19. Tätigkeitsbericht (1997)



2.

Der Weg in die Computergesellschaft

2.1

Der Große Lauschangriff auf leisen Sohlen

Offenbar ist die politische Entscheidung für die Einführung des Großen Lauschangriffs gefallen. Die Polizei soll also das Recht erhalten, für Zwecke der Strafverfolgung auch in Privatwohnungen Abhörmikrofone zu installieren. Aus einem sogenannten "Eckpunkte-Papier" der Bundesministerien des Innern und der Justiz ergeben sich Einzelheiten der geplanten Regelungen. Es bestätigt unsere Befürchtungen gegen den Großen Lauschangriff noch einmal deutlich; denn es sieht keineswegs nur vor, daß sogenannte "Gangsterwohnungen", wie es immer geheißen hatte, abgehört werden sollen, sondern auch die Wohnungen solcher Personen, die selbst gar nicht verdächtig sind. Außerdem ist offenbar nicht mehr beabsichtigt, in der Verfassung festzulegen, daß der Große Lauschangriff nur zur Aufklärung schwerster Straftaten eingesetzt werden darf. Dadurch wäre ständigen Erweiterungen des Straftatenkatalogs durch den Gesetzgeber mit einfacher Mehrheit Tür und Tor geöffnet. Schon jetzt werden überdies die nächsten Forderungen auf den Tisch gelegt: Es sollen nicht nur Mikrofone, sondern auch geheime Videokameras in privaten Wohnungen versteckt werden dürfen. Wir haben der Ministerpräsidentin nach Bekanntwerden des Eckpunkte-Papiers erneut unsere Bedenken mitgeteilt und sie gebeten, der Einführung des Großen Lauschangriffs nicht zuzustimmen.

Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch ein Urteil des Bundesgerichtshofes. Dieser hat unlängst entschieden, daß unter bestimmten Voraussetzungen Informationen, die mit Hilfe einer Abhörmaßnahme in einer Wohnung zur Gefahrenabwehr nach Landesrecht gewonnen wurden, auch für die Strafverfolgung verwendet werden dürfen. Würde diese Entscheidung Schule machen, könnten die in den Landespolizeigesetzen enthaltenen, ursprünglich zur Abwehr schwerer Gefahren für Leib und Leben gedachten Abhörbefugnisse zur Einführung des Großen Lauschangriffs ohne Verfassungsänderung umfunktioniert werden. In einigen Ländern sind diese Abhörbefugnisse zur Gefahrenabwehr sogar so weit formuliert, daß sich eine Regelung des Großen Lauschangriffs auf der Grundlage des "Eckpunkte-Papiers" am Ende einengend auswirken würde.

Zwar hält sich das schleswig-holsteinische Landesverwaltungsgesetz hinsichtlich der Abhörbefugnis in Wohnungen eng an die grundgesetzlichen Vorgaben und läßt sie nur zu bei einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben einer Person. Gleichwohl wäre es nicht hinnehmbar, wenn eine verfassungsrechtlich und innenpolitisch so umstrittene Maßnahme wie der Große Lauschangriff praktisch durch das Urteil eines Senats des Bundesgerichtshofes eingeführt würde. Auf diesem Wege würde eine breite parlamentarische und öffentliche Debatte darüber verhindert, inwieweit die Argumente der Befürworter des Großen Lauschangriffs tragfähig sind. Dabei haben die Untersuchungen des schleswig-holsteinischen Innenministeriums belegt, daß die polizeiliche Kriminalstatistik, deren jährliche Veröffentlichung zumeist das Signal zur Forderung nach neuen Eingriffsbefugnissen für die Polizei ist, wie etwa dem Großen Lauschangriff, in beachtlichem Umfang gefälscht und "nach oben" manipuliert worden war. Daraus sollte der Schluß gezogen werden, daß auf derart unsicheren Grundlagen wichtige Grundrechte nicht eingeschränkt werden dürfen.

2.2

Datenschutz durch Technik


Das Thema der Sommerakademie 1996 "Datenschutz durch Technik ­ Technik im Dienste der Grundrechte" war offenbar richtig gewählt. In der Datenschutzdiskussion spielen derzeit Erörterungen über den Einsatz datenschutzgerechter Technik eine wichtige Rolle (vgl. Tz. 7.5). Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat eine Zwischenbilanz zum Thema "Datenvermeidung durch Technik" verabschiedet und den Arbeitskreis Technik beauftragt, weitere Detailvorschläge zu erarbeiten. Auch die Europäische Kommission hat in einem Schreiben an den Vorsitzenden der Datenschutzkonferenz angekündigt, sie wolle in ihr nächstes Rahmenprogramm zur Forschung und Entwicklung neuer Technologien ein spezielles Programm zur Förderung von datenschutzfreundlichen Technologien aufnehmen. Erstmals finden sich auch in den Gesetzentwürfen des Bundes sowie im Mediendienste-Staatsvertrag der Länder Bestimmungen, die die Anbieter verpflichten, die Gestaltung und Auswahl technischer Einrichtungen für Teledienste von vornherein so auszurichten, daß keine oder so wenig wie möglich personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet und genutzt werden (vgl. Tz. 7.2).

Es ist jetzt Sache der Betreiber und Hersteller, die vielen konstruktiven Vorschläge für mehr Grundrechtsschutz durch Technik aufzunehmen und in die Tat umzusetzen. Daraus werden sich im Ergebnis Wettbewerbsvorteile ergeben, weil die Bürger im Zweifel diejenigen Produkte bevorzugen werden, die mit ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung am schonendsten umgehen.

2.3

Verschlüsselung: die Chance!


Eine wichtige grundrechtsfreundliche Technik ist die Kryptographie, das heißt die Möglichkeit, Texte so zu verschlüsseln, daß sie mit den heutigen technischen Mitteln kaum zu knacken sind. In einer Zeit, in der immer mehr Bürgerinnen und Bürger weltweit in offenen Netzen kommunizieren, sind wirksame Verschlüsselungsverfahren wie ein Geschenk des Himmels. Sie erlauben es, das Recht auf Wahrung der Vertraulichkeit und Privatsphäre auch in einer prinzipiell offenen, vielerlei Angriffen ausgesetzten technischen Umgebung wirksam zu schützen. Gleichwohl gibt es in Deutschland und in anderen Ländern Überlegungen, die Nutzung von Verschlüsselungsverfahren zu verbieten oder jedenfalls einzuschränken. Die Begründung ähnelt der, die auch für die Einführung des Großen Lauschangriffs verwendet wird: Verschlüsselungsverfahren könnte sich auch die Organisierte Kriminalität zunutze machen. Deshalb müsse man sie verbieten oder nur solche Schlüssel zulassen, die auch Polizei und Geheimdienste entziffern könnten.

Dabei wird übersehen, daß gerade die Gefahren der Organisierten Kriminalität dafür sprechen, Verschlüsselungsverfahren zu fördern und nicht etwa zu verbieten. Denn wie sonst sollen sich Wirtschaft und Verbraucher bei finanziellen Transaktionen über offene Netze vor kriminellen Attacken schützen? Wenn der Satz "Prävention geht vor Repression" eine Bedeutung hat, dann hier. Es ist wie mit dem Kfz-Diebstahl: Eine wirksame elektronische Wegfahrsperre ist sinnvoller, als die mühsame polizeiliche Fahndung nach gestohlenen Autos.

Es geht aber auch um folgendes: Bislang gibt es in der deutschen Rechtsordnung keine Vorschrift, die den Bürger verpflichtet, der Polizei vorsorglich seine Geheimnisse anzuvertrauen für den Fall, daß einmal gegen ihn ermittelt werden muß. Niemand muß bei der Polizei seinen Wohnungsschlüssel hinterlegen, damit etwaige Hausdurchsuchungen leichter durchführbar sind oder gar ein Verzeichnis seiner häuslichen Verstecke, damit sie im Falle eines Falles besser gefunden werden können. Bis heute ist es nicht verboten, in Briefen eine Geheimsprache oder auch nur einen seltenen Dialekt zu verwenden, den Polizei und Geheimdienst nicht verstehen. Vielmehr ist es deren Sache, Briefinhalte zu verstehen, wenn sie etwa auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen einen Brief geöffnet haben.

Nur weil auch einige Kriminelle die Verschlüsselung für ihre Zwecke nutzen könnten, darf den Bürgern diese hervorragende Möglichkeit, ihre privaten Informationen wirksam vor fremder Neugier zu schützen, nicht vorenthalten werden. Man könnte sonst nämlich den Gedanken fortführen und fragen, ob man nicht Urlaubsreisen verbieten oder einschränken sollte, weil sich bekanntlich immer auch Rauschgiftschmuggler in den Touristenstrom mischen. Oder man könnte Autos verbieten, die schneller als 150 km in der Stunde fahren, damit die Polizei und die Geheimdienste immer bequem hinterherkommen usw.

Es bleibt zu hoffen, daß die Politik die Verschlüsselung als das begreift, was sie ist: eine einmalige Chance, die Privatsphäre auch in einer problematischen technischen Umgebung wirksam zu schützen. Im übrigen sind sich die Experten ziemlich einig, daß ein Verbot oder eine Einschränkung der Kryptografie wirkungslos wäre. Es wäre gerade für die, gegen die es gerichtet wäre, nämlich raffinierte organisierte Kriminelle, leicht zu umgehen. Zum angestrebten Zweck wäre es also völlig ungeeignet. Damit würde eine Reglementierung der Verschlüsselung aber gegen das verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen, weil es gesetzestreuen Bürgern die Chance zum Schutz ihrer Privatsphäre nehmen würde, ohne daß Rechtsbrecher gehindert wären, solche Verbote nach Belieben zu umgehen (vgl. Tz. 7.6).


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