprechende Regelung gesehen hat, zeigt eindeutig, daß die bisherigen Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes nicht als ausreichende Rechtsgrundlage für einen umfassenden automatisierten Abgleich angesehen werden konnten - ein schwacher Trost.

Was ist zu tun?
Das neue Gesetz läßt den Datenabgleich zu, schreibt ihn aber nicht zwingend vor. Die Sozialämter müssen entscheiden, ob sie davon Gebrauch machen wollen.


4.7.2

Was Sozialhilfeempfängern zugemutet wird

Beleidigende Sprüche an der Pinnwand des Sachbearbeiters zeigen, mit welcher Einstellung dort den Sozialhilfeempfängern begegnet wurde.

Aufgrund eines Antrags der Tochter auf Sozialhilfe sollte eine Mutter Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnis sen machen. Sie besuchte aus diesem Grund das örtliche Sozialamt und war schockiert. An der Wand gegenüber dem Besucherstuhl im Büro des Sachbearbeiters hing an einer Pinnwand folgender Text:


"Gerade entlassen? aus dem Irrenhaus?
aus dem Gefängnis?
aus dem Aufsichtsrat?

Sie denken bereits daran,
Tante Olga zu entführen?
eine Bank auszurauben?
eine Arbeit anzunehmen?

Wir haben die bessere Idee!

Sozialhilfe
mit dem geilen Wohngeld

Kommen Sie zu uns! Volle Knete ohne Plackerei

Ihr Team vom Sozialamt

Auskunft erteilt Herr XYZ"


(hier stand der Name des zuständigen Sachbearbeiters)

Die Betroffene hat sich empört über diesen Text an uns gewandt. Sie erklärte, sie sei nicht bereit, einem Amt, in dem die Hilfesuchenden zutiefst verletzt und verhöhnt werden, Auskünfte zu erteilen. Auf unsere Intervention hin wurde der besagte Text entfernt und der Mitarbeiter ermahnt.

Obwohl es hier nicht um datenschutzrechtliche Regelungen ging, hatte die Petentin recht mit ihrem Gefühl, daß Grundvoraussetzung für den Umgang mit dem Bürger und damit auch für jede faire Datenerhebung die Achtung und der Respekt vor dem Menschen sein muß. Nur dann kann vom Bürger verlangt werden, daß er der Behörde auch sensible Daten offenbart.

4.7.3

Der Vermieter muß nicht alles wissen

Die Wohngeldstelle muß die Daten, die zur Bearbeitung eines Wohngeldantrages notwendig sind, grundsätzlich beim Betroffenen erheben. Der Vermieter muß von dem Vorgang keine Kenntnis bekommen, wenn der Mieter die notwendigen Angaben selbst machen kann.

Eine Petentin beschwerte sich darüber, daß die Wohngeldstellen bei Wohngeldanträgen bestimmte Daten durch die Mieter mit einem Vordruck beim Vermieter erheben lassen. Das Formular ist mit folgendem Text überschrieben: "Zur Vorlage bei der Wohngeldstelle", enthält den Namen des Mieters und ist häufig mit dem Hinweis auf die Strafbarkeit unrichtiger Angaben versehen.

Es wird der Eindruck erweckt, die Angaben müßten immer beim Vermieter eingeholt werden. Dies widerspricht aber dem Grundsatz, daß Sozialdaten vorrangig beim Betroffenen zu erheben sind. Antragsteller sollen selbst darüber entscheiden, wer erfährt, daß sie Wohngeld beantragt haben. Der beschriebene Vordruck läßt nicht erkennen, daß der Betroffene eine Wahlmöglichkeit hat, denn erforderlich ist die Einschaltung des Vermieters nur, wenn der Mieter die erforderlichen Angaben für die Wohngeldberechnung nicht selbst machen und belegen kann.


Der Innenminister teilt unsere Auffassung und hat die Wohngeldstellen darauf hingewiesen, daß sie dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen haben, alle notwendigen Angaben selbst zu erbringen.

Was ist zu tun?
Die Wohngeldstellen müssen den Hinweis des Innenministers beachten und Wohngeldantragsteller darauf aufmerksam machen, daß es ihnen freigestellt ist, die notwendigen Informationen selbst zu geben oder beim Vermieter einzuholen.


4.7.4

Schwierige Abwägung bei der Akteneinsicht

Auch in Sorgerechtsfällen besteht ein Akteneinsichtsrecht. Allerdings müssen die Belange der Betroffenen sorgfältig abgewogen werden. Die Jugendämter müssen die Namen von Informanten nicht preisgeben, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte für eine vorsätzliche oder fahrlässige Falschinformation vor.

Im Rahmen der Auseinandersetzungen um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter hatte ein Vater Akteneinsicht in die Akten des Allgemeinen Sozialdienstes beim Jugendamt beantragt. Die Ehefrau hatte der Einsichtnahme in die betreffenden Aktenteile nicht zugestimmt. Als der Kreis sich an uns wandte, wiesen wir auf folgendes hin:

In solchen Fällen kann die Lösung nur im Rahmen einer Güterabwägung gefunden werden, um dem Spannungsfeld zwischen den Interessen der Beteiligten oder Dritten und dem Recht des Betroffenen auf Akteneinsicht gerecht zu werden. Das Recht auf Akteneinsicht darf allerdings nur in dem Umfang beschränkt werden, wie die berechtigten Interessen dies erfordern, so daß in der Regel zumindest eine Teileinsicht zu gewähren ist. Es ist jeweils bezogen auf das einzelne Schriftstück zu prüfen, ob die Auskunftserteilung gegen die berechtigten Interessen der Dritten verstößt. Wir haben den Kreis gebeten, unter Berücksichtigung dieser Aspekte eine Entscheidung zu treffen.

In einem anderen Fall trennte sich die Ehefrau von ihrem Mann und verließ mit den Kindern die gemeinsame Wohnung. Sie ging in eine andere Stadt, wo sie in einem Frauenhaus Unterkunft fand. Der Vater versuchte daraufhin einen Gerichtsbeschluß gegen seine Ehefrau auf Herausgabe der beiden Kinder zu erwirken.

Das Jugendamt machte in seinem Bericht für das Gericht geltend, daß der Vater nicht in der Lage sei, verantwortlich für seine Kinder zu sorgen. Daraufhin wurde das Sorgerecht der Mutter zugesprochen. Der Vater begehrte nach dieser Entscheidung Einsicht in die Jugendamtsakte, da nach seiner Auffassung die zuständige Sachbearbeiterin in ihrem Bericht an das Gericht wahrheitswidrige Beschuldigungen Dritter berücksichtigt habe. Dies wurde abgelehnt.

Das Ergebnis unserer datenschutzrechtlichen Überprüfung lautete: Obwohl grundsätzlich ein Auskunftsanspruch bestand, überwog das Geheimhaltungsinteresse des Jugendamtes. Es darf Hinweise dann speichern, wenn dies erforderlich ist, um Gefährdungen des Kindeswohls abzuwehren (vgl. auch Tz. 4.7.5). Die Zusicherung der Vertraulichkeit kann dabei angemessen sein. Da solche Hinweise oftmals aus der Nachbarschaft oder eventuell aus dem familiären Umkreis stammen, kann es angezeigt sein, dem Informanten durch die vertrauliche Behandlung der Informationen die Möglichkeit eines weiteren friedlichen Zusammenlebens mit den betroffenen Familien zu erhalten. Die Bereitwilligkeit potentieller Auskunftspersonen zur Zusammenarbeit würde nachlassen, wenn bekannt werden würde, daß vertrauliche Mitteilungen vom Jugendamt ohne weiteres preisgegeben werden.

Auf die Zusicherung der Vertraulichkeit kann sich allerdings nicht verlassen, wer wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Informationen gegeben hat. Es liegt nicht im öffentlichen Interesse, Denunzianten, die wahrheitswidrige Angaben machen, zu schützen. Im konkreten Fall waren keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Informanten wahrheitswidrige Angaben gemacht haben. Die Verweigerung der Auskunft war daher datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden.

Was ist zu tun?
Die Jugendämter dürfen bei der Gewährung von Akteneinsicht in Sorgerechtsfällen nicht schematisch verfahren, sondern müssen die Interessen der Beteiligten sorgsam abwägen.


4.7.5

Wenn das Jugendamt im Kindergarten nachfragt

Das Jugendamt darf nur in begründeten Fällen Daten ohne Einwilligung der Betroffenen bei Dritten erheben. Private Kindergärten haben keine Auskunftspflicht. Sie dürfen Auskunft geben, wenn es im Interesse des Kindes notwendig ist, z.B. bei Verdacht auf Kindesmißhandlung.

Im Sozialdatenschutzrecht gilt der Grundsatz, daß Daten vorrangig beim Betroffenen zu erheben sind. Wenn es um Hilfeleistungen geht, können die Informationen in der Regel nur beim Betroffenen eingeholt werden, denn er selbst entscheidet darüber, ob er Hilfe für sich bzw. seine Familie in Anspruch nehmen möchte. Da Leistungen nicht aufgedrängt werden können, verbietet sich eine Datenerhebung hinter dem Rücken der Betroffenen. Vor allem birgt aber eine heimliche Datenerhebung die Gefahr in sich, daß die Betroffenen sich hintergangen fühlen und nicht mehr bereit sind, mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten.

Was aber kann das Jugendamt unternehmen, wenn es befürchtet, daß das Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht bereit sind, die Situation für das Kind zu ändern? Kann es dann z.B. bei privaten Kindergärten Informationen einholen, und sind die Kindergärten zu einer Antwort verpflichtet? Eine Datenerhebung bei Dritten kommt nur in Betracht, wenn das Kind oder der Jugendliche sich nicht in der Obhut der Eltern befindet, also z.B. von zu Hause ausgerissen ist. Ansonsten hat das Jugendamt durch die Kontaktaufnahme mit den Eltern zu klären, ob das Wohl des Kindes gefährdet ist. Erhärtet sich dabei der Verdacht, daß z.B. das Kind mißhandelt wird, so hat das Jugendamt das Vormundschaftsgericht anzurufen.

In den Fällen, in denen das Jugendamt die Daten bei Dritten erheben darf und dies auch erforderlich ist, darf es z.B. auch im Kindergarten nachfragen. Die Verantwortlichen im Kindergarten müssen dann selbst entscheiden, ob sie über das Kind Auskunft geben. Es ist ihnen erlaubt, wenn es im Interesse des Kindes oder der Allgemeinheit liegt. Davon ist bei Verdacht auf Kindesmißhandlung regelmäßig auszugehen.

Was ist zu tun?
Jugendämter müssen zunächst immer versuchen, mit den Eltern Kontakt aufzunehmen.


4.7.6

Verarbeitung von Versichertendaten im Auftrag

Die Kontrolle einer Krankenkasse förderte Mängel bei der Gestaltung der Auftragsdatenverarbeitung zutage.

Bei der Überprüfung der Arbeitsabläufe in einer Krankenkasse ergab sich, daß man sich eines Rechenzentrums in Nordrhein-Westfalen bediente. Für eine derartige Verarbeitung von Versichertendaten gelten die besonderen Bestimmungen des Sozialgesetzbuches für die Verarbeitung von Sozialdaten im Auftrag. Diese wurden von der geprüften Kasse allerdings nicht eingehalten:

  • Es war versäumt worden, dieses Auftragsverhältnis rechtzeitig dem Sozialministerium anzuzeigen.

  • Der geschlossene Vertrag trug nicht der Tatsache Rechnung, daß für die Einhaltung der Datenschutzvorschriften die schleswig-holsteinische Krankenkasse verantwortlich bleibt. Es fehlten z.B. Vereinbarungen über die technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Datensicherheit. Der Vertrag enthielt nur die allgemeine Klausel: "Das Rechenzentrum wird bei der nach diesem Vertrag auftragsweise durchzuführenden Datenverarbeitung die Bestimmungen für den Datenschutz und Datensicherung berücksichtigen".

Bislang hat die Krankenkasse die Mängel in der Vertragsgestaltung noch nicht beseitigt.


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