Dienstag, 17. April 2012

5: Stellungnahmen

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft

Der Bundestag hat das Gesetz zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft am 21. März 2013 verabschiedet. Gegenüber dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf hat er zwar einige Verbesserungen vorgenommen, doch besteht nach wie vor Änderungsbedarf in folgenden Punkten:

1. Deutliche Differenzierung zwischen reiner Bestandsdatenauskunft und Bestandsdatenauskunft unter Nutzung von dynamischen IP-Adressen

Der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Differenzierung zwischen der reinen Auskunft über Bestandsdaten und der Auskunft über den Inhaber einer dynamischen IP-Adresse, die nur unter Verwendung von Verkehrsdaten erteilt werden kann, wird der Gesetzentwurf nicht gerecht. Der Entwurf sieht eine ausdrückliche Ermächtigung für die Auskunft unter Verwendung von Verkehrsdaten vor. Hinsichtlich der materiellen Eingriffsschwellen nimmt er jedoch keine Unterscheidung zwischen beiden Auskunftsarten vor. Dabei wird verkannt, dass es sich um Grundrechtseingriffe von ganz unterschiedlichem Gewicht handelt. Die nunmehr vom Bundestag eingeführten Verfahrenssicherungen wie Richtervorbehalt und Benachrichtigungspflichten genügen für eine Unterscheidung nicht. Es bedarf hinreichend gewichtiger Eingriffsschwellen, die den schwerwiegenderen Grundrechtseingriffen angemessen sind.

Dies gilt insbesondere für die vorgesehene Auskunftserteilung für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten. § 113 Abs. 2 TKG-E in der vom Bundestag verabschiedeten Fassung sieht eine Auskunft auch für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten vor. Dies gilt sowohl für die reine Bestandsdatenauskunft als auch für diejenige unter Nutzung von Verkehrsdaten, steht aber entsprechend des Zweitürenmodells unter dem Vorbehalt einer Erhebungsbefugnis für die ersuchende Stelle. Wir gehen davon aus, dass nach § 46 Abs. 3 OWiG ein Auskunftsersuchen, das nur unter Verwendung von Verkehrsdaten beantwortet werden kann, für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nicht zulässig wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24. Januar 2012 klargestellt, dass die Zuordnung von dynamischen IP-Adressen zu ihren Anschlussinhabern einen Eingriff in Artikel 10 GG darstellt (BVerfG, Beschluss vom 24.1.2012 - 1 BvR 1299/05, Absatz-Nr. 120). Die Auskunft fällt also unter das Fernmeldegeheimnis und unter den Ausschluss des § 46 Abs. 3 OWiG. Dem Entwurf lässt sich nicht entnehmen, ob auch der Gesetzgeber von dieser Annahme ausgeht; Artikel 10 GG wird nicht als betroffenes Grundrecht zitiert. In diesem Punkt sollte der Gesetzgeber eine klarstellende Regelung treffen, um eine verfassungskonforme Rechtsanwendung sicherzustellen. Sofern nach dem Willen des Gesetzgebers die Auskunft über IP-Adresseninhaber auch zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zugelassen sein soll, ist dies im Verhältnis zur Schwere des Grundrechtseingriffs nicht angemessen. Insofern sollte eine konstitutive einschränkende Regelung getroffen werden, die Ordnungswidrigkeiten von solchen Auskünften ausnimmt.

2. Normenklare Regelung der Voraussetzungen für die Abfrage bei den Zugangssicherungscodes

Zugangssicherungscodes wie PIN/PUK oder Passwörter weisen gegenüber den Bestandsdaten einen höheren Schutzbedarf auf. Diese Daten schützen den Zugang zu Endgeräten und Speichereinrichtungen und damit die Betreffenden vor einem Zugriff auf die entsprechenden Telekommunikationsvorgänge und Inhaltsdaten. Daher sind erhöhte Anforderungen an eine präzise und normenklare Beschränkung der Auskunftsersuchen zu stellen.

Durch die Formulierung „darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen“ werden die Anforderungen nicht erfüllt. Der Gesetzgeber hat die vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 24. Januar 2012 abstrakt formulierten Anforderungen übernommen, ohne seinem Prüf- und Gestaltungsauftrag nachzukommen. An dieser Stelle ist er aufgefordert, abschließend zu prüfen und festzulegen, für welche Zwecke und unter welchen Voraussetzungen die zugangsgeschützten Inhaltsdaten genutzt werden dürfen. Diese Zwecke und Voraussetzungen müssen als Eingriffsschwelle für Auskunftsersuchen über die Zugangssicherungscodes festgelegt werden.

3. Nachbesserung der Benachrichtigung

Der Bundestag hat Verfahrenssicherungen wie die Anordnung durch das Gericht und eine nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen eingeführt.

Die vorgesehene Benachrichtigung bleibt jedoch hinter dem gegenwärtigen Standard für Benachrichtigungen, etwa für die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO oder § 20m BKAG weit zurück. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund den Betroffenen bei den Maßnahmen nach diesem Gesetzentwurf nicht die gleichen Verfahrenssicherungen zustehen sollen wie etwa bei der Verkehrsdatenabfrage, der Herstellung von Bildaufnahmen oder dem Einsatz technischer Mittel nach § 100h StPO. Für diese Maßnahmen ist in § 101 StPO eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Maßnahme vorgesehen; für die vorliegend eingeführten Maßnahmen fehlt dies. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum an eine Zurückstellung der Benachrichtigung oder ein gänzliches Absehen keine formellen Anforderungen gestellt werden. Im Gegensatz zu den in § 101 StPO genannten Maßnahmen, bei denen eine längerfristige Zurückstellung oder ein Absehen von einer Benachrichtigung nur mit gerichtlicher Zustimmung möglich ist, kann hier der Sachbearbeiter selbst darüber entscheiden. Damit führt der Gesetzgeber eine „Benachrichtigung zweiter Klasse“ ein, deren Effektivität für den Grundrechtsschutz bezweifelt werden muss.