15. Tätigkeitsbericht (1993)



4.2

Kommunalrecht

4.2.1

Erste Erfahrungen bei der Anwendung des neuen Datenschutzrechts

Kommunalverwaltungen haben noch Probleme mit den neuen Bestimmungen des LDSG. Insbesondere bei der Information der Bürger bei freiwilligen Umfragen, bei der Beachtung der Zweckbindung und bei der Transparenz der Datenverarbeitung für die Betroffenen bestehen Defizite.

Auch das neue Landesdatenschutzgesetz geht von dem Grundsatz aus, daß die Verarbeitung personenbezogener Daten generell unter Erlaubnisvorbehalt steht und entweder der Einwilligung des Betroffenen oder einer normenklaren Rechtsvorschrift als Ermächtigungsgrundlage bedarf. Im Selbstverwaltungsbereich der Kommunen haben sich in diesem Punkt Schwierigkeiten ergeben.

Daß der Verwaltung nicht nur die zu erfüllenden Aufgaben zu übertragen sind, sondern gleichzeitig auch zu regeln ist, in welchem Umfang in diesem Zusammenhang personenbezogene Daten verarbeitet werden dürfen, ist im kommunalen Satzungsrecht bisher nur spärlich berücksichtigt. Auch eine Verwendung von Daten, die die Kommune in anderem Sachzusammenhang erhoben hat, ist nach dem Zweckbindungsgrundsatz des LDSG nur noch möglich, wenn dafür eine ausdrückliche Befugnis z. B. im Satzungsrecht vorhanden ist. Die nachfolgenden Beispiele aus der Praxis verdeutlichen die aufgetretenen Schwierigkeiten.

4.2.1.1

Einführung einer Sozialstaffel für Elternbeiträge im Kindergarten

Eine Stadt wollte Kindergartenentgelte sozial verträglich gestalten. Sie bat die Eltern um freiwillige Angaben zum Einkommen. Ohne ausreichende Erläuterung der Freiwilligkeit, des Zwecks und des Verfahrens der Umfrage war diese Datenerhebung unzulässig.

In einer Stadt war beabsichtigt, im Rahmen der Förderung von Kindergartenplätzen, eine Sozialstaffel für die zu erhebenden Elternbeiträge einzuführen. Die Höhe der Förderung an den privaten Kindergartenträger sollte künftig von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern abhängig gemacht werden. Da man über keinerlei Berechnungsgrundlagen für die Ausgestaltung der Sozialstaffel verfügte, startete man noch vor der Beschlußfassung über die Satzung eine Umfrageaktion bei den Eltern. Bei dieser Datenerhebung wurde offengelassen, ob die Preisgabe der Daten auf freiwilliger Grundlage erfolgen sollte. Viele Betroffene haben in Anbetracht des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses die geforderten Daten geliefert, wollten sie doch bei der Verteilung der knappen Kindergartenplätze kein Risiko eingehen.

Die datenschutzrechtliche Prüfung auf Wunsch einiger Eltern ergab, daß keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zur Datenverarbeitung vorhanden war, da weder eine rechtswirksame Einwilligung der Betroffenen noch eine rechtskräftige Satzung vorlag. Die von der Stadt in unzulässiger Weise verarbeiteten Daten mußten gelöscht werden.

4.2.1.2

Führung eines kommunalen Grundstückseigentümerverzeichnisses und Zweckbindung der Daten

Immer mehr Gemeinden gehen dazu über, Verzeichnisse über Grundstückseigentümer anzulegen. Hierfür bedarf es ausreichender Rechtsgrundlagen, die sich auch aus kommunalen Satzungen ergeben können.

Ob es um die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen, Kanalbenutzungsgebühren, die Umsetzung einer Baumschutzsatzung oder ähnliches geht, die Kommunen benötigen häufig zur Erfüllung ihrer Aufgaben Angaben über die Eigentumsverhältnisse an Grundstücken. Um sich eine Vielzahl von zeitaufwendigen Anfragen beim Grundbuchamt zu ersparen, werden in den meisten Verwaltungen sogenannte Grundstückseigentümerverzeichnisse geführt. Grundsätzlich bestehen aus datenschutzrechtlicher Sicht keine Bedenken dagegen, wenn solche Verzeichnisse geführt werden, wenn dafür eine Rechtsgrundlage besteht. Diese kann sich auch aus kommunalem Satzungsrecht ergeben. Aus der Regelung muß hervorgehen, daß die Gemeinde ein Grundstückseigentümerverzeichnis führen darf, aufgrund welcher Datenquellen dieses Verzeichnis aufgestellt und aktualisiert wird, sofern sich dies nicht bereits aus anderen Vorschriften ergibt und zu welchen Zwecken es genutzt werden soll.

Zur Aktualisierung dieser Verzeichnisse greifen z.B. viele Gemeinden auf die Grundstückskaufverträge zu, die ihnen zur Ausübung des Vorkaufsrechts nach dem Baugesetzbuch zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist aber zu bedenken, daß sich aus diesen Verträge die Eigentumsverhältnisse nicht zuverlässig ergeben. Auch dies muß in der kommunalen Satzung geregelt werden. Werden sie gleichwohl in der beschriebenen Weise genutzt, so liegt darin eine Zweckänderung, die in der Satzung geregelt sein muß.

Ähnliche Fragestellungen ergeben sich, wenn in dieser Weise auf bereits vorhandene Bauakten zugegriffen werden soll. Entsprechendes gilt, wenn Daten über den Frischwasserbezug, die zunächst nur für die Berechnung der Wassergebühren erhoben werden, gleichzeitig für die Berechnung der Abwassergebühren zugrunde gelegt werden sollen.

4.2.1.3

Transparenz der Datenverarbeitung für den Bürger

Der Bürger muß bei der Datenerhebung über den Zweck und weitere Einzelheiten aufgeklärt werden. Verletzungen des Transparenzgebotes können empfindliche Auswirkungen haben.

Um den Bürger über die Verwendung seiner Daten bei der datenverarbeitenden Stelle zu unterrichten, wurde in das Datenschutzrecht die Verpflichtung für die Behörde aufgenommen, Betroffene bereits bei der Datenerhebung über die Ermächtigungsgrundlage sowie über Zweck und Umfang der Datenverarbeitung im Einzelfall aufzuklären. Daraus folgt, daß er zum frühestmöglichen Zeitpunkt informiert werden muß, wenn die Daten bei anderen Stellen und ohne seine Kenntnis erhoben werden. Versäumnisse in dieser Hinsicht können unter Umständen spürbare Auswirkungen für die Behörde mit sich bringen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt.

In manchen Gemeinden müssen Vermieter die Kurverwaltung unterrichten, wenn ihnen der Gast keine Kurkarte vorlegt. Die Gemeinde darf diese Daten nur verwenden, wenn sie den Kurgast umgehend über die Datenerhebung unterrichtet. Anderenfalls sind die Daten zu löschen und die Kurabgabe geht verloren.

Um eine umfassende Überwachung der Kurabgabeerhebung zu gewährleisten, wurden in einer Kommune die Kurgäste durch die Kurabgabesatzung verpflichtet, ihre Kurkarte innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft dem örtlichen Vermieter vorzulegen. Wurde dies versäumt, war der Vermieter verpflichtet, eine Kontrollmitteilung an die Kurverwaltung zu fertigen.

Ein Kurgast bezweifelte, daß für ihn überhaupt eine Verpflichtung zur Zahlung der Kurabgabe bestand. Da er weder zur Zahlung aufgefordert oder gar gemahnt wurde, sah er auch keine Veranlassung, sich deshalb mit der Kurverwaltung auseinanderzusetzen. Was er jedoch nicht wußte, war, daß sein Vermieter nach Ablauf der 24-Stundenfrist eine Kontrollmitteilung schrieb. Um so mehr mußte es ihn überraschen, als er zwei Monate nach seinem Aufenthalt in Schleswig-Holstein plötzlich einen Nachveranlagungsbescheid zur Kurabgabe in Händen hielt.

Nach dem Transparenzgebot des LDSG war die Kurverwaltung verpflichtet, den Betroffenen über die Datenerhebung beim Vermieter, die ja ohne seine Kenntnis erfolgt ist, aufzuklären. Da dies nicht geschehen ist, sind die Daten in unzulässiger Weise erhoben worden, durften deshalb nicht gespeichert werden bzw. mußten gelöscht werden. Die Kenntnis über Name und Anschrift des Betroffenen war damit für die Behörde unwiederbringlich verloren. Dem Kurabgabebescheid war mit der Löschung der Daten des Adressaten die entscheidende Grundlage entzogen.

Gerade dieser Fall zeigt, daß es sich bei dem Transparenzgebot des LDSG um mehr als nur um einen rein formalen Akt handelt. Wäre der Betroffene frühzeitig über das auf der Grundlage der Kurabgabesatzung durchgeführte Kontrollverfahren unterrichtet worden, hätte er rechtzeitig noch während seines Ferienaufenthaltes klären können, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang tatsächlich eine Kurabgabepflicht bestand. So aber ist er davon ausgegangen, daß er sich diesem Problem gar nicht zu stellen brauchte. Bei einer ordnungsgemäßen Beachtung des Transparenzgebotes dürfte sich ohnehin der Anteil der Kurgäste, die ihre Kurabgabe nicht rechtzeitig bezahlen, erheblich verringen lassen. Für die Kurverwaltung dürfte dadurch im Ergebnis sogar ein wirtschaftlicher Vorteil erreicht werden können.

4.2.2

Geschiedene als Objekt der empirischen Sozialforschung

Eine Universität möchte im Rahmen eines Forschungsprojekts Einwohner befragen, deren Ehe geschieden wurde. Eine Zusammenstellung von Anschriften solcher Einwohner aus dem Melderegister zu Forschungszwecken ist nach dem Melderecht nicht zulässig, weil nicht erforderlich, wenn sie nur der Arbeitserleichterung für die Forschungsstelle oder der Kostenreduzierung dient.

In einer Studie "Partnerschaft im Wandel" will eine deutsche Universität Gründe und Ursachen von Ehescheidungen herausfinden und beschreiben. Dazu sollen etwa 5000 verheiratete oder geschiedene Personen im Bundesgebiet befragt werden.

Die Universität bat um Zustimmung oder Genehmigung von Adressenauskünften aus den Melderegistern. Es sollten Anschriften verheirateter und geschiedener Einwohnerinnen und Einwohner mit dem Zusatzmerkmal "verheiratet" oder "geschieden" zur Verfügung gestellt und von den Forschern daraus Stichproben gezogen werden. Die so ermittelten Personen sollten um Teilnahme an dem Projekt gebeten und sodann auf freiwilliger Grundlage eingehender befragt werden. Sicherungsmaßnahmen für das Adressenmaterial und Diskretion bei der Befragung und im Umgang mit den Ergebnissen wurden zugesichert.

Zwar ist für Melderegisterauskünfte eine Zustimmung oder Genehmigung durch den Landesbeauftragten nicht vorgesehen. Der Universität mußten wir aber mitteilen, daß wir die vorgesehenen Melderegisterauskünfte für unzulässig halten. Das LMG läßt eine Übermittlung von Namen, Anschriften und Familienstand von Einwohnern an die Universität zu, wenn sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts Forschung betreibt und wenn die Übermittlung "zur rechtmäßigen Erfüllung der in der Zuständigkeit des Empfängers liegenden Aufgaben erforderlich ist". Als erforderlich ist nur eine Datenerhebung anzusehen, wenn sie für das Forschungsvorhaben unverzichtbar ist.

Die beschriebene Erhebungsmethode wurde aber nur deshalb gewählt, weil andere mögliche Formen erheblich aufwendiger wären. Das Melderecht läßt eine Durchbrechung des Meldegeheimnisses aber nicht schon deshalb zu, weil der Zweck der Forschung nur mit "unverhältnismäßigem Aufwand erreicht werden kann".

Weiter war darauf hinzuweisen, daß sich Forschungen über geschiedene Ehen in einem sozial, rechtlich und wirtschaftlich sehr sensiblen Bereich bewegen, der des besonderen Schutzes bedarf. Zu Recht folgt deshalb aus dem LMG, daß bei dem Merkmal "geschieden" in besonderem Maße Zurückhaltung geboten ist.

4.2.3

Datenschutz bei Beratungen der Gemeindevertretung: nicht ausgerechnet gegen den Betroffenen

Betroffene können nicht mit der Begründung von der Teilnahme an nicht-öffentlichen Beratungen kommunaler Entscheidungsgremien ausgeschlossen werden, weil der Schutz ihrer eigenen berechtigten Interessen eine vertrauliche Beratung gebiete.

Nach der Gemeindeordnung ist die Öffentlichkeit von Sitzungen der Gemeindevertretung und von Ausschüssen dann auszuschließen, wenn "... berechtigte Interessen Einzelner es erfordern". Ob das der Fall ist, muß anhand des Beratungsgegenstandes und des anzuwendenden Verfahrensrechts entschieden werden. Beispielsweise gelten für Bauanträge neben baurechtlichen Spezialvorschriften, die das baurechtliche Einvernehmen der Gemeinde fordern, und dem kommunalen Verfahrensrecht, das eine Beratung in der Gemeindevertretung bzw. in Ausschüssen vorsehen mag, auch die Vorschriften des Landesverwaltungsgesetzes. Danach haben die Verfahrensbeteiligten einen Anspruch darauf, daß ihre zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse von der Behörde nicht unbefugt offenbart werden. Bei der Behandlung von Bauanträgen geht es in den meisten Fällen um den persönlichen Lebensbereich des Antragstellers und um Sachverhalte, die nicht jedermann zur Kenntnis kommen sollen. Der Vertraulichkeitsschutz nach dem Landesverwaltungsgesetz überwiegt daher. Bauanträge sind deshalb nicht öffentlich zu behandeln. Dies darf sich aber nicht gegen den Betroffenen selbst richten.

Trotz Ausschlusses der Öffentlichkeit zum Schutz ihrer Interessen dürfen daher Betroffene an der nicht-öffentlichen Sitzung teilnehmen. Der Hinweis mancher Gemeinde auf den Datenschutz oder auf die Sicherung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen geht in diesen Fällen fehl; denn es erscheint widersinnig, sie vor sich selbst schützen zu wollen. Ihrer Anwesenheit bei der Beratung ihrer Angelegenheit in nicht-öffentlichen Sitzungen stehen daher datenschutzrechtliche Bedenken nicht entgegen, wenn folgende Grenzen eingehalten werden:

  • Die Anwesenheit des Betroffenen ist nicht zugelassen, wenn die Gemeindevertretung was nach der Gemeindeordnung möglich ist, generell die Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen ausgeschlossen hat. Hierbei kann sich die Gemeindevertretung z.B. auch von der Erwägung einer von der Öffentlichkeit unbeeinflußten Ausschußarbeit leiten lassen.
  • Die Anwesenheit des Betroffenen kommt auch nicht in Betracht, wenn zusätzlich die berechtigten Interessen weiterer Personen oder überwiegende Belange des öffentlichen Wohls berührt sein können. Zumindest muß der Betroffene vor dem Beratungsstadium, in dem die weiteren Privatinteressen oder die Belange des öffentlichen Wohls zur Sprache kommen, ausgeschlossen werden.
  • Schließlich darf das Anwesenheitsrecht des Betroffenen nicht zur einer Teilöffentlichkeit der Sitzung für weitere ihm genehme Personen führen. Das könnte den unbeeinflußten, neutralen Ablauf der Sitzung und die Objektivität der Beschlußfassung beeinträchtigen.

Unseren Überlegungen hat sich inzwischen auch der Innenminister angeschlossen. Er hat die kommunalen Aufsichtsbehörden entsprechend unterrichtet. Offen geblieben sind noch Detailfragen über die Vertretung Betroffener bei Abwesenheit bzw. über ihre rechtliche Beratung. Hierzu werden weitere Abstimmungsgespräche geführt.


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