26. Tätigkeitsbericht (2004)

4.9

Steuerverwaltung

4.9.1

Wuchernde Steuergesetzgebung

Die aktuelle Steuergesetzgebung ist so unübersichtlich geworden, dass es in der Öffentlichkeit gar nicht aufgefallen ist, dass demnächst alle in Deutschland gemeldeten Menschen von ihrer Geburt an bis über den Tod hinaus unter einem eindeutigen steuerlichen Personenkennzeichen beim Bundesamt für Finanzen registriert werden.

In kaum einem anderen Rechtsgebiet sind die ”Innovationszyklen” so kurz wie im Steuerrecht. Es gibt nur wenige Spezialisten, die alle im letzten Jahr realisierten, derzeit in den parlamentarischen Beratungen befindlichen und für das nächste Jahr geplanten Gesetzesänderungen in ihren Konsequenzen überblicken. Aus unserer Sicht sind drei Komplexe zu unterscheiden:

  • Änderungen an den Steuertarifen und Abbau von Steuervergünstigungen,

  • Anpassung des steuerlichen Verfahrensrechts an die EU-Datenschutzrichtlinie und an E-Government-Angebote,

  • Ausbau der Kontrollsysteme zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen und zur Erfassung aller Steuerfälle.

Die Vereinfachung des Steuerrechts durch Änderungen der Tarifstruktur und durch Abbau von Steuervergünstigungen ist aus Datenschutzsicht zu unterstützen, wenn sie dazu führt, dass den Finanzämtern gegenüber weniger Angaben als bisher gemacht werden müssen. Hier liegt zweifellos ein großes Potenzial zur Datenvermeidung und Datensparsamkeit.

Bei der Anpassung der Abgabenordnung (AO) an die Standards, die durch die EU-Datenschutzrichtlinie und die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder vorgegeben sind, handelt es sich um einen seit Jahren - in auffälligem Gegensatz zu den eingangs beschriebenen sonstigen hektischen Aktivitäten - verschleppten ”Dauerbrenner” (vgl. 25. TB, Tz. 4.6). Dies würde die Datenschutzbeauftragten nicht so sehr stören, wenn es nicht fortwährend strittige Diskussionen gäbe, in denen die Steuerverwaltung den Standpunkt vertritt, die aus ihrer Sicht zu strengen Datenschutzgesetze seien auf das Besteuerungsverfahren nicht anwendbar, weil die nicht der EU-Richtlinie entsprechende AO bereits abschließende und ausreichende Datenschutzregelungen enthalte. Auch mit der elektronischen Unterschrift im Besteuerungsverfahren ist man bisher nicht sehr erfolgreich, da sich eine signaturgesetzkonforme Lösung noch nicht abzeichnet (vgl. 25. TB, Tz. 4.10.2).

Einen Paukenschlag gab es Ende 2003 mit den gesetzlichen Regelungen zur Identifikationsnummer und zur Wirtschaftsidentifikationsnummer. Bereits in den letzten Jahren hat es immer wieder gesetzgeberische Initiativen gegeben, Betrügereien beim Vorsteuerabzug im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung durch zentrale Erfassungssysteme (Stichwort ”ZAUBER”) zu begegnen und die papierenen Lohnsteuerkarten durch einen elektronischen Meldedienst an eine Zentralstelle zu ersetzen (Stichwort ”ELSTER-Lohn”). Die Verwendung der Steuernummer als Identifikationsmerkmal (vgl. 25. TB, Tz. 4.10.4) bzw. die Bildung einer Arbeitnehmerkennung aus dem Namen und den Geburtsdaten haben sich jedoch offenbar nicht als praktikabel erwiesen. Deshalb hat man jetzt zum großen Wurf ausgeholt.

Das ”2. Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften - Steueränderungsgesetz 2003” enthält die Generalvollmacht für die Schaffung eines steuerlichen Personenkennzeichens für alle natürlichen Personen sowie alle juristischen Personen und Personenvereinigungen, sofern sie ”wirtschaftlich tätig” sind.

Das Verfahren ist lückenlos. Alle 5500 Meldebehörden in Deutschland übermitteln die entsprechenden Datensätze (zunächst also ca. 80 Millionen) an das Bundesamt für Finanzen. Dieses ermittelt die Identifikationsnummer und schickt sie an die betreffende Meldebehörde zurück, die sie zu speichern hat, damit Änderungsmeldungen (z. B. Umzüge) unter dieser Nummer übermittelt werden können (vgl. Tz. 4.1.8). Jedes neugeborene Kind erhält also unmittelbar nach seiner Registrierung im Melderegister seine Identifikationsnummer, die es über sein Lebensende hinaus behält.

Alle Personen und Stellen, die mit den Finanzämtern bezogen auf konkrete Steuerfälle kommunizieren (Banken, Sparkassen, Arbeitgeber, Sozialbehörden usw.), müssen künftig entweder ausschließlich oder ergänzend zum Namen bzw. zur Steuernummer diese Identifikationsnummer verwenden. Sie sind also verpflichtet, sie zu speichern.

Eine Verwendung der Identifikationsnummer für andere als für steuerliche Zwecke ist zwar untersagt, aber wohl kaum zu verhindern. Deshalb ist die Behauptung in der Gesetzesbegründung und in amtlichen Verlautbarungen, dass es sich nicht um das bereits vor Jahren vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig bezeichnete allgemeine Personenkennzeichen handelt, nur formal, nicht aber faktisch richtig.

Trotz erheblicher Vorbehalte der Datenschutzbeauftragten ist das Gesetz Ende 2003 von der Öffentlichkeit kaum bemerkt verabschiedet worden. Nur eine einzige private Datenschutzorganisation (vgl. www.datenschutzverein.de) und wenige Informationsdienste und Zeitungen haben den Sinn und Zweck dieser gravierenden Maßnahme hinterfragt. Eine für jedermann verständliche Beschreibung der neuen Verfahrensweise der Finanzämter und eine Erläuterung, wie auf der Grundlage der Identifikationsnummer mehr Steuergerechtigkeit herbeigeführt werden kann, sucht man in den Gesetzesmaterialien und auf der Homepage des Bundesministeriums für Finanzen vergebens. Die Tatsache, dass sich nicht - wie beim Versuch, eine allgemeine Personenkennziffer einzuführen, oder im Zusammenhang mit der Volkszählung - in der Öffentlichkeit ein Proteststurm erhoben hat, kann man als einen Indikator dafür ansehen, wie ”belastbar” die Bevölkerung inzwischen im Hinblick auf Einschränkungen ihrer Rechte geworden ist.

Dies mag damit zusammenhängen, dass das Verfahren bisher noch nicht gestartet wurde, weil im Bundesamt für Finanzen zunächst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Im Übrigen sind auch bei 5500 Meldebehörden, bei allen Banken, Sparkassen usw. die Datenbanken und die Programme zu erweitern. Der Startschuss wird erst durch eine Rechtsverordnung gegeben, in der auch

  • die organisatorischen und technischen Maßnahmen zur Wahrung des Steuergeheimnisses,

  • die Richtlinien zur Vergabe,

  • die Löschfristen und

  • die Form und das Verfahren der Datenübermittlungen

festzulegen sind. Kritiker hoffen, dass dieser Startschuss nie gegeben wird, ihre Gründe sind nachvollziehbar.

Was ist zu tun?
Bevor die Steuerpersonenkennziffer tatsächlich eingeführt wird, sollte überzeugend dargelegt werden, dass ihr Nutzen im Hinblick auf die Steuergerechtigkeit die mit ihr verbundenen Risiken erheblich überwiegt. Die Finanzverwaltung sollte das Informationsdefizit zügig beheben und den Startschuss erst geben, wenn auch ein gesellschaftspolitischer Konsens hergestellt ist.

4.9.2

Steuergeheimnis bei Privatinsolvenzen

Werden Eheleute zusammen veranlagt, muss der eine Partner es dulden, dass seine steuerlichen Verhältnisse in einem Insolvenzverfahren des anderen Partners bekannt werden.

Bis vor wenigen Jahren hatte das Steuergeheimnis bei den Steuerpflichtigen und in der breiten Öffentlichkeit durchaus den Ruf der Unantastbarkeit. Man ging ganz selbstverständlich davon aus, dass die Finanzämter sich zwar nicht scheuten, Gewinne aus betrügerischen oder gar sittenwidrigen Geschäften zu besteuern, andererseits aber über die bei der Besteuerung gewonnenen Erkenntnisse über private und geschäftliche Vorgänge ein striktes Stillschweigen bewahrten. Das Steuer- und das Patientengeheimnis waren die traditionellen Trutzburgen des praktizierten Datenschutzes. Beide Festungen, insbesondere das Steuergeheimnis, haben in jüngster Zeit erhebliche Risse bekommen.

Die Ursache liegt darin, dass immer mehr gesetzliche Regelungen die Nutzung von Daten aus dem Besteuerungsverfahren für andere Zwecke (z. B. Verfolgung von Schwarzarbeit, Sozialversicherungsbetrug, Geldwäsche usw.) zulassen. Obwohl die meisten Bürgerinnen und Bürger die Verfolgung derartiger Delikte gutheißen, verstärkt sich offenbar ihr Gefühl, dass das Steuergeheimnis auch nicht mehr das ist, was es einmal war. Hierauf deutet die Zahl der Beschwerden gegen die Verfahrensweisen der Finanzämter hin, die vermeintlich einen Bruch des Steuergeheimnisses zur Folge haben (vgl. z. B. die Angst vor dem Missbrauch der Steuernummern, vgl. Tz. 14.1). Die Sensibilität in diesem Bereich ist signifikant gestiegen. Deshalb sind viele Steuerpflichtige enttäuscht, wenn auch in solchen Fällen, in denen ihnen ihr ”gesunder Menschenverstand” sagt, dass das Verhalten des betreffenden Finanzamtes nicht korrekt sein kann, dargelegt werden muss, dass letztlich alles nach Recht und Gesetz abgewickelt worden ist. Exemplarisch hierfür ist folgender Sachverhalt:

Ein Ehepaar hatte in seiner Einkommenssteuererklärung die Zusammenveranlagung gewählt. Lange vor der Eheschließung war der eine Ehepartner mit einem Unternehmen in Konkurs geraten und wollte nunmehr die Angelegenheit im Wege der Verbraucherinsolvenz bereinigen. Da in dem so genannten vereinfachten Insolvenzverfahren die Aufgaben des Insolvenzverwalters von einem Betreuer (in der Regel einem Rechtsanwalt) wahrgenommen werden, tritt dieser im Besteuerungsverfahren als gesetzlicher Vertreter bzw. Vermögensverwalter auf.

Dies hat zur Folge, dass Steuerbescheide ihm und nicht dem tatsächlichen Steuerpflichtigen zugestellt werden.

Als die Ehefrau hiervon erfuhr, war sie über die Tatsache, dass ihre gesamten steuerlichen Verhältnisse in dem Insolvenzverfahren transparent wurden, gar nicht erfreut. Als das Finanzamt dann auch noch nur kurz und bündig mitteilte, dieses entspräche den gesetzlichen Regelungen, bat sie uns um Beratung. Wir haben ihr erläutert, dass hinter dieser Regelung die Überlegung steht, dass die Ansprüche des Schuldners gegenüber Dritten (in diesem Fall ein Finanzamt) nicht mehr vom Schuldner selbst, sondern von seinem gesetzlichen Vertreter geltend gemacht werden sollen. Dieser musste also auch die gemeinsamen Steuerbescheide sehen, um gegebenenfalls durch Einsprüche höhere Erstattungsbeträge zu erreichen und die korrekte Aufteilung der erstatteten Beträge zu überprüfen. Wenn das Finanzamt diese Erläuterungen von vornherein gegeben hätte, wäre der Eindruck des Bruches des Steuergeheimnisses wahrscheinlich gar nicht erst entstanden.

Was ist zu tun?
Die Finanzämter sollten die Steuerpflichtigen rechtzeitig über die Rechtslage aufklären, wenn sie Daten aus dem Besteuerungsverfahren weitergeben (müssen).

4.9.3

Steuergeheimnis versus besondere Berufsgeheimnisse

Betriebsprüfungen bei Steuerpflichtigen, die gegenüber den Finanzämtern ein Auskunfts- und Urkundenvorlageverweigerungsrecht besitzen, werfen die Frage auf, wie die zu zahlenden Steuern richtig ermittelt werden können, wenn die Finanzbeamten nicht alle Belege einsehen dürfen.

Ärzte, Rechtsanwälte, Notare und andere Steuerbürger, die einem besonderen Berufsgeheimnis unterliegen, stecken ebenso in einem Dilemma wie die Betriebsprüfer, die die korrekte Besteuerung aller Einnahmen und die Berücksichtigung aller abzugsfähigen Ausgaben dieser Berufsgruppen zu überwachen haben. Der Grund hierfür liegt in den Regelungen der Abgabenordnung, nach denen ihnen ein Auskunfts- und Urkundenvorlageverweigerungsrecht zusteht.

Wie aber soll ein Finanzbeamter die Vollständigkeit der Buchhaltung überprüfen, wenn nicht durch einen Vergleich mit den Durchschriften der Honorarrechnungen? Wie kann z. B. ein Rechtsanwalt begründen, dass Reisekosten im Zusammenhang mit einem Mandantenbesuch stehen, wenn nicht durch Vorlage des entsprechenden Schriftwechsels? Diese Problematik ist bereits im Zusammenhang mit der Führung von Fahrtenbüchern diskutiert worden (vgl. 19. TB, Tz. 4.10.3). Auch in diesen Fällen fordern nämlich die Berufsordnungen, das Patienten- bzw. Mandantengeheimnis zu wahren. Im Extremfall könnte die Verschwiegenheitspflicht dazu führen, dass das Finanzamt die Einnahmen und Ausgaben schätzt, was sich in der Regel negativ für den Steuerpflichtigen auswirkt.

Das Problem ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es bisher weder in der Rechtsprechung noch in der datenschutzrechtlichen Literatur als Verstoß gegen die Geheimhaltungsvorschriften angesehen wird,

  • wenn Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater usw. Honorarforderungen einklagen und durch Dritte (Gerichtsvollzieher, Inkassobüros) beitreiben lassen,

  • wenn sie ihre Buchhaltung und steuerliche Betreuung durch Steuerberater erstellen bzw. abwickeln lassen,

  • wenn Wirtschaftsprüfer die Buchführung (einschließlich des gesamten Kontokorrents) von Krankenhäusern in der Rechtsform juristischer Personen privaten Rechts (GmbH, KG) prüfen und testieren,

  • wenn Rechnungshöfe und Rechnungsprüfungsämter das Abrechnungsgebahren öffentlicher Krankenhäuser überprüfen und

  • wenn schließlich auch Datenschutzbeauftragte und Datenschutzaufsichtsbehörden im Rahmen ihrer Prüfungen und Beratungen solche Daten zur Kenntnis nehmen.

Wegen dieser unterschiedlichen Verfahrensweise ist es dringend geboten, die Grundfrage zu klären, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Berufsgeheimnisträger berechtigt sind, aus dem originären geheimgeschützten Datenbestand personenbezogene Daten zu selektieren, um die Vertragsabwicklung zu ermöglichen bzw. eigene berechtigte Interessen zu wahren. Anders formuliert: Ergeben sich aus dem Vertragsverhältnis zwischen dem Betroffenen und dem ”Geheimnisträger” für Letzteren Rechte, bestimmte personenbezogene Daten zu bestimmten Zwecken zu offenbaren?

Kein Zweifel besteht, dass dies - wenn überhaupt - nur im erforderlichen Umfang geschehen darf. Außerdem ist zu beachten, dass die Geheimhaltungspflichten und die damit korrespondierenden Auskunfts- und Herausgabeverweigerungsrechte primär zum Schutz der Betroffenen und nicht der Daten verarbeitenden Stellen geschaffen worden sind.

Da es sich nicht nur um ein steuerrechtliches Problem handelt, haben wir angeregt, dass sich mit diesem Thema nicht nur der Arbeitskreis ”Steuer”, sondern auch die Arbeitskreise ”Soziales” und ”Justiz” der Konferenz der Datenschutzbeauftragten sowie gegebenenfalls der ”Düsseldorfer Kreis” als zuständiges Gremium der Aufsichtsbehörden befassen. Dies wird in den nächsten Monaten geschehen. Ziel der Beratungen wird es sein, in allen Fällen eine vergleichbare Verfahrensweise zu erreichen, die die Rechte der Betroffenen nicht unzumutbar beeinträchtigt und mit dem geltenden Recht vereinbar ist.

Was ist zu tun?
Die Gremien der datenschutzrechtlichen Kontrollinstanzen und der bereichsspezifischen Aufsichtsbehörden (berufsständische Kammern) sollten sich darüber verständigen, ob und wenn ja welche Teile der Datenbestände, die einer besonderen beruflichen Schweigepflicht unterliegen, Dritten zugänglich gemacht werden dürfen.


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