26. Tätigkeitsbericht (2004)

4.5

Verkehr und Wirtschaft

4.5.1

Verkehrstotalüberwachung durch das Lkw-Mautsystem?

Die Diskussion über das Lkw-Mautsystem der Firma TollCollect drehte sich monatelang nur um Fragen der Funktionsfähigkeit des Systems und der Kosten. Es sind aber auch noch wichtige datenschutzrechtliche Fragen zu klären.

Im Sommer 2003 konkretisierten sich Befürchtungen, dass das sehr aufwändige Lkw-Mauterfassungs- und Abrechnungssystem zu einer weitgehenden Überwachung des Straßenverkehrs mithilfe von Satellitennavigation, Mobilfunkkontrolle und Videoüberwachung geeignet ist. Die Mautabrechnung soll nämlich vorrangig mithilfe von in den Lastkraftwagen installierten OnBoardUnits, den so genannten OBUs, erfolgen. Die OBUs vergleichen ständig die aktuellen GPS-Koordinaten mit einer im Gerät gespeicherten Straßenkarte. Wird dadurch erkannt, dass sich der Lkw auf einer mautpflichtigen Strecke befindet, so beginnt der Gebührenzähler zu laufen. Anhand der GPS- und Tachosignale wird die Plausibilität der gemessenen Werte überprüft. Verlässt der Lkw die mautpflichtige Strecke, so meldet das im OBU installierte Mobilfunkgerät automatisch die errechnete Maut samt der gefahrenen Strecke an die TollCollect-Zentrale, die der Spedition die Fahrt in Rechnung stellt.

Mithilfe von derzeit knapp 200 Kontrollbrücken über Autobahnen mit Videoüberwachung und Infrarotsensor soll überprüft werden, ob alle mautpflichtigen Fahrzeuge auch tatsächlich abrechnen. Hierzu werden die Frontbilder von sämtlichen Fahrzeugen - also auch der Pkws - per Video erfasst und die Kfz-Kennzeichen über ein automatisches Mustererkennungsverfahren eingelesen. Diese Daten werden wieder gelöscht, wenn die OBU per Infrarotsignal mitteilt, dass der Mautpflicht entsprochen wird. Bei der Durchfahrt unter der Brücke werden zudem die Fahrzeuge automatisch vermessen. Ergibt sich dabei, dass keine Mautpflicht besteht, z. B. weil es sich bei dem Fahrzeug um einen Pkw und nicht um einen Lkw handelt, so werden auch die hierzu gehörenden Videodaten gelöscht. Lkws ohne OBU haben die Möglichkeit, vorab Strecken unter Angabe des Kfz-Kennzeichens über Internet oder an Bezahlterminals an Tankstellen vorzubuchen. Ergibt sich, dass das eingelesene Kennzeichen mit dem der Vorbuchung übereinstimmt, so werden auch diese Bilder gelöscht. Kommt es aber nicht zu einem Treffer, so wird das aufgenommene Foto als Beweismittel gespeichert; dem Besitzer des Kfz wird ein Bußgeldbescheid zugestellt.

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hatte schon im Jahr 2001 darauf gedrängt, eine datensparsame Technik bei der Mauterfassung zu realisieren. Das TollCollect-Verfahren birgt dagegen ein erhebliches Überwachungspotenzial: Über die Videoüberwachung kann nicht nur nach Lkws, sondern auch nach Pkws gefahndet werden, deren Bilder zunächst vollständig erfasst werden. Ist die technische Infrastruktur erst einmal aufgebaut, genügt eine kleine Gesetzesänderung. Da es sich bei der OBU um ein ganz ”normales” Mobiltelefon handelt, lässt sich zudem mithilfe der Mobilfunkverbindungsdaten - die z. B. über die ”stille SMS” erzeugt werden können - eine Lokalisierung des Lkw auf wenige hundert Meter genau vornehmen.

Zwar sieht das Autobahnmautgesetz eine ”ausschließliche” Zweckbeschränkung der Mautdaten vor. Doch stellte das Amtsgericht Gummersbach bereits fest, dass sich dadurch kein Verarbeitungs- und Verwertungsverbot für Strafverfolgungsbehörden ergeben könne. Daher sahen wir uns veranlasst, die Verfahrensbeteiligten auf die datenschutzrechtlichen Gefahren hinzuweisen. Weder der Betreiber noch das Bundesverkehrsministerium sehen allerdings relevante Datenschutzrisiken.

Was ist zu tun?
Die öffentliche Debatte über die Lkw-Maut sollte sich nicht auf die technische Machbarkeit beschränken, sondern sich auch mit den Gefahren für die Freiheit befassen.

4.5.2

Datenschutzgerechte Korruptionsregister

Wie kann gewährleistet werden, dass Anbieter in öffentlichen Ausschreibungsverfahren, die sich als korrupt und unzuverlässig erwiesen haben, nicht den Zuschlag bekommen? Die Lösung soll ein Korruptionsregister bringen. Hierbei müssen aber Rechtsstandards beachtet werden.

Noch kurz vor der Bundestagswahl 2002 versuchte die Bundesregierung, durch Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein bundesweites Korruptionsregister einzuführen. Nachdem dieses Vorhaben am Widerstand des Bundesrates gescheitert war und auch keine Erfolgsaussichten für eine erneute Bundesinitiative bestanden, wurden Landespolitiker aktiv. Zumindest für Schleswig-Holstein sollte ein solches Register realisiert werden. In einigen Bundesländern gibt es bereits solche Register, jedoch ohne gesetzliche Grundlage. Auf dem Erlasswege können und dürfen aber die Grundrechte auf Datenschutz und auf freie wirtschaftliche Betätigung nicht eingeschränkt werden. Notwendig ist deshalb eine gesetzliche Grundlage.

Nach der Anhörung zu einem Gesetzentwurf im Landtag wurden wir gebeten, Vorschläge für ein datenschutzgerechtes Korruptionsregistergesetz zu machen. Angesichts der Dauer von Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren im Wirtschaftsbereich lag ein zentrales Problem darin, schon während der Ermittlungen eine Speicherung zuzulassen, ohne dass hierbei die Rechtsposition des jeweiligen Unternehmens bzw. der Beschuldigten unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. Unstreitig ist, dass die Unschuldsvermutung eine Registerspeicherung nicht von vornherein ausschließt. Wohl aber müssen durch Benachrichtigungen, Widerspruchs- und Löschansprüche die Grundsätze des rechtlichen Gehörs, des fairen Verfahrens und der informationellen Selbstbestimmung gewahrt bleiben. Unsere Formulierungsvorschläge haben wir nicht nur den Fraktionen unterbreitet, sondern auch im Interesse einer breiten öffentlichen Diskussion im Internet veröffentlicht:

www.datenschutzzentrum.de/material/themen/divers/korrreg.htm

Danach könnte ein Landesregister eingerichtet werden, bei dem ab einer bestimmten Auftragshöhe Landesstellen anfrage- und meldepflichtig sind. Aber auch Anfragen und Meldungen von sonstigen Stellen könnten bearbeitet bzw. gespeichert werden, sodass eine über die Landesgrenzen hinausgehende Kommunikation möglich wäre. Eine zentrale Funktion käme den präzisen Regelungen der Speicherungskriterien und den Auskunfts- und Korrekturansprüchen der betroffenen Personen und Unternehmen zu.

Die Reaktionen anderer Gutachter wie auch der Politik auf unsere Vorschläge waren fast durchgängig positiv. Aus der Bürgerschaft Hamburg kam eine Anfrage, ob die ULD-Formulierungsvorschläge übernommen werden könnten. Auch bei einer Anhörung im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurden unsere Vorschläge zustimmend kommentiert und in das weitere dortige Gesetzgebungsverfahren einbezogen. In Schleswig-Holstein wurden die Regelungsvorschläge leicht modifiziert in das weitere Gesetzgebungsverfahren eingebracht.

Was ist zu tun?
Gegen ein Korruptionsregister ist aus Datenschutzsicht nichts grundsätzlich einzuwenden. Doch müssen dabei die rechtsstaatlichen Standards, insbesondere der Gesetzesvorbehalt bei Grundrechtseingriffen, beachtet werden.


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