Freitag, 13. August 2010

5: Stellungnahmen

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz)

Datenschutzrechtliche Stellungnahme

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen, wie aus der Entwurfsbegründung hervorgeht, die Grundsätze des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 16. Dezember 2008 (Rs. C-524/06 - Huber) umgesetzt werden. Der EuGH hatte in diesem Vorabentscheidungsersuchen die Fragen zu klären, ob die generelle Verarbeitung personenbezogener Daten ausländischer Unionsbürger in einem zentralen Fremdenregister mit dem Diskriminierungsverbot nach Art. 12 Abs. 1 EG, mit dem Verbot der Beschränkung der freien Niederlassung von Staatsangehörigen nach Art. 43 Abs. 1 EG sowie mit dem Erforderlichkeitsgebot des Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46/EG (EG-Datenschutzrichtlinie) vereinbar ist. Die zentrale Speicherung von Daten über Unionsbürger im Ausländerzentralregister (AZR) hat der EuGH in der daraufhin ergangenen Entscheidung nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und in engen Grenzen für vereinbar mit dem Diskriminierungsverbot sowie dem Erforderlichkeitsgrundsatz der EG-Datenschutzrichtlinie gehalten.

So ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der zentralen Speicherung, dass die Zentralisierung der Daten in einem bundesweiten Register eine effizientere Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften in Bezug auf Unionsbürger durch die mit der Anwendung dieser Vorschriften betrauten Behörden erlaubt. Ob dies in Deutschland der Fall ist, hat der EuGH nicht geprüft.

Des Weiteren hat der EuGH der Speicherung und weiteren Verwendung der Daten enge Grenzen gesetzt. Zulässig ist danach nur die Speicherung derjenigen Daten, die für die Anwendung der für Unionsbürger geltenden aufenthaltsrechtlichen Vorschriften durch die mit der Anwendung dieser Vorschriften betrauten Behörden erforderlich sind. Nur diese Daten dürfe das Ausländerzentralregister über Unionsbürger enthalten. Ob die zum Zeitpunkt der Entscheidung nach dem Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZRG) zu speichernden Datenarten in diesem Sinne erforderlich sind, hat der EuGH nicht geprüft.

Diese beiden zentralen Fragen hat der EuGH an das vorlegende deutsche Gericht zurückverwiesen.

Für den deutschen Gesetzgeber folgt daraus, dass er vor der Verabschiedung eines Gesetzes, das seiner Zielrichtung nach die Grundsätze dieses EuGH-Urteils umsetzen soll, zunächst die vom EuGH offen gelassenen Fragen prüfen muss. Der vorgelegte Gesetzentwurf lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob von Seiten der Bundesregierung eine solche Prüfung vorgenommen wurde. Er verweist hierzu ausschließlich auf die Entscheidung des vorlegenden Gerichts (Urteil des OVG NRW vom 24. Juni 2009 - 17 A 805/03), das die Fragen positiv beantwortet habe. Der Verweis auf eine Gerichtsentscheidung vermag eine eigenständige Prüfung und Begründung durch die Bundesregierung als Entwurfsverfasser nicht zu ersetzen. Dies gilt schon deshalb, weil das Urteil des OVG NRW nicht alle Fragen umfassend prüft. Zum Beispiel werden nicht alle im AZRG genannten Datenarten, sondern lediglich die konkret zum Kläger des Gerichtsverfahrens im AZR gespeicherten Daten auf ihre Erforderlichkeit im Sinne der EuGH-Entscheidung geprüft. Und auch die Ausführungen des OVG NRW zur Erforderlichkeit der zentralen Speicherung sind zu knapp, als dass der Gesetzgeber allein auf dieser Grundlage eine sorgfältig abgewogene Entscheidung treffen könnte. Beispielsweise bleibt bei den Ausführungen des OVG NRW zu einer de lege ferenda möglichen Speicherung der Daten im Melderegister unberücksichtigt, dass dieses System für deutsche Staatsangehörige seit Jahrzehnten Praxis ist.

Dies vorausgeschickt, merke ich zu den einzelnen Regelungsvorschlägen Folgendes an:

1. Zum Umfang der zu Unionsbürgern gespeicherten Daten

Der Gesetzentwurf sieht keine Änderung des § 3 AZRG vor, der den Umfang der im AZR zu speichernden Daten regelt. Eine Beschränkung der zu Unionsbürgern zu speichernden Daten im AZR ist nach Auffassung des Entwurfsverfassers nicht geboten, da das OVG NRW bestätigt habe, dass die im AZR gespeicherten Daten von Unionsbürgern zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich seien. Diese Begründung ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar.

Gemäß § 3 AZRG können im AZR, auch zu Unionsbürgern, folgende Daten gespeichert werden:

  1. die Bezeichnung der Stelle, die Daten übermittelt hat, und deren Geschäftszeichen,
  2. das Geschäftszeichen der Registerbehörde (AZR-Nummer),
  3. die Anlässe nach § 2,
  4. Familienname, Geburtsname, Vornamen, Schreibweise der Namen nach deutschem Recht, Geburtsdatum, Geburtsort und -bezirk, Geschlecht, Staatsangehörigkeiten (Grundpersonalien),
  5. abweichende Namensschreibweisen, andere Namen, frühere Namen, Aliaspersonalien, Familienstand, Angaben zum Ausweispapier, letzter Wohnort im Herkunftsland, freiwillig gemachte Angaben zur Religionszugehörigkeit und Staatsangehörigkeiten des Ehegatten oder des Lebenspartners (weitere Personalien),
    1. das Lichtbild,
  6. Angaben zum Zuzug oder Fortzug, zum aufenthaltsrechtlichen Status, zu Entscheidungen der Bundesagentur für Arbeit über die Zustimmung zur Beschäftigung oder über die in einem anderen Staat erfolgte Anerkennung als Flüchtling nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559) sowie das Sterbedatum,
  7. Entscheidungen zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, 9 und 10 bezeichneten Anlässen,
    Angaben zu den Anlässen nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 bis 8, 11, 13 und 14 sowie Hinweise
    auf die Durchführung einer Befragung nach § 2 Abs. 2 Nr. 12,
  8. Hinweise auf vorhandene Begründungstexte (§ 6 Abs. 5).

Das OVG NRW hat in seiner Entscheidung nicht sämtliche in § 3 AZRG genannten Datenarten im Hinblick auf ihre Erforderlichkeit für aufenthaltsrechtliche Zwecke in Bezug auf Unionsbürger geprüft. Es hat vielmehr nur die zur Person des Klägers im AZR gespeicherten Daten geprüft. Dies waren folgende Daten:

  • Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Geschlecht
    • Ersteinreise nach Deutschland, Melde- und Aufenthaltsstatus,
    • Passangaben
    • historische Einträge zum Meldestatus einschließlich bisherige Zuzüge nach Deutschland und Fortzüge ins Ausland,
  • Geschäftszeichen des Bundesamts, Bezeichnung der Stellen, die Daten übermittelt haben, und deren Geschäftszeichen.

Hinsichtlich dieser Daten hat das OVG NRW die Erforderlichkeit der Speicherung zur Erfüllung aufenthaltsrechtlicher Zwecke bejaht und begründet. Hinsichtlich der übrigen in § 3 AZRG genannten Daten ist die Erforderlichkeit weder durch das Urteil des OVG NRW noch durch die Gesetzesbegründung, die in diesem Punkt lediglich auf das Urteil verweist, dargelegt.

Aus unserer Sicht geht § 3 AZRG in seiner gegenwärtigen Fassung weit über das hinaus, was nach den Vorgaben des EuGH zu Unionsbürgern gespeichert werden darf. Der EuGH hat in seiner Entscheidung deutlich herausgestellt, dass ein Register wie das AZR „keine anderen Informationen enthalten darf“ als die, die zur Feststellung der Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts erforderlich sind (EuGH, Rn. 57 und 59). Durch Artikel 8 der Richtlinie 2004/38/EG wird ausdrücklich geregelt, welche Nachweise und Dokumente sich eine Behörde diesbezüglich vorlegen lassen darf. Diese Aufzählung ist nicht beispielhaft, sondern abschließend.

Die nach § 3 AZRG im AZR zu speichernden Daten gehen nach unserer Auffassung über dieses europarechtlich vorgegebene Maß weit hinaus. So ist zum Beispiel nach den europarechtlichen Vorgaben weder die Speicherung von Anhaltspunkten für den Verdacht von bestimmten Straftaten (vgl. § 3 Nr. 3 und 7 jeweils in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Nr. 7 und 7a) und Informationen zu strafrechtlichen Verurteilungen (§ 3 Nr. 3 und 7 jeweils in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Nr. 11 AZRG) noch die Speicherung des Lichtbilds (vgl. § 3 Nr. 5a AZRG) vorgesehen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund eine zentrale Speicherung dieser Daten im AZR erforderlich sein soll. Angaben über Verurteilungen wegen in Deutschland begangener Straftaten sind im Bundeszentralregister gespeichert, aus dem die Ausländerbehörden nach § 41 Abs. 1 Nr. 7 BZRG unbeschränkt Auskunft erhalten können. Nur solche Informationen dürfen nach § 6 Abs. 2 FreizügG/EU für Entscheidungen über den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt herangezogen werden, so dass kein Bedarf erkennbar ist, darüber hinausgehende Informationen etwa über einen bloßen Straftatverdacht zu speichern.

 

2. Zur Übermittlung der zu Unionsbürgern im AZR gespeicherten Daten

a) § 14a AZRG-E

Der EuGH hat in seiner Entscheidung klare Einschränkungen für die Nutzung der im AZR gespeicherten Daten herausgebildet. So kann nach dieser Entscheidung „nur ein Zugang der Behörden mit Befugnissen in diesem Bereich [Anm. gemeint ist die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften] als erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 angesehen werden“ (EuGH, Rn. 61). Diese Vorgabe soll ausweislich der Entwurfsbegründung mit § 14a AZRG-E umgesetzt werden. Aus unserer Sicht werden damit die Vorgaben des EuGH nur unzureichend, insbesondere nicht mit hinreichender Bestimmtheit, umgesetzt.

Der Entwurfsverfasser überlässt mit dieser Regelung den ausführenden Behörden, d.h. dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als registerführende Stelle sowie den ersuchenden Stellen des Bundes und der Länder, die Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Anfrage zu einem legitimen aufenthalts- oder asylrechtlichen Zweck erfolgt. Damit verbleibt den ausführenden Behörden ein Entscheidungsspielraum, der zu Unsicherheiten führen kann. Diese können und müssen durch eine klare Entscheidung des Gesetzgebers vermieden werden. Es ist dem Gesetzgeber möglich und muss daher von ihm erwartet werden, diejenigen Behörden, die mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betraut sind, abschließend zu benennen. Nach unserer Auffassung sind dies allein die Zuwanderungsbehörden, d.h. in erster Linie Ausländerbehörden und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Eine solche Klarstellung muss der Gesetzgeber zur Herstellung von Rechtssicherheit vornehmen.

Zu prüfen wäre außerdem, ob der aus der EuGH-Entscheidung übernommene, sehr allgemein gehaltene Begriff der „Anwendung asyl- oder aufenthaltsrechtlicher Vorschriften“ weiter präzisiert werden kann. Diese Aufgaben sind im nationalen Recht abschließend geregelt; sie sollten im Interesse der Normenklarheit in § 14a AZRG-E ausdrücklich benannt werden.

Eine weitere Unsicherheit ergibt sich in systematischer Hinsicht aus dem Standort des § 14a AZRG-E. Die Vorschrift soll die Verwendung der im AZR zu Unionsbürgern gespeicherten Daten abschließend regeln. Sie befindet sich allerdings im Unterabschnitt 1 des Abschnitts 3. Abschnitt 3 regelt die Übermittlung insgesamt, während der Unterabschnitt 1 sich nur auf die Übermittlung an öffentliche Stellen bezieht. Mithin gilt § 14a AZRG-E systematisch nur für die Übermittlung an öffentliche Stellen, so dass eine Übermittlung von Daten über Unionsbürger an nichtöffentliche Stellen, Behörden anderer Staaten und über- und zwischenstaatlicher Stellen (Unterabschnitt 2) durch den vorliegenden Entwurf nicht eingeschränkt wird. Eine Einschränkung wäre nach der EuGH-Entscheidung auch hier geboten. Dies kann nur durch eine gesonderte Regelung für den Unterabschnitt 2 oder einen anderen Standort der Vorschrift erreicht werden.

b) § 5 Abs. 1a AZRG-E

Die obigen Ausführungen zu § 14a AZRG-E gelten entsprechend für die Regelung zu Suchvermerken nach § 5 Abs. 1a AZRG-E. Hier sollte zum einen durch die Hinzufügung des Wortes „nur“ klargestellt werden, dass Suchvermerke zu Unionsbürgern zu keinem anderen Zweck als dem in § 5 Abs. 1a des Entwurfs genannten eingestellt werden dürfen. Zum anderen sollte in § 5 Abs. 1a AZRG‑E geregelt werden, dass nur Behörden, die mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betraut sind, einen Suchvermerk setzen lassen können.

c) Gruppenauskünfte (§ 12 AZRG)

Der vorliegende Entwurf enthält keine spezifische Regelung über den Umgang mit Daten zu Unionsbürgern bei Gruppenauskünften. Auch für diesen Bereich sollte die allgemeine Regelung des § 14a AZRG-E präzisiert werden.

d) Automatisiertes Abrufverfahren (§ 22 AZRG)

Die oben beschriebene Unsicherheit hinsichtlich der Empfänger, die Auskunft über im AZR gespeicherte Daten über Unionsbürger erhalten dürfen, setzt sich bei der Regelung über den Abruf im automatisierten Verfahren in § 22 AZRG fort. Die Vorschrift, deren Änderung im vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen ist, benennt eine Reihe von öffentlichen Stellen, denen der Zugang zum AZR im automatisierten Abrufverfahren erlaubt werden kann. Eine Vielzahl dieser Stellen ist nach der EuGH-Entscheidung nicht befugt, Daten über Unionsbürger abzurufen. Es sollte durch den Gesetzgeber klar geregelt werden, welche Stellen generell (siehe oben § 14a AZRG-E) und im automatisierten Abrufverfahren Zugriff auf Daten über Unionsbürger erhalten dürfen, damit diese Vorgaben bei der technischen oder organisatorischen Gestaltung des automatisierten Abrufverfahrens berücksichtigt werden können.