Freitag, 27. Mai 2011

5: Stellungnahmen

Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Visa-Warndatei und zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes - BR-Drs. 318/11

Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die seit langer Zeit geplante Visa-Warndatei errichtet werden. Darin sollen Daten von Visumantragstellern, Einladern und Verpflichtungsgebern gespeichert werden, die in der Vergangenheit durch festgestelltes missbräuchliches Verhalten im Zusammenhang mit Visumverfahren aufgefallen sind. Ein Zugriff von Sicherheitsbehörden auf diese Datei ist im Entwurf - anders als in früheren Entwurfsfassungen - nicht mehr vorgesehen. Dafür soll ein neues Verfahren beim Bundesverwaltungsamt eingerichtet werden, das jeden Visumantragsteller, Einlader, Verpflichtungsgeber oder jede sonstige Referenzperson automatisiert mit bestimmten Einträgen in der Antiterrordatei abgleicht. Trefferfälle sollen an die Sicherheitsbehörden zur weiteren Prüfung übermittelt werden.

Im Gesetzentwurf fällt zunächst positiv die enge Zweckbestimmung der Visa-Warndatei (Artikel 1 des Entwurfs) auf. Dass damit kein Verzicht auf die ursprünglichen Pläne verbunden ist, über den reinen Visummissbrauch und die Interessen der Visumbehörden hinausgehende Sicherheitsinteressen einzubeziehen, wird allerdings deutlich durch Artikel 2 des Entwurfs. Hierdurch soll ein Abgleich von Visumantragsdaten mit der Antiterrordatei eingeführt werden, der im Trefferfall zu einer Mitteilung an die Sicherheitsbehörden führen soll. In datenschutzrechtlicher Sicht ist Artikel 2 von großer Brisanz. Während sich die Visa-Warndatei auf Speicherungen zu Personen beschränkt, die durch Rechtsverstöße einen hinreichenden Anlass für die Speicherung gegeben haben, sind von dem Abgleich mit der Antiterrordatei ausnahmslos alle Personen betroffen, die in einem Visumverfahren beteiligt sind. Einbezogen sind auch Einlader, Verpflichtungsgeber und sonstige Referenzpersonen. Der Abgleich betrifft somit zum weitaus überwiegenden Teil Personen, die sich rechtmäßig verhalten und keinen Anlass für eine Überprüfung gegeben haben.

Die Einführung des Abgleichverfahrens mit der Antiterrordatei ist in Artikel 2 des Gesetzentwurfs vorgesehen. Der neu zu schaffende § 72a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bestimmt in Absatz 1, dass die Daten aller Personen, die im Visumverfahren beteiligt sind (Antragsteller, Einlader, Verpflichtungsgeber oder sonstige Referenzperson) mit Daten aus der Antiterrordatei über bestimmte darin erfasste Personengruppen abgeglichen werden. Im Trefferfall sollen die Daten an die zuständigen Sicherheitsbehörden übermittelt werden, damit diese prüfen können, ob Versagungsgründe nach § 5 AufenthG oder sonstige Sicherheitsbedenken vorliegen. Diese beteiligten Sicherheitsbehörden dürfen die übermittelten Daten nach Absatz 3 auch für eigene Zwecke verwenden, z. B. an weitere Behörden übermitteln. Hierfür gelten die für die jeweilige Sicherheitsbehörde anwendbaren Bestimmungen.

Hierdurch wird letztlich das bereits nach § 73 AufenthG für Antragsteller aus bestimmten als sicherheitsrelevant eingestuften Staaten geltende Konsultationsverfahren auf sämtliche Visumverfahren ausgedehnt. Der Abgleich mit der Antiterrordatei dient dabei als Vorstufe zur Ermittlung derjenigen Verfahren, in denen eine Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden erfolgen soll.

Zwar sollen die Daten beim Bundesverwaltungsamt umgehend automatisiert gelöscht werden, wenn der Abgleich keinen Treffer ergibt. Doch angesichts des Umstands, dass eine Eintragung in der Antiterrordatei aufgrund der weiten und unbestimmten Eintragungsvoraussetzungen unzutreffend sein kann und dass gerade bei Ausländern aufgrund von unterschiedlichen Namensschreibweisen oder unvollständigen Personenangaben Verwechslungen nicht auszuschließen sind, erhöht sich die Gefahr erheblich, durch den Abgleich ungerechtfertigte Nachteile zu erleiden.

Der Abgleich der Daten sämtlicher Personen bedarf einer Rechtfertigung, d. h. er muss für einen bestimmten Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Entwurfsbegründung liefert hierzu keinerlei Angaben. Während der Zweck der Visa-Warndatei und deren Erforderlichkeit für die Aufgabenerfüllung der Visumbehörden ausführlich dargelegt und begründet wird, beschränkt sich die Begründung zu Artikel 2 auf eine Beschreibung des Abgleichverfahrens. Bereits die Zweckbeschreibung dieses Verfahrens bleibt vage. Im Vorblatt unter Buchstabe b wird als Grund das „besondere sicherheitspolitische Interesse im Visumverfahren“ angeführt. Die Auslandsvertretungen sollen eine Rückmeldung erhalten, „wenn Personen aus dem terroristischen Umfeld beabsichtigen, nach Deutschland einzureisen“ (so der allgemeine Teil der Begründung, Ziffer I, S. 20).

Eine Begründung der Erforderlichkeit fehlt gänzlich. Die Frage nach der Erforderlichkeit drängt sich hier besonders auf, da für den angegebenen Zweck bereits das Konsultationsverfahren nach § 73 AufenthG existiert. Im Entwurf wird weder abstrakt noch anhand von konkreten Auswertungen und Beispielsfällen dargelegt, dass sich das Konsultationsverfahren nicht als ausreichend erwiesen hat. Dementsprechend hat der Entwurfsverfasser auch keine Prüfung möglicher milderer Mittel vorgenommen. In Betracht käme hier in erster Linie die Ausweitung des Konsultationsverfahrens auf Angehörige weiterer Staaten, aus denen in der Vergangenheit gehäuft Personen aus dem terroristischen Umfeld nach Deutschland eingereist sind. Hierfür bedürfte es weder der Einführung eines neuen Kosten verursachenden Verfahrens. Die Hinzufügung neuer Staaten zum Konsultationsverfahren kann durch Verwaltungsvorschrift vorgenommen werden.

Gegen den in Artikel 1 vorgesehenen Entwurf eines Visa-Warndateigesetzes bestehen keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit der Zweck dieser Datei eng auf die Verhinderung des Visummissbrauchs begrenzt bleibt und der Inhalt und die Nutzung dieser Datei sich auf das für diesen Zweck erforderliche Maß beschränkt. Dies ist nach dem vorliegenden Entwurf gewährleistet. In § 1 des Entwurfs ist die Vermeidung des Visummissbrauchs als alleiniger Zweck der Datei aufgeführt und auch die Stellen, die durch die Datei unterstützt werden sollen, sind abschließend genannt. Im Widerspruch hierzu steht die Beschreibung der Datei im Vorblatt unter Buchstabe B (Seite 2 des Entwurfs) sowie in Ziffer III des Allgemeinen Teils der Begründung (Seite 18 des Entwurfs), in der jeweils darauf hingewiesen wird, dass die Visa-Warndatei in erster Linie der Vermeidung von Visummissbrauch dienen soll. Die Formulierung legt nahe, dass es weitere Zwecke der Datei gibt. Da das Vorblatt und die Begründung für die Auslegung des Gesetzes herangezogen werden können, sollten in beiden Sätzen die Wörter „in erster Linie“ gestrichen werden. Gegen den Inhalt der Datei und die vorgesehenen Empfänger von Daten aus dieser Datei bestehen keine grundlegenden Bedenken.

Die Regelung des Auskunftsanspruchs in § 12 des Entwurfs des Visa-Warndateigesetzes entspricht weitgehend § 34 Ausländerzentralregistergesetz, der seinerseits § 19 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) entspricht. Auch die Versagung der Auskunft ist letztlich nach dem Vorbild des § 19 BDSG geregelt. § 19 BDSG ist eine Vorschrift des allgemeinen Datenschutzrechts, die für eine unbestimmte Vielzahl von Anwendungsfällen konstruiert und damit naturgemäß weit und unspezifisch gefasst ist. Dagegen ist der Inhalt der Daten der Visa-Warndatei konkret und abschließend bestimmt. Aus der Begründung geht nicht hervor, dass der Entwurfsverfasser geprüft hat, ob die allgemeinen Versagungsgründe für die Auskunft überhaupt für die in der Visa-Warndatei gespeicherten Daten denkbar sind. Teilweise sind diese Daten deckungsgleich mit den im Bundeszentralregister gespeicherten Daten. Das Bundeszentralregistergesetz sieht keine Möglichkeit vor, die Auskunftserteilung an den Betroffenen zu beschränken oder zu versagen. Insgesamt ist für alle in der Visa-Warndatei zu speichernden Daten zweifelhaft, ob deren Mitteilung an die betroffenen Personen die Aufgabenerfüllung der übermittelnden Stellen oder die öffentliche Sicherheit gefährden würde bzw. ob diese Daten geheim gehalten werden müssen. Es handelt sich hier um wenige Sachverhalte, die den Betroffenen regelmäßig bekannt sind.

Bei den Ausnahmen vom Auskunftsrecht handelt es sich um Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Auskunftsanspruchs des Betroffenen Gola/Schomerus, BDSG, 10. Auflage, § 19 Rn. 2). Der Gesetzgeber hat somit die Verhältnismäßigkeit dieser Einschränkungen, in erster Linie deren Erforderlichkeit, darzulegen. Da diese im vorliegenden Entwurf fehlt und die Erforderlichkeit auch nicht offensichtlich ist, bestehen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit dieser Einschränkungen.