Donnerstag, 5. März 2009

3: Vorträge, Vorlesungen, Aufsätze

Der 11. September 2001 – auch ein Anschlag auf den Datenschutz?

Begleitende Vortragsfolien

Vortrag von Dr. Thilo Weichert

bei der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung, Altenholz

„60 Jahre Grundgesetz“ Auf dem Weg zum Überwachungsstaat?“
Donnerstag, den 5. März 2009

Als ich am 11. September 2001 im Fernsehen die Bilder sah, wie Terroristen zwei Passagierflugzeuge in die Hochhaustürme des World Trade Center lenkten, die dann wenig später in sich zusammenstürzten und tausende Menschen unter sich begruben, war einer meiner ersten Gedanken: "Diese Anschläge werden schlimme Auswirkungen auf die Freiheitlichkeit und auf den Datenschutz in modernen westlichen Informationsgesellschaften haben." Mir waren nur zu gut die Reaktionen vieler Sicherheitspolitiker in den vorangegangenen 30 Jahren in Erinnerung, die fast immer nach einem grausamen terroristischen Anschlag oder einem brutalen sonstigen Verbrechern ohne jede Analyse des Geschehenen schärfere Gesetze, auch und vor allem schärfere Überwachungsgesetze forderten. Diesem sicherheitspolitischen Reflex, befürchtete ich, würden die liberalen Kräfte in den westlichen Demokratien angesichts der offensichtlichen Grausamkeit der Ereignisse medial nichts entgegensetzen können. Die Gesetzentwürfe in den Schubladen von Law-and-Order-Politikern würden hervorgeholt und ohne weitere Debatte als Schnellgesetze verabschiedet werden.

Dieses Reiz-Reaktions-Schema hat Tradition. Wahrscheinlich ist es schon seit Jahrtausenden die klassische Reaktion von Politikern auf schwere Verbrechen, mehr Repression, mehr Kontrolle und mehr Bestrafung zu fordern. Diese Reaktion hat fast rituellen Charakter und signalisiert zum einen die Handlungsbereitschaft und -fähigkeit der Sicherheitskräfte wie der diese lenkenden Politik. Zugleich kommt diesem Ritual eine Art reinigende Funktion zu: Stellvertretend für die noch nicht gefassten Verbrecher bzw. bei den Selbstmordanschlägen für die Hintermänner werden diejenigen bestraft, die so etwas Ähnliches in der Zukunft machen könnten: durch höhere Strafen, mehr Überwachung, massive Ermittlungen. Die Vergeltung für das Verbrechen kann zwar - noch - nicht die tatsächlichen Verantwortlichen treffen, wohl aber diejenigen, die gemeinhin zu der Gruppe der potenziell Verantwortlichen zugerechnet werden. Schärfere Überwachungsgesetze sind sozusagen die Rache für die feige Untat der - noch - unbekannten Täter. 

In den 70er Jahren, also in den Nach68ern politisch sozialisiert, kenne ich vielfältige Beispiele für die von mir am 11. September 2001 befürchtete Reaktion der Politik. So ging eine bisher nicht gekannte Welle der Verschärfung von Sicherheitsgesetzen durch die Bundesrepublik, als Anfang der 70er Jahre zunächst die Bader-Meinhof-Bande und später die sog. Rote-Armee-Fraktion ihre Verbrechen verübten. Ein Stichwort war damals schon der Lauschangriff, der sich z.B. gegen den Atomwissenschaftler Klaus Traube oder gegen die später in Stuttgart-Stammheim Inhaftierten richtete. Ein anderes Stichwort war Rasterfahndung. Rasterfahndung stand als Sammelbegriff für die neuen, vom damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes - des BKA - Horst Herold erfundenen elektronischen Fahndungsmethoden. Herold wollte nach seiner von den Möglichkeiten der automatisierten Datenverarbeitung überzeugten und faszinierten Vision vor dem Täter am Tatort sein, um diesen noch von der Vollendung der Tat abhalten zu können.

Vor 30 Jahren wurde der Datenschutz von vielen noch als "Tatenschutz" und als Behinderung der Polizei öffentlich angesehen. Hieran hat der Protest gegen die Volkszählungen 1983 und 1987 nichts Wesentliches geändert. Auch in den 80er Jahren gab es genügend Anlässe zur Verschärfung des Sicherheitsrechts. Neben die Terroristen als "Feinde der Gesellschaft" oder als Verkörperung des "Bösen" traten die Mafia und die "organisierte Kriminalität", die OK. Diese bescherten uns und den Medien nicht nur Drogen, sondern immer wieder schlimme Gewaltverbrechen. Wieder ging es in der Reaktion hierauf darum, neue technische Ermittlungsmethoden einzusetzen und die Befugnis der Sicherheitsbehörden hierfür zu erweitern. Im Zentrum der Begierde stand der damals noch nicht erlaubte sog. "große Lauschangriff", zu dessen Legalisierung nicht nur einfache Gesetze, sondern auch unsere Verfassung, das Grundgesetz geändert werden musste.

Die 90er Jahren des letzten Jahrhunderts bescherten uns dann eine Zeit mit relativ wenig spektakulärer Verbrechen, die wegen ihres organisierten internationalen Charakters als besonders bedrohlich empfunden werden mussten. Die OK und Terrorgruppen waren in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr so präsent, eigneten sich daher auch nicht zur Durchsetzung neuer Befugnisse. Die Ost-West-Entspannung schien zudem die Daseinsberechtigung der Geheimdienste in Frage zu stellen. Und wir erlebten in dieser Zeit tatsächlich eine gesellschaftliche Liberalisierung, die sich zwar nicht in der Rücknahme von Gesetzen äußerte, die sich als unnötig erwiesen haben. Wohl aber fand eine gesellschaftliche Öffnung der Sicherheitsbehörden statt. Der Datenschutz wurde allgemein anerkannt und populär. Eine weltoffene freiheitsfreundliche Medienberichterstattung leistete ihren Beitrag zu dieser Liberalisierung. Um diese 90er Jahr nicht zu verklären: 1997 wurde es dann doch geschafft, den großen Lauschangriff durchzusetzen, wohl aber zu dem Preis des Verlustes der damaligen Justizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die hierin - wie sich im Nachhinein als berechtigt erwies - einen verfassungswidrigen Eingriff in die private Sphäre der Wohnung sah.

Mit diesem historischen Hintergrund erlebte ich also am 11. September 2001 am Bildschirm das Einstürzen der Twin Towers in New York. Ich befürchtete ein Wiederaufleben von Law and Order. Umso überraschter war ich über die ersten Reaktionen deutscher Sicherheitspolitiker, egal welcher Couleur, die alle Besonnenheit anmahnten. Tatsächlich stand in den ersten Tagen nach den Anschlägen der Schock und die Betroffenheit über das Geschehene im Vordergrund - jenseits partei- oder fachpolitischer Profilierung. Es dauerte aber keine Woche, bis die gezeigte Zurückhaltung aufgegeben wurde. Bemerkenswert ist, dass das Signal eines Wechsels der Sicherheitspolitik nicht von einem der altbekannten autoritätsfixierten, ewig-gestrigen Politiker kam, sondern von einem Mann namens Schily, der in den 70er Jahren noch als Markenzeichen für die Verteidigung bürgerlicher Freiheiten gegen den autoritären Staat galt, also gegen einen Staat, der die Bekämpfung des Extremfalls "Terrorismus" zum Normalfall erklären versucht. Und es war nun Otto Schily, der - vor allen anderen - meinte, die gesamte Sicherheitspolitik müsse nun unter den Vorzeichen der Terrorismusbekämpfung neu definiert werden.

Vorgelegt wurde das erste Terrorismusbekämpfungsgesetz, damals geläufig unter dem Namen "Otto I", das sich noch stark an den Ereignissen des 11.9. orientierte, etwa durch die Verschärfung des Geldwäschegesetzes, die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht, die Ausweitung der Strafbarkeit auf ausländische terroristische Vereinigungen und die Umsetzung von Sicherheitsüberprüfungen. Innerhalb weniger Tage wurde dann aber die Rasterfahndung zum Auffinden sog. terroristischer Schläfer aufgelegt, auch wenn es hierfür teilweise keine gültige gesetzliche Grundlage gab, mit der die gesamte Gruppe der arabischen jungen Studierenden zu Terrorverdächtigen gemacht wurde.

Und es dauerte gerade sechs Wochen, bis das Bundesinnenministerium das zweite Anti-Terrorismus-Paket vorlegte. „Otto II“ hatte nun nichts mehr mit den Anschlägen zu tun. Ohne zuvor eine Bedarfsanalyse angestellt zu haben, ging es um eine massive Ausweitung der Befugnisse der deutschen Geheimdienste, um die Ausweitung der allgemeinen Ausländerüberwachung und um die Einführung von biometrischen Reisedokumenten. Eine parlamentarische Opposition gegen diese Maßnahmen war nicht zu erkennen, ebenso wenig wie gegen die folgenden vielfältigen Ausweitungen der Sicherheitsbefugnisse, die darauf hinausliefen,

  • dass in vieler Hinsicht völlig unverdächtige und unbeteiligte Personen auf Grund bestimmter Merkmale in den Fokus der Sicherheitsbehörden gelangen,
  • dass mit Hilfe heimlicher Ermittlungen verdeckt Daten über die Betroffenen erhoben werden und
  • dass hierbei verstärkt moderne Bio-, aber vor allem Informations- und Kommunikationstechnik zu Einsatz kommt.   

Gegen die nunmehr auf allen Ebenen, also auf Bundes- wie auf Landesebene, eingeleiteten Gesetzgebungsverfahren gab es zunächst nur geringen außerparlamentarischen Widerstand, der aber insbesondere im Rahmen der Durchführung der Rasterfahndungen gegen junge arabische Menschen schnell zunahm. Eine vergleichbare Entwicklung kann in sämtlichen westlichen Ländern festgestellt werden, wobei sich insbesondere die USA und Großbritannien hervortaten, die mit dem Patriot Act bzw. dem Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA) den Sicherheitsbehörden die weitestgehenden Vollmachten erteilten. Das US-amerikanische FBI hatte 2006 eine Datenbank mit 659 Millionen Datensätzen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgebaut, das "Investigative Data Warehouse". Einen Schub erhielten die Gesetzgebungsaktivitäten jeweils mit weiteren terroristischen Anschlägen, insbesondere dem Anschlag auf einen Nahverkehrszug in Madrid am 11.03.2004 sowie in einem U-Bahnhof in London am 07.07.2005. Kurz nach dem letztgenannten Anschlag wurde in Italien ein verschärftes Anti-Terror-Gesetz verabschiedet. Noch Ende 2005 verabschiedete das französische Parlament ein Anti-Terror-Gesetz, das u.a. eine Erweiterung der Videoüberwachung und der Internetkontrolle vorsieht. Der britische Premierminister Gordon Brown hatte dann Ende 2007 eine weitere Reihe von Anti-Terror-Gesetzen angekündigt. Nicht nur auf nationaler Ebene wurde der Terrorismus zum Türöffner für exekutive Eingriffsbefugnisse. Die Europäische Union, die EU, erwies sich immer wieder als Garant für die Absicherung wie als Ansporn einer aus Freiheitssicht restriktiven nationalen Sicherheitspolitik, etwa wenn es um die Speicherung von Fluggastdaten oder um die Vorratsspeicherung von TK-Daten ging.

Die wichtigste politisch wirkende Kraft gegen die Ausweitung der neuen Sicherheitsbefugnisse und für die freiheitlichen Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelten die Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder. Schon vor, aber vor allem nach dem September 2001 erklärten diese immer wieder gesetzgeberische oder auch exekutive Maßnahmen im Sicherheitsbereich für verfassungswidrig. Dabei fokusiert sich die öffentliche Aufmerksamkeit zu unrecht auf das Bundesverfassungsgericht. Einige Weg weisenden Entscheidungen wurden von Landesverfassungsgerichten gefällt, so schon 1994 in Sachsen zum Polizeigesetz und 1999 und 2000 in Mecklenburg-Vorpommern zur Schleierfahndung und zum großen Lauschangriff. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof nutzte weiterhin Gelegenheiten in den Jahren 2003 und 2005, sich kritisch zu polizeilichen Kontrollpunkten sowie zum Lauschangriff durch den Verfassungsschutz zu äußern. Ja selbst der bisher nicht als besonders liberal profilierte Bayerische Verfassungsgerichtshof sah sich im Jahr 2006 veranlasst, der praktizierten polizeilichen Schleierfahndung im Freistaat Grenzen zu setzen.

Diese Landesentscheidungen flankierten die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, das bis heute nicht müde wird, die überzogenen Kontroll- und Überwachungsvorstellungen der Bundes- und Landesgesetzgeber in die Schranken zu weisen. Den Auftakt mit einem Paukenschlag, immerhin 2 1/2 Jahre nach dem 11. September 2001, machte das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung zum großen Lauschangriff. Seitdem musste das Gericht immer wieder tätig werden, was ich hier nur mit wenigen, besonders wichtigen Entscheidungen belegen möchte: 2004 zur Telekommunikationsüberwachung nach dem Außenwirtschaftgesetz, 2006 zur Rasterfahndung, 2007 zur TK-Überwachung in Niedersachsen, 2008 zur heimlichen Online-Durchsuchung, zum Kfz-Kennzeichenscanning und zur Vorratsspeicherung von TK-Verbindungsdaten und ganz aktuell am 17.02.2009 zum bayerischen Versammlungsgesetz.

Seit dem 11. September 2001 ist bis heute die Standardbegründung für fast jede weitere sicherheitsbehördliche Befugnis die "Terrorismusbekämpfung", selbst wenn die konkrete Maßnahme nicht oder nur entfernt geeignet ist, hierzu einen Beitrag zu leisten. So wird die Terrorismusbekämpfung z.B. bemüht, um zu rechtfertigen,

  • dass weltweit sämtliche internationalen Banktransaktionen von US-Behörden gerastert werden,
  • dass bei sämtlichen Flugbewegungen in die und von den USA die Passagierlisten mit ca. 20 Angaben pro Person vorab an die US-Behörden übermittelt werden,
  • dass dieses Instrument der sog. Passenger Name Records selbst für den innereuropäischen Verkehr Großbritanniens durchgesetzt wird und die Europäische Kommission einen entsprechenden Vorschlag machte mit einer geplanten Speicherfrist von mehr als 10 Jahren,
  • dass an Flughäfen verstärkt sog. Nacktscanner eingesetzt werden, mit denen das Kontrollpersonal die Fluggäste bis auf die nackte Haut durchleuchten können, eine Maßnahme, deren völlige Freigabe innerhalb der EU erst nach heftigem Widerstand Ende 2008 verhindert werden konnte,
  • dass sämtliche TK-Verbindungsdaten in Europa mindestens ein halbes Jahr lang ausschließlich für Sicherheitszwecke aufbewahrt werden müssen,
  • dass Menschen auf internationalen sog. Terrorlisten gespeichert werden, ohne irgendwelche Rechtsschutzmöglichkeiten zu haben, was nach Urteilen Europäischer Gerichte unzulässig ist,
  • dass seit Anfang 2009 das Bundeskriminalamt all die bisherigen Befugnisse der Landespolizeien und noch etwas mehr, etwa die zur heimlichen Online-Durchsuchung eingeräumt erhielt. 

Mehr als 7 Jahre nach dem Schock vom 11. September 2001 ist erkennbar, dass auch politisch Verantwortliche Kritik an den mit dem Terrorismus begründeten Überwachungsmaßnahmen äußern. So hat jüngst im Februar 2009 das britische Oberhaus einen Bericht veröffentlicht, der sich u.a. gegen die exzessive Videoüberwachung und die exzessive Erfassung mit genetischen Fingerabdrücken ausspricht. In Kanada lehnte im Februar 2007 das kanadische Parlament mit 159 zu 124 Stimmen die Verlängerung des Anti-Terrorism Act ab.

Es ist also unbestreitbar, dass der 11. September 2001 weltweit die Sicherheitspolitik massiv und nachhaltig beeinflusst hat. Dies ist rein quantitativ trotz der hohen Opferzahl von über 3000 Menschen kaum erklärlich. Eine Ursache für diese Wirkung liegt sicher darin, dass das Zentrum der Weltmacht Nummer 1, der USA, erfolgreich angegriffen worden ist, und dass die USA mit seinen Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung daraufhin weltweit Vorgaben machte und Standards setzte.

Lassen Sie mich zur Ausgangsfrage zurückkommen: Handelte es sich bei diesen Anschlägen um solche gegen den Datenschutz. Nach den strafrechtlichen subjektiven Handlungskategorien handelten die Täter zweifellos nicht in der Absicht der Schädigung des Datenschutzes. Bedingter Vorsatz aber ist zweifellos gegeben. Mit dem beabsichtigten Tod von Tausenden von Menschen haben die Täter billigend in Kauf genommen, dass rechtsstaatliche und freiheitliche Prinzipien von freiheitlichen Rechtsstaaten, von den USA und von vielen anderen Staaten, zur Bekämpfung dieser als besonders bedrohlich erkannten Gefahr aufgegeben werden. Den Tätern fehlte aber insofern sicherlich das Unrechtsbewusstsein. Datenschutz ist - noch - keine anerkannte Kategorie globalen Rechts. Unterstellt, es handelte bzw. handelt sich bei den Tätern und deren Hintermännern tatsächlich um gläubige Moslems, so dürfte diesen ziemlich egal gewesen sein, dass ihre Tat ein Desaster für den Datenschutz auslöst. Datenschutz bzw. generell der grundrechtliche Wert individueller Privatheit zur Sicherung der Freiheit in einer Gesellschaft sind Kategorien, die der Islam so nicht kennt.

Wohl aber waren und sind die Anschläge des 11. September als Anschläge auf die westlichen Gesellschaften und deren Werte zu verstehen. Ohne dass sie dies wahrscheinlich überhaupt in deren Relevanz verstanden haben, so dürften die Terroristen doch frohlocken, dass sie es im Ergebnis mit ihrem Angriff geschafft haben, dass die westlichen Staaten bei ihrer Reaktion ihre eigenen verfassungsgemäßen Grundlagen in Frage stellen. Dass ihnen dies im Ergebnis in Deutschland nur in begrenztem Maße gelang, das ist einmal einer kritischen Öffentlichkeit, dann aber vor allem dem Bundesverfassungsgericht zu verdanken. Hierauf kann - gerade im Hinblick auf das derzeitige 60. Jubiläum des Entstehens unseres Grundgesetzes - nicht nachhaltig genug hingewiesen werden. Die deutsche vom Grundgesetz geprägte Rechtsordnung hat - so meine Bewertung - sich bisher angesichts der Herausforderungen des internationalen Terrorismus voll bewährt.

Auf supra- und internationaler Ebene sind derart wirkende Gegenkräfte bisher nicht erkennbar. Gerade die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 10.02.2009, mit der dieser zumindest formell die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung abgesegnet hat, lässt zweifeln, ob die europäische Rechtsprechung als Garant der Bürgerrechte gegen überbordende Sicherheitsbestrebungen wirken wird. Zugleich lässt der europäische und erst recht der internationale Rechtsrahmen für den Datenschutz zu Wünschen übrig. Artikel 8 der möglicherweise in Bälde geltenden Europäischen Grundrechtecharta, der den Datenschutz europaweit ausdrücklich auf Grundrechtsniveau hebt, ist in vielen EU-Staaten - noch - nicht als gelebtes Bürgerrecht etabliert. Terroristische Anschläge gegen dieses europäische "Grundrecht im Geburtszustand" sind angesichts dieses labilen Zustands umso gefährlicher.

Man kann niemandem den Vorwurf machen, einen Anschlag auf ein noch gar nicht existierendes Bürgerrecht verübt zu haben. Erst recht kann dieser Vorwurf nicht gemacht werden, wenn dieser Anschlag nur mittelbar wirkt, juristische gesprochen also die Kausalität strittig ist. Die Terroristen von Al Quaida sind allenfalls mittelbare Täter oder Anstifter. Diejenigen, die den Anschlag tatsächlich umsetzten, das sind Politiker in unseren westlichen Ländern. Diesen ist ein Verhalten, das den Datenschutz achtet, trotz der terroristischen Herausforderung, möglich, nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv. Gerade Deutschland ist das beste Beispiel für ein insofern - untechnisch gesprochen - rechtmäßiges Alternativverhalten: Es ist anerkannt, trotz der auch bei uns unbestritten bestehenden terroristischen Bedrohung, dass Deutschland nicht nur bei der Wahrung der Sicherheit, sondern auch bei der Gewährleistung des Datenschutzes weltweit einen Spitzenplatz einnimmt. Dieser muss, u.a. durch eine kritische Öffentlichkeit und durch die Rechtsprechung, v.a. auch des Bundesverfassungsgerichtes, gegen die Bestrebungen mancher Law-and-Order-Politiker in Deutschland immer wieder neu erkämpft werden.

Sicherheit und Freiheitsschutz sind nicht nur in Deutschland, sondern global einander bedingende Faktoren. Diese Ziele auf nationaler oder regionaler Ebene zu erreichen, ist schon ein äußerst schwieriges Unterfangen. Die Voraussetzungen hierfür können nicht nur durch die Sicherheitspolitik gesetzt werden, sondern fordern Aktionen vor allem im ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich. Wohlstand, Arbeit, soziale Integration, kulturelle und religiöse Toleranz machen es für Terroristen schwierig, Anhänger und Unterstützung zu finden. Daher darf es bei der Reaktion auf terroristische Anschläge keine ausschließliche Fixierung auf die Sicherheitspolitik geben. Angesichts des Umstands, dass islamistische Fundamentalismus eine der ideologischen Keimzellen des derzeitigen Terrorismus ist, kommt praktizierter religiöser Toleranz und religiösem Austausch kombiniert mit einem klaren Bekenntnis zu den Werten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eine hohe Bedeutung zu. Für den Terrorismus potenziell anfällige Teile der Gesellschaft dürfen nicht ausgegrenzt werden. Vielmehr muss versucht werden, diesen eine Perspektive jenseits eines zum Terrorismus neigenden Fanatismus zu geben. Insofern war die im Jahr 2002 durchgeführte Rasterfahndung das Falscheste, was man tun konnte. Nicht nur, dass diese immens aufwändige Maßnahme keine Erkenntnisse über Schläfer bringen konnte und auch nicht brachte. Von der Rasterfahndung ging das offizielle Signal aus, dass junge Männer islamischen Glaubens mit arabischem Hintergrund als potenzielle Schläfer, also als potenzielle Terroristen zu behandeln seien. Eine derartige Stigmatisierung war eine staatliche Bestätigung der islamistisch-fundamentalistischen Feinderklärung, die hierfür anfällige Menschen nicht vom Terrorismus abschreckte, sondern diese eher in die Arme von Hasspredigern und des Terrorismus trieb.

Ist es schon schwierig, im regionalen Rahmen ein antiterroristisches gesellschaftliches Klima zu etablieren, so scheint dies auf globaler Ebene fast aussichtslos. Dies darf uns aber nicht daran hindern, alles Mögliche zu versuchen. Hierzu gehört einerseits die Ächtung des Terrors als politisches Mittel, eine Ächtung, der sich die westliche Welt nicht nur verbal, sondern auch tatsächlich unterwerfen muss. Dazu gehört auch die Unterstützung der Gesellschaften überall auf der Welt beim Aufbau einer eigenen Sicherheitsinfrastruktur und eines eigenen rechtsstaatlichen Systems, das nicht die Systeme im Westen kopiert, sondern auf den kulturellen Gegebenheiten vor Ort aufbaut. Dies ist alles andere als eine einfache Aufgabe. Dazu gehört andererseits im positiven Sinne die Förderung des sozialen und wirtschaftlichen Ausgleichs - globalen wie in den jeweiligen Ländern. Dies ist eine Aufgabe, deren Verwirklichung in unserer globalen Konkurrenzgesellschaft fast unmöglich erscheint.

Zurück zur Sicherheits- und Datenschutzpolitik im engeren Sinne: Auf europäischer und internationaler Ebene besteht insbesondere hinsichtlich des Datenschutzes großer Handlungsbedarf. Der durch den Datenschutzrahmenbeschluss in der Europäischen Union für die 3. Säule der Innen- und Justizpolitik gesetzte Standard ist - ehrlich gesagt - aus grundrechtlicher Sicht eine Katastrophe. Außerhalb Europas gibt es - noch - überhaupt nichts dergleichen. Die Datenschutzstandards in vielen westlichen Industrieländern, allen voran in den USA und in Großbritannien, sind ebenso bescheiden. In vielen weiteren Staaten der Welt, mit denen die deutschen Sicherheitsbehörden teilweise nicht nur Amts- und Rechtshilfe, sondern engere und systematische polizeiliche und justizielle Kooperationen pflegen, gibt es noch überhaupt keinen normativen Schutz informationeller Selbstbestimmung. Gerade wegen der globalen Bedrohung durch den internationalen Terrorismus muss diese Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden. Um auf dem Altar dieser Zusammenarbeit nicht auch unseren nationalen Datenschutz, der zugleich ein internationales Bürgerrecht sein sollte, zu opfern, müssen wir diesen Grundrechtsschutz zu unseren Sicherheitspartnern in die anderen Staaten tragen. Unsere Politik ist frei, dies zu tun, ebenso frei, wie sie es bei ihrer bisherigen Terrorismusgesetzgebung war.

Die Frage in meinem Vortragstitel kann und muss also aus einer historischen Sicht mit "Ja" beantwortet werden. Die Anschläge des 11. September 2001 waren auch Anschläge gegen den Datenschutz. In die Zukunft gerichtet können aber terroristische Anschläge der Anlass sein, angesichts der notwendig werdenden engeren Sicherheitskooperation auch beim Datenschutz intensiver zu kooperieren. Dann wären terroristische Anschläge, die auch zukünftig in unserer globalen Risikogesellschaft nicht völlig vermeidbar sind, zwar nicht für den Datenschutz förderlich. Wohl aber können und müssen sie ein Grund sein für die demokratischen und freiheitlichen Teile unserer Welt, in Sachen Datenschutz näher zusammenzustehen, gegenseitig voneinander zu lernen und sich beim Aufbau gemessener Grundrechtsstandards zu unterstützen.