4.4          Ausländerverwaltung

4.4.1       Visa-Warndatei

Mit dem vom Bundestag Ende 2011 beschlossenen Visa-Warndateigesetz wird eine Datei errichtet, in der Missbrauchsfälle gespeichert werden. Alle Personen, die mit einem Visumantrag im Zusammenhang stehen, sollen mit der Antiterrordatei abgeglichen werden.

Seitdem vor einigen Jahren Missbrauchsfälle in Visumverfahren bekannt wurden, wird diskutiert, wie die Visumbehörden durch ein Frühwarnsystem Missbrauch besser verhindern können. Die beschlossene Lösung einer Visa-Warndatei ist von den vielen Vorschlägen noch eine der grundrechtsfreundlichen. In der Visa-Warndatei sollen nur tatsächliche Missbrauchsfälle gespeichert werden. Der Zugriff auf die Daten bleibt auf den Zweck des Visumverfahrens und die daran beteiligten Behörden beschränkt. Frühere Vorschläge sahen vor, dass jeder Einlader, Verpflichtungsgeber und jede sonstige Referenzperson in einer Einladerdatei gespeichert werden sollten. Hierauf sollten auch die Sicherheitsbehörden Zugriff erhalten.

Doch auch die jetzige Ausgestaltung der Visa-Warndatei ist zu kritisieren. Wir haben in der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss des Bundestags die Erforderlichkeit einer eigenen Datei generell infrage gestellt, da der überwiegende Teil der darin zu speichernden Informationen bereits in anderen zentralen und dezentralen Registern gespeichert ist, insbesondere im Bundeszentralregister und im europäischen Visa-Informationssystem. Die parallele Speicherung der Daten in der Visa-Warndatei erfordert die Herstellung und Aufrechterhaltung einer Kongruenz des Datenbestands der Visa-Warndatei einerseits und der anderen Register andererseits. Dies verursacht Aufwand durch Informationspflichten, aber auch unnötig Gefahren für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Letztere entstehen, wenn der Informationsfluss zwischen den Registern und der Visa-Warndatei gestört ist und deshalb z. B. Tilgungen in den Registern in der Visa-Warndatei nicht nachvollzogen werden.

Noch weitaus gravierender sind unsere Bedenken gegen den eingeführten Abgleich aller am Verfahren beteiligten Personen mit der Antiterrordatei. Dieser Abgleich stellt einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der hiervon Betroffenen dar. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt hervorgehoben, dass die Streubreite einer Maßnahme von maßgebender Bedeutung für das Gewicht des Grundrechtseingriffs ist: „Werden Personen, die keinen Erhebungsanlass gegeben haben, in großer Zahl in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen, können von ihr auch allgemeine Einschüchterungseffekte ausgehen, die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten führen können. Die Unbefangenheit des Verhaltens wird insbesondere gefährdet, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen.“ Der Anlass für den Abgleich ist hier die Einreise eines visumpflichtigen Ausländers nach Deutschland. Dies ist nicht per se eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, sondern legales und für ein weltoffenes Land gesellschaftlich adäquates, in weiten Teilen sogar gesellschaftlich notwendiges Verhalten, beispielsweise für international tätige Organisationen oder Unternehmen. Der vorgesehene Abgleich aller Personen mit der Antiterrordatei begründet die Gefahr, dass sowohl Ausländerinnen und Ausländer als auch in Deutschland lebende Einlader, Verpflichtungsgeber und Referenzpersonen auf eine Einreise nach Deutschland bzw. auf die Mitwirkung daran vermehrt verzichten. Die Anlässe für eine Speicherung in der Antiterrordatei sind weit gefasst; die Möglichkeit von fehlerhaften Treffermeldungen bei Unbescholtenen und sich daraus ergebenden weiteren Grundrechtseingriffen ist groß. Eine Begründung der Erforderlichkeit fehlte im Entwurf gänzlich.

Die Frage nach der Erforderlichkeit drängt sich hier besonders auf, da für den angegebenen Zweck bereits das Konsultationsverfahren nach § 73 Aufenthaltsgesetz existiert. Die in den vergangenen Jahren stets erweiterte Vorschrift ermächtigt zu einer umfassenden Überprüfung von Visumantragstellern sowie Einladern, Verpflichtungsgebern und sonstigen Referenzpersonen auf etwaige Sicherheitsbedenken. An diesem Verfahren sind Polizeibehörden und Nachrichtendienste beteiligt. Das Verfahren wird allerdings nur bei Staatsangehörigen bestimmter Staaten angewendet. Der Gesetzentwurf legte weder abstrakt noch anhand von konkreten Auswertungen und Beispielsfällen dar, dass sich das Konsultationsverfahren nicht als ausreichend erwiesen hat.

 

4.4.2       Daten über EU-Bürger im Ausländerzentralregister

Das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2008, das eine Speicherung der Daten von Unionsbürgerinnen und -bürgern im Ausländerzentralregister nur eingeschränkt erlaubt, ist endlich gesetzlich umgesetzt.

Die Einrichtung der Visa-Warndatei wurde zügig beschlossen; ein datenschutzrechtlich dringendes Gesetzgebungsvorhaben im Ausländerbereich hat dagegen lange auf sich warten lassen. Vor zwei Jahren berichteten wir über den Gesetzentwurf zur Einschränkung der Speicherung von Daten über EU-Bürgerinnen und -Bürger im Ausländerzentralregister (33. TB, Tz. 4.9.1). Seitdem sind einige Verbesserungen bzw. Präzisierungen an dem Gesetzentwurf vorgenommen worden. Sowohl die Speicheranlässe als auch der Umfang der Daten, die über Unionsbürgerinnen und -bürger gespeichert werden dürfen, sind abschließend beschrieben. Der Entwurf wurde kurz vor Redaktionsschluss endlich beschlossen.


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