18. Tätigkeitsbericht (1996)



4.7

Sozialwesen

4.7.1

Prüfung eines Sozialamtes fördert Umgehung von gesetzlichen Bestimmungen zutage


Ob Sozialhilfeempfänger gleichzeitig Halter von Kraftfahrzeugen sind, darf nur im Einzelfall beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für Sozialleistungsbetrug ermittelt werden. Ein Sozialamt setzte sich über diese gesetzlichen Bestimmungen hinweg.

Bei der Diskussion über unseren Sozialstaat spielt ein Thema immer wieder eine besondere Rolle: Die rechtswidrige Inanspruchnahme von Sozialleistungen. So hält sich hartnäckig das Bild des Sozialhilfeempfängers, der bequem im eigenen Auto vorfährt, um staatliche Leistungen zu kassieren.

In einer kreisfreien Stadt sollte diesem Gerücht endlich einmal auf den Grund gegangen werden. Bestärkt fühlte man sich durch die letzten Änderungen der Sozialhilfevorschriften, die die unrechtmäßige Inanspruchnahme sozialer Leistungen eindämmen sollen und deshalb zahlreiche neue Datenerhebungs- und -übermittlungsvorschriften enthalten. Der Gesetzgeber läßt einen automatisierten Datenabgleich allerdings nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte zu. Trotzdem übergab das Sozialamt der Zulassungsstelle eine Liste mit den Namen, Vornamen und Adressen aller volljährigen Hilfeempfänger (ca. 4 500). Die Angestellten der Zulassungsstelle waren nun mehrere Tage damit beschäftigt, einzeln zu überprüfen, welcher Sozialhilfeempfänger als Halter eines Pkw eingetragen war. Dies traf bei 546 Personen zu. Bei wie vielen Fällen aber tat-

sächlich Sozialleistungen zu Unrecht gezahlt worden sind, stand bei Fertigstellung dieses Berichts noch nicht fest.


Die Übermittlung der Daten von allen 4 500 Hilfeempfängern durch das Sozialamt an die Zulassungsstelle war rechtswidrig und mußte von uns beanstandet werden. Denn der Sache nach wurden hier die Bestimmungen umgangen, die einen automatisierten Abgleich nicht zulassen.

4.7.2

Weitergabe einer Telefonnummer durch das Jugendamt mit fatalen Folgen

Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes wollte gefällig sein und gab die Telefonnummer einer getrennt lebenden Ehefrau an den Ehemann weiter. Dies hatte zur Folge, daß die Frau ihre Wohnung verlassen und sich wochenlang verborgen halten mußte.

Weil sie von ihrem getrenntlebenden Ehemann erheblich bedroht wurde, war eine Petentin umgezogen, hatte sich eine neue Telefonnummer geben lassen und eine Auskunftssperre beim Melderegister beantragt. Dennoch teilte die Sachbearbeiterin des zuständigen Jugendamtes dem Ehemann die neue Telefonnummer aus Gefälligkeit mit. Dieser terrorisierte die Petentin nun nicht nur mehrmals täglich mit Anrufen, sondern er zeigte solange Fotos seiner Frau in ihrem Wohnort, den er anhand der Vorwahl ausfindig gemacht hatte, herum, bis er ihre neue Adresse ausfindig gemacht hatte. Anschließend suchte er sie auf, um sie erneut zu bedrohen. Mehrfach mußte die Polizei gerufen werden, weil er sich weigerte, die Wohnung zu verlassen. Die Petentin und ihr Sohn verbrachten zwei Tage beim Kinderschutzbund. Danach war die Petentin ohne feste Bleibe, da sie sich nicht mehr in ihre Wohnung zurücktraute.

Entgegen der Annahme des Jugendamtes ist auch die Telefonnummer ein Sozialdatum, das nur dann übermittelt werden darf, wenn eine gesetzliche Befugnis vorliegt oder die Betroffene eingewilligt hat. Beides war hier nicht der Fall.


Die Übermittlung war daher unzulässig und stellte einen Verstoß gegen das Sozialgeheimnis dar, den wir beanstandet haben. Auskünfte über den Aufenthaltsort von Personen dürfen grundsätzlich nur von den Meldebehörden erteilt werden, denn nur dort sind evtl. Auskunftssperren vermerkt.

Was ist zu tun?
Die Behörde sollte versuchen, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen.

4.7.3

Unbefugte Übermittlung von Sozialdaten an einen Zahnarzt

Das Sozialamt darf Ärzte nicht darüber unterrichten, daß Antragstellern die Übernahme von Kostenanteilen im Rahmen der Krankenhilfe abgelehnt worden ist.

Ein Kreissozialamt, das einen Antrag auf Übernahme der Restkosten einer Zahnbehandlung abgelehnt hatte, übersandte eine Durchschrift des Bescheides dem behandelnden Zahnarzt, der den Heil- und Kostenplan erstellt hatte, zur Kenntnisnahme und war verunsichert, als der Antragsteller sich hierüber beschwerte. Im Rahmen unserer Beratung haben wir folgende Position vertreten:


In der Übersendung einer Durchschrift des Ablehnungsbescheides an den behandelnden Zahnarzt lag in der Tat eine unzulässige Übermittlung von Sozialdaten vor. Zwischen dem Sozialamt und dem behandelnden Zahnarzt bestanden nämlich überhaupt keine rechtlichen Beziehungen. Es hätte somit der ausdrücklichen Einwilligung des Betroffenen bedurft. Das Kreissozialamt hat diese durch die standardisierte Schweigepflichtentbindungsklausel im Antragsformular des Sozialhilfeträgers als gegeben angesehen. Diese Einwilligung gestattet jedoch lediglich dem Arzt, Auskunft über Fakten zu erteilen, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, dem Sozialamt entsteht daraus keinerlei Auskunftsrecht.

4.7.4

Hilfeempfänger bloßgestellt


Das Sozialamt darf nicht über den Kopf der Hilfeempfänger hinweg mit Dritten in Kontakt treten.

Ein Sozialhilfeempfänger erhielt vom Sozialamt Eingliederungshilfe zum Besuch einer beruflichen Fachschule. Diese Schule befand sich nicht an seinem Wohnort. Weil der Petent nicht erreichbar war, ließ ihm das Sozialamt seiner Heimatgemeinde wiederholt telefonisch Nachrichten über die Fachschule zukommen, z.B. daß ein Termin zwecks Besichtigung des Möbellagers zu vereinbaren sei. Daneben wurden Anfragen an die Schule gerichtet, die zwar abstrakt formuliert waren, bei denen jedoch ein Rückschluß auf den Hilfeempfänger ohne weiteres möglich war. Hierüber beschwerte er sich zu Recht.

Die über die Schule geleiteten Benachrichtigungen stellen eine unbefugte Übermittlung von Sozialdaten dar. Die Unterrichtung hätte durchaus auf schriftlichem Wege erfolgen können. Die Mitteilungen waren als unbefugte Weitergabe von Sozialdaten zu beanstanden.


Bei der Prüfung von Sozialhilfeakten ergab sich ferner, daß Auskünfte bei Dritten zur Klärung bestimmter Zweifelsfragen ohne Kenntnis der Betroffenen eingeholt wurden. Fragt das Sozialamt bestimmte Informationen über jemanden ab, so ist damit gleichzeitig die Offenbarung der Tatsache verbunden, daß diese Person mit dem Sozialamt in Kontakt steht. Bereits dies fällt unter das Sozialgeheimnis. Meist ist jedoch der Datenumfang wesentlich größer. Beantragt z.B. jemand einen Zuschuß zu seiner Hausratversicherung, so wird durch die Nachfrage beim Versicherer, welche

 

Beträge für die einzelnen Risikenanzusetzen sind, der Gesamtumfang des Antrags auf Sozialleistung dem Versicherer gegenüber deutlich gemacht. Derartige Vorgehensweisen sind ausschließlich mit Einverständnis des Betroffenen zulässig. Wir haben deshalb Beanstandungen ausgesprochen und die Sozialämter darauf hingewiesen, daß die Einverständniserklärungen der Hilfeempfänger in der Akte zu dokumentieren sind.

Was ist zu tun?
Die Sozialämter sollten sich konsequenter an das Gebot halten, Daten zuallererst beim Betroffenen zu erheben.

4.7.5

Weitergabe von Sozialdaten an Wohnungsbaugesellschaften

Das Sozialamt darf Wohnungsbaugesellschaften keine Listen von wohnungssuchenden Sozialhilfeempfängern ohne deren Einwilligung übermitteln.

Eine Sozialhilfeempfängerin beschwerte sich darüber, daß das Sozialamt Wohnungsbaugesellschaften Listen von wohnungssuchenden Sozialhilfeempfängern zugesandt habe, in denen auch ihr Name und ihre Adresse enthalten seien. Das Sozialamt erklärte dazu, die betroffene Hilfeempfängerin wohne in einer zu teuren Wohnung, und die Stadt habe Belegungsrechte nach dem Wohnungsbindungsgesetz für Wohnungen der fraglichen Wohnungsbaugesellschaft.

Alle Daten über Sozialhilfeempfänger, also auch Name, Anschrift sowie Angaben zum Familienstand, unterliegen dem Sozialgeheimnis und dürfen Dritten nur offenbart werden, soweit hierfür eine spezielle gesetzliche Befugnis oder die Einwilligung der betroffenen Hilfeempfänger besteht. Die Übermittlung von Sozialdaten an private Wohnungsbaugesellschaften war nicht zulässig.


Das Sozialamt kann nämlich von Hilfeempfängern verlangen, daß diese selbst die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Mietkosten zu senken. Daraus folgt, daß das Sozialamt die Hilfeempfänger auffordern kann, sich bei den konkret benannten Wohnungsbaugesellschaften, für die die Stadt Belegungsrechte hat, zu bewerben und Nachweise über die erfolgte Bewerbung vorzulegen.

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