17. Tätigkeitsbericht (1995)



4.4

Justizverwaltung

4.4.1

GAST

Für das staatsanwaltschaftliche System zur Geschäftsstellenautomation (GAST) existiert immer noch keine Rechtsgrundlage. Der Übergangsbonus ist nach unserer Ansicht abgelaufen.

Bereits in den letzten Tätigkeitsberichten (vgl. z.B. 16. TB, Tz. 4.3.1) hatten wir zur fehlenden Rechtsgrundlage für das GAST-System Stellung genommen. An der dort beschriebenen Situation hat sich bis heute nichts geändert. Nach wie vor werden in GAST die Daten der Personen gespeichert, gegen die in Schleswig-Holstein ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Für diesen hochsensiblen Datenbestand gibt es keine Rechtsgrundlage. Mit dem Ablauf der 12. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages dürfte auch der sogenannte "Übergangsbonus" abgelaufen sein.

Auch wenn einige Gerichte in den letzten Jahren den Übergangsbonus noch bejaht hatten, so kann dieser Zustand nicht zu einer Quasi-Rechtsgrundlage auf Dauer umgedeutet werden. Fraglich erscheint auch, ob aus dieser Richtung weiterhin mit Schützenhilfe für die Staatsanwaltschaft gerechnet werden kann. So hatte das OLG Frankfurt bereits 1987 in einer Entscheidung zu den zentralen Namenskarteien der Staatsanwaltschaften in Hessen ausgeführt: "Diese Frist ist jedoch zu begrenzen. Als geeigneter Anknüpfungspunkt kommt das Ende der laufenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages im Jahre 1990 in Betracht."

Auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht ging im März 1993 noch von einer Fortdauer des Übergangsbonus aus, konnte dies jedoch nur noch mit vorrangigem Gesetzgebungsbedarf anläßlich der Deutschen Einheit sowie der zwingenden Erforderlichkeit dieser Daten für eine effektive Strafverfolgung begründen.

Derselbe Senat des OLG Frankfurt, der den Übergangsbonus bis 1990 befristet hatte, sah sich im Jahre 1994 erneut mit dieser Frage befaßt. Zur Begründung, warum der von ihm selbst gesetzte Ablaufzeitpunkt nicht zu einer Rechtswidrigkeit der zentralen Namenskarteien führte, zog das Gericht u.a. auch die Argumente des Schleswiger Urteils heran. Doch auch hier machte das Gericht deutlich, daß an eine endlose Ausdehnung des Übergangsbonus nicht zu denken ist. Es ging vielmehr zum Entscheidungszeitpunkt (am 19.05.1994) davon aus, es sei vertretbar, "bei zügiger Weiterverfolgung des jetzigen Gesetzesvorhabens der Länder die Übergangsfrist (noch) nicht als abgelaufen anzusehen". Außerdem müßten die Vorschläge der Datenschutzbeauftragten in die Gesetzgebung einfließen.

Von einer "zügigen" Weiterarbeit an der Vorlage der Bundesländer und ihrer datenschutzrechtlichen Verbesserung kann jedoch keine Rede sein. Statt dessen wurde der bis dahin vorliegende, ohnehin inakzeptable Entwurf weiter verschlechtert und kurz vor Ende der Legislaturperiode mit der Stimme Schleswig-Holsteins als Bundesratsentwurf eingebracht. Dieser Entwurf, der datenschutzrechtlich jeder Beschreibung spottet, schmort nunmehr in den Gremien.

Statt dessen wurden inzwischen Vorschriften über die Errichtung eines bundeseinheitlichen staatsanwaltschaftlichen Informationssystems verabschiedet. Darin werden die Rechtsgrundlagen für ein Register aller in der Bundesrepublik geführten und noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren gelegt. Der Bund hat also insoweit von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, aber ein ganz anderes System als GAST zugelassen. Er hat sich dafür entschieden, das derzeitige GAST-Verfahren nicht auf eine bundesrechtliche Grundlage zu stellen, sondern ausschließlich einen bundesweiten Überblick über alle anhängigen Ermittlungsverfahren zuzulassen. Da GAST weit darüber hinausgeht und auch die Daten von abgeschlossenen Ermittlungsverfahren enthält, stehen die neuen bundesrechtlichen Vorschriften GAST sogar entgegen. In dieser Situation ist nach unserer Auffassung eine weitere Berufung auf den "Übergangsbonus" nicht möglich.

Nach diesen Erfahrungen mit GAST verdienen die neuen Automationsvorhaben des Justizministers (vgl. Tz. 4.4.2) besondere Beachtung. Es ist hier nachdrücklich davor zu warnen, mit Millionenaufwand weitere Syteme ohne Rechtsgrundlage zu schaffen. Ein Übergangsbonus steht für neue Verfahren nicht zur Verfügung!

Da nach den Erfahrungen in den vergangenen 12 Jahren und nach der Entscheidung für ein andersgeartetes bundesweites staatsanwaltschaftliches Verfahren vom Bundesgesetzgeber keinerlei schnelle Hilfe mehr erwartet werden kann, muß nun der schleswig-holsteinische Gesetzgeber endlich handeln.

4.4.2

Neue Automationsvorhaben der Justiz

Unter der Bezeichnung "Staatsanwaltschaft 2000" werden die Staatsanwaltschaften flächendeckend mit vernetzten Personalcomputern ausgestattet. Für die Gerichte wird das Automationssystem "MEGA" entwickelt.

Mit hohem finanziellen Aufwand bemüht sich der Justizminister, in allen Arbeitsbereichen der Justiz neue Ressourcen durch erweiterte EDV-Unterstützung zu gewinnen. So werden in absehbarer Zeit alle Staatsanwälte des Landes über Arbeitsplatzrechner verfügen, mit deren Hilfe sie nicht nur Textverarbeitung betreiben, sondern auch andere Formen der EDV-gestützten verfahrensbegleitenden Bearbeitung durchführen können.

Dieselben Bestrebungen laufen bei den Gerichten. Dort soll nun eine automatisierte Unterstützung für die Geschäftsstellen geschaffen werden. Bei dem neuen Konzept wird besonderer Wert auf die vollständige Integration auch des Richterarbeitsplatzes gelegt.

Es stellt sich zunächst die Frage nach den Rechtsgrundlagen. Seit Jahren weisen wir auf die fehlenden gesetzlichen Vorschriften für das GAST-System hin (vgl. Tz. 4.4.1). Ebensowenig wie die Strafprozeßordnung enthalten die anderen Prozeßordnungen Vorschriften, die unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Verarbeitung personenbezogener Daten präzise regeln. Nach der neuen Datenschutzverordnung kann ein Automationsvorhaben nur dann als ordnungsgemäß angesehen werden, wenn es auf einwandfreien gesetzlichen Grundlagen beruht. Mit den derzeitigen Investitionen im Justizbereich geht das Land jedenfalls dann ein Risiko ein, wenn mit der Automatisierung auch neuartige Nutzungen verbunden sind.

4.4.3

Strafakten werden zu lange aufbewahrt

Auch die Aufbewahrung von hochsensiblen Informationen aus Straf- oder anderen Prozessen in Akten greift in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger ein. Gesetzliche Vorschriften darüber, wie lange solche Vorgänge aufzubewahren sind, existieren jedoch nicht.

Nicht nur für die Löschung von personenbezogenen Daten in Dateien und EDV-Systemen gilt der Grundsatz "so früh wie möglich", sondern auch für die Vernichtung von Akten. Die Verwaltungsanweisungen der Justiz enthalten zwar Fristen für die Aktenvernichtung, diese sind jedoch in zahlreichen Fällen viel zu lang. So werden z.B. unterschiedslos alle Entscheidungen, in denen auf Strafe erkannt worden ist, mindestens 30 Jahre aufbewahrt, unabhängig davon, ob es um eine geringe Geldstrafe oder eine lange Freiheitsstrafe geht.

Spezielle Regelungen für Schleswig-Holstein sind bisher vom Justizminister und vom Generalstaatsanwalt mit der Begründung abgelehnt worden, hier sei eine bundesweite Einigung erforderlich. Es ist jedoch aus unserer Sicht nicht einzusehen, daß man nunmehr über viele Jahre diskutiert und nicht zu einem Ergebnis kommt, obwohl die datenschutzrechtlichen Anforderungen auf dem Tisch liegen. Hierbei handelt es sich im wesentlichen umfolgende Punkte:

  • Die Aufbewahrungsfristen müssen auf ihre Erforderlichkeit überprüft werden. Dabei sind das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Resozialisierungsinteresse der Betroffenen angemessen zu berücksichtigen.

  • Bei der Festlegung der Fristen muß stärker differenziert werden. Es geht nicht an, daß die Speicherfrist für den Diebstahl von geringwertigen Sachen gleich lang ist wie bei einem Kapitaldelikt.

  • Bei der Berechnung der Speicherfrist muß an den Termin der Rechtskraft der Entscheidung angeknüpft werden und nicht wie bisher an die letzte aktenmäßige Bearbeitung des Falles.

  • Bei ausnahmsweiser Speicherung trotz Freispruch oder Einstellung des Verfahrens sind besondere Schutzvorkehrungen zu treffen, damit nicht durch die Speicherung der Verdacht aufrechterhalten wird.

  • Bei Akten, die mehrere Täter betreffen, muß bei der Berechnung der Speicherfristen differenziert werden. Gegebenenfalls sind Aktenteile nach Ablauf einer (Teil-)Speicherungsfrist zu sperren.


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