4.3         Justizverwaltung

Datenschutz bei der Justiz – bedeutet derzeit die Behandlung grundlegender Themen wie Vorratsdatenspeicherung, StPO-Novelle, Auskunftserteilung und Datenschutzkontrollbefugnis. Anlassbezogen gerieten weitere „kleinere“ Themen in unseren Fokus.

Oft war es der konkrete unkorrekte Umgang mit Informationen, der Bürgerinnen und Bürger zu Eingaben veranlasste. So war es nicht in Ordnung, dass die Zustellung einer Benachrichtigung des Gerichtsvollziehers über eine bevorstehende Vollstreckung offen, das heißt sogar ohne verschlossenen Briefumschlag, im Briefkasten der Nachbarn landete. Ärgerlich war die Nachlässigkeit eines Gerichtsvollziehers, der seine „abzuarbeitende“ Liste mit Namen auf dem Beifahrersitz seines Fahrzeugs so offen liegen ließ, dass deren Inhalt für Passanten zugänglich war. Es sind oft kleine Dinge im Alltag, die zu Beeinträchtigungen für die Betroffenen führen können. Manche durch Nachlässigkeit offenbarte Umstände sprechen sich in der Nachbarschaft herum. Dies kann nur verhindert werden, wenn stets die erforderliche Sorgfalt waltet.

 

4.3.1      Vorratsdatenspeicherung und StPO-Novelle – Generalverdacht gegen alle

Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde verabschiedet – eine schwerwiegende Weichenstellung zu Lasten der informationellen Selbstbestimmung und des Telekommunikationsgeheimnisses aller Bürgerinnen und Bürger. Nicht erreicht wird das erklärte Ziel bei der Änderung der Strafprozessordnung (StPO), eine „harmonische Gesamtregelung“ zu erreichen.

Wir haben immer wieder und mit nachdrücklichen rechtlichen wie lebenspraktischen Argumenten – letztendlich im Ergebnis vergeblich – an den Gesetzgeber appelliert, von der Vorratsdatenspeicherung Abstand zu nehmen. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass das Land und insbesondere der Innen- und Rechtsausschuss des Landtages die Einflussmöglichkeiten über den Bundesrat ungenutzt ließ. Die Folgen werden wir alle, also auch die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein, zu tragen haben.

Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung, also die sechsmonatige Speicherung sämtlicher Telekommunikationsverbindungsdaten, ist unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Sie verstößt gegen das national durch Art. 10 Grundgesetz (GG) sowie europarechtlich durch Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Fernmeldegeheimnis. Im Volkszählungsurteil von 1983 und später immer wieder erklärte das Bundesverfassungsgericht die Speicherung „nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken“ für unzulässig. Die Zwecke der Vorratsdatenspeicherung sind unbestimmt, weil die Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und Nutzer öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste pauschal und ohne jeden konkreten Anhaltspunkt für eine konkrete Straftat der betroffenen Personen gespeichert werden sollen.

  • Die Einbeziehung aller Kommunikationsteilnehmer qualifiziert die Vorratsdatenspeicherung als eine Maßnahme mit einer außerordentlich hohen Eingriffsintensität. Sie gefährdet die Unbefangenheit der Nutzung der Telekommunikation und in der Folge die Qualität der Kommunikation einer Gesellschaft, weil die Maßnahmen dazu beitragen, dass die Risiken des Missbrauches und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen.
  • Die Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, weil sie die Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten aller Kommunikationsteilnehmer ohne jeden Verdacht anordnet. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen intensive Grundrechtseingriffe erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden. Grundrechtseingreifende Maßnahmen „ins Blaue hinein“ sind unzulässig.
  • Die Zugriffsmöglichkeit der Nachrichtendienste steigert die Unverhältnismäßigkeit in unerträglicher Weise. Schon das bestehende Recht der Nachrichtendienste lässt die Beobachtung gesetzestreuer Bürgerinnen und Bürger zu. Diese müssen nicht illegal gehandelt haben. Nunmehr gerät die gesamte Bevölkerung in den Fokus der Nachrichtendienste. Es droht eine extensive Überwachung ganzer Bevölkerungsgruppen.
  • Angesichts der Missbrauchsmöglichkeiten warnen wir dringend vor der Verankerung eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruches auf die Vorratsdaten. Private Dritte haben das Interesse, die Kommunikationsprofile auch außerhalb ihrer Zweckbestimmung einzusetzen. Adresshändler zahlen heute für weit belanglosere Daten teilweise erhebliche Summen. Dem kommerziellen Gebrauch darf der Gesetzgeber nicht Vorschub leisten – es geht um das Telekommunikationsgeheimnis (Tz. 7.1).

Änderungen der Strafprozessordnung

Das Ziel, im Bereich der Strafprozessordnung (StPO) eine „harmonische Gesamtregelung“ der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zu schaffen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Hierfür wäre eine umfassende Evaluation zu wünschen gewesen. Eine solche ist bislang nur für die Wohnraumüberwachung und die Telekommunikationsüberwachung durchgeführt worden. Im Hinblick auf das verfolgte Ziel sind insbesondere folgende Punkte problematisch:

  • Die Regelungen des Gesetzes senken Eingriffsschwellen, nicht nur bei der Telekommunikationsüberwachung. Es wird voraussichtlich zu einer erheblichen Ausweitung von Eingriffen kommen. Der Entwurf räumt tatsächlichen oder vermeintlichen Sicherheitsinteressen den Vorrang ein. Besonders heikel ist die zu umfangreiche Einbeziehung von Kontakt- und Begleitpersonen.

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gelten insbesondere für den Zugriff auf die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung erfassten Verkehrsdaten. Das Gesetz überschreitet die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und die Grenzen der umzusetzenden europäischen Richtlinie. Es erlaubt die Herausgabe der Daten schon in Fällen der Bagatellkriminalität. Jede „mittels eines Telekommunikationsendgerätes“ begangene Straftat soll für die Datennutzung genügen – darunter fällt schon die telefonische Beleidigung. Im Bereich der Internetdaten wird praktisch auf jede Eingriffsschwelle verzichtet.

Der Anlasstatenkatalog zur Telekommunikationsüberwachung wird ohne hinreichende Begründung erweitert. Aus dem Katalog gestrichen wurden nur Straftatbestände, die keine praktische Bedeutung haben.

  • Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird durch die geplante Regelung ausgehöhlt. Wenn nur Inhalte geschützt sind, die „allein“ den Kernbereich betreffen, wird nichts geschützt. Denn ein solcher Fall wird in der Praxis kaum vorkommen. Die Vorgaben aus Karlsruhe blieben unbeachtet. Der Schutz muss über den Bereich der Telekommunikationsüberwachung hinausgehen. Andere Maßnahmen können den Kernbereich ebenfalls berühren, so etwa das vertrauliche Gespräch außerhalb von Wohnungen. Notwendig ist eine „vor die Klammer gezogene“ Regelung.
  • Die Schutzansprüche der Zeugnisverweigerungsberechtigten drohen durch weiche Abwägungsklauseln verwässert zu werden. Die Differenzierung nach verschiedenen Klassen von Zeugnisverweigerungsberechtigten ist nicht nachvollziehbar und untergräbt einen wirksamen Grundrechtsschutz. Der Geheimnisschutz soll erst eingreifen, wenn sich die Überwachungsmaßnahme „gegen“ den Zeugnisverweigerungsberechtigten richtet; dies verringert den Schutz zusätzlich.
  • Den Verfahrenssicherungen fehlt eine Begründungspflicht für richterliche Beschlüsse. Auf die in wissenschaftlichen Studien festgestellten Aufsehen erregenden Praxisdefizite wurde nicht reagiert.
  • Die Benachrichtigungsregel enthält Schlupflöcher, die eine Information der Betroffenen im Einzelfall umgehen oder ausschließen. Die Benachrichtigung ist Ausfluss der Rechtsweggarantie und hat darüber hinausgehend grundrechtswahrende Bedeutung. Sie darf nach unserem Verfassungsrecht nur in eng begrenzten Fällen unterbleiben. Die bestehenden Defizite in der Praxis werden verstärkt.

Was ist zu tun?
Es ist darauf hinzuarbeiten, dass der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht das Gesetz und die zugrunde liegende Richtlinie im Hinblick auf die Kritikpunkte umfassend beurteilen und dann zurückweisen.

 

4.3.2      Kontrollbefugnis

Beschränkungen der Kontrollbefugnis des ULD bei den Staatsanwaltschaften waren bisher oft Auslöser von Konflikten. Es ist zwar noch keine förmliche Klärung erreicht. Doch wurde dem ULD jüngst in verschiedenen Fällen gesetzeskonform Akteneinsicht beziehungsweise Auskunft erteilt. Das Thema beschäftigte in den letzten Jahren nicht nur das ULD und den Generalstaatsanwalt, sondern auch das Innenministerium und den Landtag.

Anlass waren Verweigerungen beziehungsweise Einschränkungen unserer Kontrollmöglichkeiten in Einzelfällen (29. TB, Tz. 4.3.3). Der Generalstaatsanwalt meinte, das ULD dürfe nur dann prüfen, wenn es um die Anwendung datenschutzrechtlicher Vorschriften im engeren Sinne gehe. Dies sei nicht der Fall, wenn sich ein „datenschutzrechtlicher Reflex“ aus einzelnen Ermittlungen ergibt. Der Begriff des „datenschutzrechtlichen Reflexes“ hat keine gesetzliche Grundlage und ist nicht definierbar; er löst allenfalls Rechtsunsicherheit aus. Wir haben als Kompromiss angeboten, das Ermittlungsermessen als praktische Grenze unserer Kontrollen zu nehmen. Die Strafprozessordnung regelt vor allem Datenerhebungen – zum Beispiel im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung – und den Schutz der Betroffenen hiervor; sie enthält somit datenschutzrechtliche Vorschriften. Würde etwa ein erforderlicher Richtervorbehalt nicht beachtet, müssten wir dies im Rahmen unserer Kontrollbefugnis beanstanden. Die Beurteilung, ob die Maßnahme ermittlungstaktisch sinnvoll ist, überlassen wir der Staatsanwaltschaft, ebenso die Frage, ob der Verdacht einer bestimmten Straftatbestand hinreichend ist. Eine schriftliche Reaktion des Generalstaatsanwalts auf unser Angebot erfolgte bisher nicht.

Ungeachtet dessen wurde uns im Rahmen der letzten Kontrolle die Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft Kiel in Abstimmung mit dem Generalstaatsanwalt ermöglicht. Es besteht also Hoffnung auf eine künftige tragbare praktische Handhabung.

Was ist zu tun?
Der Generalstaatsanwalt sollte unseren Kompromissvorschlag akzeptieren.

 

4.3.3      Datenübermittlung an Interessenverband der Unterhaltungsindustrie

Die Polizei hat nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft einen beschlagnahmten Personalcomputer mit zahlreichen persönlichen Informationen eines Petenten an einen Interessenverband der Unterhaltungsindustrie übergeben. Diese Datenübermittlung war unzulässig.

Der Computer des Petenten war im Rahmen eines Strafverfahrens beschlagnahmt worden. Der ursprüngliche Tatvorwurf erwies sich als nicht haltbar, doch wurden auf dem Rechner verschiedene urheberrechltlich geschützte Filmdateien gefunden. Darauf übergab die Polizeibehörde nach Rücksprache mit der sachleitenden Staatsanwaltschaft den vollständigen Rechner einem Interessenverband, der sich der gezielten Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen verschrieben hat. Außerdem wurde der ursprüngliche Tatvorwurf mitgeteilt. Auf dem Rechner befanden sich zahlreiche private Dateien des Petenten, die mit dem Tatvorwurf der Urheberrechtsverletzung in keinem Zusammenhang standen. Der Rechner wurde vollständig durch einen technischen Mitarbeiter des Interessenverbandes ausgewertet. Insbesondere nahm dieser den gesammelten E-Mail-Verkehr des Betroffenen in Augenschein. Die Staatsanwaltschaft erhielt hierüber einen umfassenden „Auswertungsbericht“, fast zeitgleich fertigte die Rechtsabteilung des Verbandes einen Strafantrag gegen den Petenten.

Grundsätzlich ist eine Datenübermittlung an Sachverständige im Strafverfahren nicht ausgeschlossen, wenn die Strafverfolgungsbehörden auf diese Hilfe angewiesen sind. Dabei hat die Staatsanwaltschaft jedoch auf die strikte Wahrung der Neutralität und Zuverlässigkeit der Sachverständigen zu achten. Das Landgericht Kiel hat im Jahr 2006 klar entschieden, dass ein Interessenverband nicht neutral ist. Besondere Brisanz hatte der Fall dadurch, dass der Rechner ohne klare Festlegung der Tätigkeit des Interessenverbandes übergeben wurde; ein schriftlicher Gutachtenauftrag fand sich in der von uns geprüften Akte nicht. Die Mitarbeiter des Verbandes sollten selbst beurteilen, welche möglichen Verstöße sie feststellen und zur Ahndung bringen wollen.

Die Staatsanwaltschaft teilte uns mit, dass die Entscheidung des Landgerichts Kiel bei allen Dezernentinnen und Dezernenten besonders bekannt gemacht wurde, um den Blick für die Belange des Datenschutzes zu schärfen. Über zusätzliche Gespräche sollte das Problembewusstsein verstärkt werden. Der Einzelfall wurde als kritisch angesehen. Allerdings begegne es Bedenken, wenn und soweit generell die Rechtmäßigkeit der Hinzuziehung von Mitarbeitern eines Interessenverbandes angezweifelt werde. Es bestehe das Problem einer hohen Auslastung der Beweissicherungsstellen der Polizei, was zu langen Wartezeiten führen könne.

Eine Beanstandung im konkreten Fall durch das ULD sei nicht angemessen; die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft weise generell eine Gefahrenneigung auf. Die Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft bringe typischerweise mehr Grundrechtseingriffe mit sich als in anderen Bereichen der Verwaltung. Daher laufe nahezu jede Entschließung der Staatsanwaltschaft Gefahr, als besonders schwer wiegender Datenschutzverstoß qualifiziert zu werden. Der konkrete Fall sei auch auf die Hektik des Tagesgeschäfts zurückzuführen, in der die Anweisung zur Weitergabe des Rechners nur telefonisch erteilt worden sei.

Trotz dieses Vortrages bleiben wir bei der Qualifizierung des Einzelfalls als besonders schwerwiegende Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften. Der Umstand besonders intensiver Grundrechtseingriffe muss bei der Staatsanwaltschaft gerade zur Anwendung eines besonders hohen Sorgfaltsmaßstabes führen. Der Fall lässt sich aus unserer Sicht nicht auf die Hektik des Einzelfalles zurückführen, sondern offenbart ein strukturelles Problem im Umgang mit den Interessenverbänden. Die hohe Auslastung der Polizeibehörden kann kein Grund sein, Teile der Ermittlungsarbeit in den – parteiischen – Privatbereich auszulagern.

Der Informationsaustausch mit Interessenverbänden ist rechtlich stark eingeschränkt, aber nicht generell ausgeschlossen. Im konkreten Fall hätte die Möglichkeit bestanden, die bereits vorhandene Liste der aufgefundenen Dateien zunächst anonymisiert zu übermitteln. Im Falle einer konkret festgestellten Urheberrechtsverletzung hätte dann eine auf den relevanten Sachverhalt begrenzte Auskunft an die verletzten Rechteinhaber beziehungsweise eine Akteneinsicht erfolgen können. Nach Vorlage einer Vollmacht hätte diese auch durch den Interessenverband wahrgenommen werden können. Die Strafprozessordnung erlaubt eine solche – hierauf begrenzte – Datenübermittlung an die Verletzten einer Straftat.

Was ist zu tun?
Das strukturelle Problem der Überlastung der Beweissicherungsstellen der Polizei darf nicht zur Auslagerung von Ermittlungsarbeit in den Privatbereich führen. Sachverständige sind am Grundsatz der Unparteilichkeit auszuwählen. Interessenverbände dürfen personenbezogene Daten nur unter den Voraussetzungen erhalten, unter denen Verletzte einer Straftat beziehungsweise deren Bevollmächtigte Akteneinsicht erhalten können.

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