Donnerstag, 2. November 2006

5: Stellungnahmen

Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder

Stellungnahme des ULD zur Bundesrats-Drucksache 672/06, 827. Sitzung des Bundesrates am 3. November 2006

Die Bundesregierung hat den oben genannten Gesetzesentwurf dem Bundesrat als besonders eilbedürftig zugeleitet.

Mit dem Entwurf will die Bundesregierung gesetzliche Grundlagen für die Errichtung einer gemeinsamen „Antiterrordatei“ sowie gemeinsamer „Projektdateien“ von Polizei und Nachrichtendiensten schaffen. Hierzu soll ein Antiterrordateigesetz geschaffen und zahlreiche weitere Vorschriften geändert werden. Hierdurch werden die Befugnisse der beteiligten Stellen zur Verarbeitung personenbezogener Daten erheblich erweitert.

Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz sieht die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als wichtiges Ziel von äußerster Bedeutung an. Hierfür würden wir eine als Indexdatei ausge­staltete gemeinsame Informationsbasis der Sicherheitsbehörden im Grundsatz akzeptieren. Der vorliegende Entwurf geht jedoch über eine solche Indexdatei deutlich hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 4. April 2006 formuliert: „Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit darf vom Gesetzgeber neu justiert werden, die Gewichte dürfen jedoch von ihm nicht grundlegend verschoben werden“. Die Dateien in der geplanten Form sind ein weiterer Schritt in Richtung einer solchen grundlegenden Verschiebung der Gewichte. Die geplanten Regelungen beinhalten eine neue Qualität des Datenaustausches zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden, die insbesondere mit dem verfassungsrechtlichen Trennungsgebot nicht zu vereinbaren ist. Das Trennungsgebot setzt neben einer organisatorischen Trennung eine informationelle Trennung voraus, die die Möglichkeit eines Informationsverbundes erheblich eingrenzt.

Problematisch ist hierbei nicht nur das geplante Antiterrordateigesetz (I). Verfassungsrechtliche Fragen und Zweifel werfen auch die vorgesehenen Änderungen der einzelnen Fachgesetze zur Einführung sog. „Projektdateien“ auf (II).

I. Antiterrordateigesetz

Im Einzelnen geht es bei dem geplanten Antiterrordateigesetz (ATDG-E) um einen zu großen durch die Regelung betroffenen Personenkreis, einen überdehnten Umfang von gemeinsam verwendeten Daten und eine zu großzügige Ausgestaltung von Zugriffsbefugnissen. Insgesamt sind die tatbestandlichen Formulierungen wenig fassbar und arbeiten mit zahlreichen Verweisungen. Dies erschwert die Verständlichkeit des Gesetzesentwurfs; die Normenbestimmtheit und -klarheit leidet.

Beteiligt sind an der Datei sowohl Nachrichtendienste als auch Polizeibehörden in Bund und Ländern und das Zollkriminalamt. Neben BKA und LKÄ will der Gesetzesentwurf gemäß § 1 Abs. 2 „weitere Polizeivollzugsbehörden“ beteiligen, sofern diesen Aufgaben der Terrorismusbekämpfung zugewiesen sind. Dies kann prinzipiell jede Polizeidienststelle sein; die Zahl der zugreifenden Stellen ist kaum begrenzbar.

1. Erfasster Personenkreis

§ 2 ATDG-E umfasst einen sehr weiten Personenkreis. Ausreichend für die Speicherung einer Person in der Datei sind „Erkenntnisse“, aus denen sich „Anhaltspunkte für Tatsachen“ ergeben, dass sich die Daten auf Personen „beziehen“, die von einer der beteiligten Nachrichtendienst- oder Polizeibehörden im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 ATDG-E kategorisiert wurden.

a)  Das Tatbestandsmerkmal der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ ist bereits das am weitesten gehende. Denn es verlangt keine Tatsachen – also keine beweiskräftigen objektiven Fakten, sondern lässt Indizien ausreichen, aus denen nach der behördlichen Erfahrung auf das mögliche Vorliegen eines Sachverhalts geschlossen werden kann (vgl. zum Begriff ausführlich Rachor: in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Auflage 2006, Seite 358 ff. m.w.N.). Aus diesen tatsächlichen Anhaltspunkten soll sich lediglich ergeben, dass sich die zu speichernden Daten auf von den Behörden eingestufte Personen „beziehen“. Auch bei der Einstufung der Personen sollen nach der Entwurfsbegründung lediglich tatsächliche Anhaltspunkte ausreichend sein. Die weitere Voraussetzung, dass die Kenntnis der Daten für die Bekämpfung und Aufklärung des internationalen Terrorismus erforderlich sein müssen, hilft zur Eingrenzung des Tatbestandes ebenfalls wenig. Diese Voraussetzung ist angesichts des Zwecks der Datei ohnehin selbstverständlich. Zudem bleibt es den Sicherheitsbehörden überlassen, die Maßstäbe für den Rahmen des Erforderlichen selbst festzulegen.

Die Regelungen beschränken sich nicht auf Personen, die Mitglied oder aktive Unterstützer einer terroristischen Vereinigung sind, bzw. bei denen tatsächliche Anhaltspunkte hierfür sprechen.

Dies gilt insbesondere für die in Nr. 2 genannten Personen, bei denen Indizien dafür vorliegen, dass sie „rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange (…) befürworten“. Der Entwurf sagt weder, welche Formen der Gewalt hierunter zu subsumieren sind, noch erklärt er den Begriff der „rechtswidrigen Befürwortung“ von Gewalt bzw. der „Befürwortung“ rechtswidriger Gewalt; – Letzteres scheint entgegen dem Wortlaut gemeint zu sein. Die Gesetzesbegründung begnügt sich mit der lapidaren Tautologie: „Das Tatbestandsmerkmal des Befürwortens setzt voraus, dass die betreffende Person die entsprechende Gewaltanwendung gutheißt.“  Der Wortlaut dieser Vorschrift hat keinen unmittelbaren Bezug zu terroristischer Gewalt, sondern benutzt diesen Begriff in seiner gesamten Allgemeinheit. Unter „Gewalt“ ist jede gegenwärtige Zufügung eines empfindlichen Übels zu verstehen (Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, vor § 234 Rn. 6). Dies kann bereits beim Beiseitestoßen einer Person der Fall sein.  Auf eine Verknüpfung des Begriffs der Gewalt mit weiteren eingrenzenden Tatbestandsmerkmalen, die typischerweise den Bereich des Terrorismus betreffen, verzichtet der Entwurf. Denkbar wäre etwa eine ähnliche Formulierung wie in § 129a StGB, der für den Bereich der terroristischen Gewalt unter anderem eine gewisse Erheblichkeit fordert. So liegt Gewalt i.S.d. § 129a StGB etwa vor, wenn diese geeignet ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern.  Da die Vorschrift auf solche tatbestandlichen Eingrenzungen verzichtet, wird sie in der Praxis zu einer erweiterten Speicherung von Personen führen, die ausschließlich dem Bereich des politischen Extremismus zuzurechnen sind. Dies zeigt, dass das Gesetz nicht nur der Terrorismusbekämpfung dienen soll, sondern eine weit darüber hinausgehende Befugniserweiterung zum Ziel hat.

Noch bedenklicher ist die Erfassung der in Nr. 3 genannten Kontaktpersonen. Den Kreis dieser Personen grenzt die Vorschrift nicht in ausreichender Weise ein. Voraussetzung ist lediglich, dass tatsächliche Anhaltspunkte auf einen Kontakt bestehen und darauf hindeuten, dass durch die Kontaktperson Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus gewonnen werden können. Hier findet das Tatbestandsmerkmal der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ in doppelter Weise Anwendung, denn bereits die Einstufung der Person, zu der ein Kontakt angenommen wird, beruht nicht auf beweiskräftigen Fakten, sondern nur auf Indizien. Dies wird die Zahl der betroffenen Personen um ein Weiteres erhöhen. Ausreichen soll obendrein der Kontakt zu einer Person, die rechtswidrige Gewalt befürwortet.

Auf die Kenntnis der Kontaktpersonen über den – lediglich möglichen –  terroristischen Hintergrund der Hauptperson soll es nach dem Gesetzesentwurf nicht ankommen. Die Nachrichtendienste und Polizeibehörden müssen damit sogar Daten solcher Personen in die Datei einstellen, die der Hauptperson oder ihren Aktivitäten nachweislich arglos gegenüberstehen. Damit ist zu befürchten, dass eine Vielzahl völlig unbescholtener Bürger in der „Antiterrordatei“ landen wird. Das Gesetz enthält nicht einmal einschränkende Regelungen für die Speicherung von Kindern.

b)  Ergänzend ist hervorzuheben, dass § 2 Satz 1 von „bereits erhobenen“ Daten spricht. Es soll also mit Rückwirkung auf alle schon erhobenen in anderen Dateien gespeicherten Daten im Einzelfall entschieden werden, ob und in welcher Form diese gespeichert werden. Es ist davon auszugehen, dass sich in den Datenbanken der Nachrichtendienste und der Polizeibehörden viele hundert tausende Datensätze befinden. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die neu geschaffenen Vorschriften – auf Grund ihrer mangelnden Bestimmtheit – im Einzelfall schwierige Wertungen erfordern, z.B. bei der Frage, ob eine Person „Gewalt“ im Sinne des § 2 Nr. 2 ATDG-E „befürwortet“. Bei einer derart hohen Zahl zu bewertender Datensätze ist kaum vorstellbar, dass diese Arbeit mit der nötigen Sorgfalt und Akribie geleistet werden kann. Fehler sind genauso vorprogrammiert wie ein immens hoher Arbeitsaufwand bei den Sicherheitsbehörden. Dies ist ein Aufwand, der für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger an anderer Stelle besser investiert wäre.

     Schließlich ist ein weiterer sehr bedeutender Mangel des Entwurfes hervorzuheben: Gespeichert werden sollen alle zur Verfügung stehenden Daten, unabhängig davon, zu welchem Zweck die Daten erhoben wurden. Eine Differenzierung enthält das Gesetz insoweit nicht. Sieht also etwa eine bundes- oder landesrechtliche Vorschrift vor, dass die Daten der betroffenen Person in ihrer Eigenschaft z.B. als Zeuge oder Opfer gespeichert werden, sollen nach dem Entwurf zum ATDG-E diese Daten ohne Berücksichtigung jeglicher Zweckbindung in die „Antiterrordatei“ eingestellt werden. Es ist zweifelhaft, ob dies noch als angemessen einzustufen ist.

c)  Die Vorschriften der §§ 2 ff. ATDG-E beinhalten in der Rechtsfolge nicht lediglich eine Ermächtigung zur Speicherung. Alle beteiligten Stellen sind vielmehr zur Speicherung verpflichtet; ein Ermessen der speichernden Stelle ist nicht vorgesehen. Angesichts der Beteiligung sowohl von Polizeibehörden wie von Nachrichtendiensten stellt dies eine völlig neue Qualität des Datenaustausches dar. Eine Einschränkung ist lediglich in § 4 Abs. 1 Satz 1 ATDG-E vorgesehen. Bezeichnend ist, dass diese Einschränkungen der Speicherungspflicht nicht für solche Fälle vorgesehen sind, in denen dies die Rechte der Betroffenen erfordern, sondern lediglich in Fällen, in denen besondere Geheimhaltungsinteressen der Sicherheitsbehörden hierfür sprechen.

2. Umfang der zu speichernden Daten

Der Umfang der Daten, zu deren Speicherung die beteiligten Behörden verpflichtet sind, widerspricht ebenfalls dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Ursprünglich war eine reine Indexdatei geplant. Diese sollte lediglich solche Daten enthalten, die ein Auffinden von Vorgängen ermöglicht hätten. Um etwa den Polizeibehörden zu ermöglichen, bei einer nachrichtendienstlichen Behörde im Einzelfall ein Ersuchen zur Datenübermittlung zu dort gespeicherten Personen zu stellen, wäre eine solche Indexdatei ausreichend gewesen. Der Umfang der zu speichernden Daten geht über das zum Auffinden von Vorgängen Erforderliche jedoch deutlich hinaus. Daran ändert auch nichts, dass man die Inhaltsdaten nicht als solche bezeichnet, sondern sie einfallsreich „erweiterte Grunddaten“ nennt.

Angesichts der Eile, in der das Gesetzgebungsverfahren betrieben wird, verzichten wir hier darauf, uns zu allen im Entwurf vorgesehenen Datenfeldern zu äußern und möchten nur einige Gesichtspunkte hervorheben:

a)  Gerade angesichts des Umstandes, dass ursprünglich eine Indexdatei als ausreichend angesehen wurde, ist ein Freitextfeld (§ 3 Abs. 1 Nr. 1. Buchst. b, rr) nicht hinnehmbar. Die mögliche Speicherung von „auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende zusammenfassende besondere Bemerkungen, ergänzende Hinweise und Bewertungen“ ist ein Einfallstor für eine Speicherung nahezu beliebiger Datenmengen. Eine Eingrenzung der Menge der aufzunehmenden Daten ist nicht vorhanden, im Prinzip ist die Aufnahme ganzer Akteninhalte denkbar. Setzt man diesen Umstand mit der weiten Definition der zu erfassenden Personen in Verbindung, so wird die Tragweite des Gesetzes im Hinblick auf die Aufweichung des Trennungsgebotes nur allzu deutlich.

b)  Die Speicherung der Religionszugehörigkeit (§ 3 Abs. 1 Nr. 1. Buchst. b, hh) ist nicht akzeptabel. Art. 4 GG ist ein schrankenlos gewährleistetes Grundrecht, das nur im Rahmen der praktischen Konkordanz eingeschränkt werden kann. Ob die Einschränkung der Religionsfreiheit stets durch ein überragend wichtiges entgegenstehendes Rechtsgut gerechtfertigt wird, muss bezweifelt werden, da hier nicht die Daten nur solcher Personen gespeichert werden, deren Verbindungen zum Terrorismus feststehen. Vielmehr dürfte bei einem Großteil der zu speichernden Daten noch nicht einmal die Schwelle des strafrechtlichen Anfangsverdachts erreicht sein.

c)  Ein besonderes Licht auf den Inhalt der Datei wirft § 3 Abs. 2 ATDG-E. Darin ist geregelt, dass auf Grund besonderer Rechtsvorschrift gekennzeichnete Daten auch in der Antiterrordatei entsprechend zu kennzeichnen sind. Kennzeichnungspflichten sind in der Regel nur bei solchen Daten vorgesehen, die durch besonders sensible Grundrechtseingriffe –z. B. die akustische Wohnraumüberwachung – erlangt worden sind.

3. Zugriffsmöglichkeiten und Datenübermittlung

Die Regelungen über den gegenseitigen Zugriff auf die gespeicherten Daten stellen eine weitere Aushebelung des verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes dar.

Dies gilt auch dann, wenn der Vollzugriff zunächst nur für die „Grunddaten“ gestattet sein soll. Der Zugriff auf die „erweiterten Grunddaten“ soll auf den ersten Blick nur möglich sein, wenn dies die speichernde Stelle nach Maßgabe der für sie geltenden Übermittlungsvorschriften gestattet. Ein Ende findet diese Übermittlungseinschränkung jedoch, wenn ein Eilfall im Sinne des § 5 Abs. 2 ATDG-E vorliegt. In einem solchen Eilfall kommt es auf die für die speichernde Stelle geltenden Übermittlungsvorschriften nicht mehr an, es gilt dann nur noch diese Regelung. Damit schafft das ATDG-E – und dies ist deutlich hervorzuheben – eine neue Übermittlungsregelung. Diese ist zudem sehr weit gefasst, da zum Beispiel eine gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit für den Eilzugriff ausreicht. Dies ist bereits gegeben, wenn einer Person Haare abgeschnitten zu werden drohen.

Durch diese Regelung wird die Antiterrordatei zu einem automatischen Abrufverfahren im klassischen Sinne. Solche Verfahren sind dadurch gekennzeichnet, dass die Zulässigkeit der Datenübermittlung (allein) durch den Empfänger der Daten beurteilt wird. Die speichernde Stelle hat keine Möglichkeit mehr, die Übermittlung und damit den Verbleib der Daten zu steuern.

Daran ändert auch die in § 5 Abs. 2 Satz 3 ATDG-E enthaltene Regelung zur nachträglichen Benachrichtigung der speichernden Stelle nichts, ebenso nicht die in Satz 4 vorgesehene nachträgliche Zustimmung bzw. Verweigerung der Zustimmung. Denn die nachträgliche Verweigerung wird die beteiligten Sachbearbeiter kaum in die Lage versetzen, die erlangten Informationen auf Befehl zu vergessen, sie also „aus ihren Köpfen zu löschen“.

Angesichts der damit besiegelten sehr weit gehenden Vermischung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Informationsbestände sollte § 5 Abs. 2 ATDG-E vollständig gestrichen werden.

4. Berichtigung, Änderung und Löschung

Eigene Regelungen über Berichtigung, Änderung und Löschung der Daten fehlen dem Gesetz weit gehend, es begnügt sich meist mit Verweisungen auf andere – in der Regel nicht im Einzelnen benannte – Vorschriften. Damit fehlt den Vorschriften die hinreichende Normenklarheit und 
-bestimmtheit. Einzige Regelung zu den Löschungsfristen ist § 11 Abs. 2 und 4 ATDG-E. Diese Vorschrift ist nicht nur unzureichend, sondern ihr fehlt auch die Praktikabilität. Die Vorschrift verweist auf die Löschfristen, die für „die Erkenntnisdaten“ gelten und damit offenbar auf die Fristen, die für andere Dateien gelten. Welche Fristen das sind und wie der Begriff der „Erkenntnisdaten“ bzw. der „zugehörigen Erkenntnisse“ zu verstehen sein soll, sagt weder der Gesetzesentwurf noch seine Begründung.

Die in § 12 ATDG-E vorgesehenen Errichtungsanordnungen werden von dem im Sicherheitsbereich üblichen Standard erheblich abweichen. Löschfristen sollen nicht einmal an dieser Stelle konkretisiert werden.

Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit wären klar und eigenständig geregelte Löschfristen unabdingbar. Der bloße Verweis auf andere Vorschriften verkennt, dass die Speicherung in der Antiterrordatei einen eigenständigen Grundrechtseingriff darstellt, der durch die Vermischung nachrichtendienstlicher und polizeilicher Daten eine besondere Intensität erhält. Daher wäre es erforderlich – und dies ist im gesamten Sicherheitsrecht Standard – eine differenzierte Abstufung von Prüffristen nach der Rolle der Betroffenen klar zu regeln. So sind für Kontaktpersonen kürzere Fristen vorzusehen als für unmittelbar verdächtige Personen. Für die Personen nach § 2 Satz 1 Nr. 2 ATDG-E gilt Entsprechendes, insbesondere soweit diese lediglich als „Befürworter“ eingestuft werden. Vollkommen inakzeptabel ist, dass nicht einmal für Kinder und Jugendliche kürzere Fristen vorgesehen sind.

5. Datenschutzrechtliche Kontrolle

Dass die Landesbeauftragten für den Datenschutz im Anhörungsverfahren zur Errichtungsanordnung offenbar nicht beteiligt werden sollen, ist nicht nachvollziehbar. Wenn zudem der Bundesbeauftragte lediglich anzuhören ist, desavouiert dies alle Datenschutzbeauftragten.

II. „Projektdateien“

Durch Änderung der bereichsspezifischen Vorschriften für Verfassungsschutzbehörden des Bundes, des MAD, des BND und für das BKA werden „die gesetzlichen Grundlagen für projektbezogene gemeinsame Dateien (Projektdateien) geschaffen, die der Unterstützung einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit (…) dienen.“ Diese Regelungen sind zu unbestimmt und bedeuten eine noch weiter gehende Verabschiedung vom Trennungsgebot. Sie sind daher abzulehnen.

So kann etwa das BfV nach § 22a BVerfSchG-E eine gemeinsame Datei einrichten, an der im Prinzip sämtliche (!) Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder teilnehmen können. Dies reicht vom Bundeskriminalamt über die Landesämter für Verfassungsschutz bis zur Polizeistation auf dem Land.

Die Gesetzesformulierungen sprechen von „Projektbezug“, die Begründung von „Analyseprojekten“ und „Arbeitsgruppen zum Informationsaustausch“. Was damit jedoch genau gemeint sein soll, erhellt sich beim Lesen des Entwurfes nicht. Letztlich handelt es sich um unbestimmte neue Rechtsbegriffe, die zur Eingrenzung der Befugnisse zur Speicherung personenbezogener Daten nichts taugen. Letztlich könnte ein Projekt auch einfach „Bekämpfung des islamistischen Terrorismus“ genannt werden und die „Projektdatei“ würde in Inhalt und Umfang die oben (I) besprochene geplante „Antiterrordatei“ bei weitem sprengen. Nach der Gesetzesbegründung „hängt die konkrete Ausgestaltung der Projektdatei davon, ab, welche Sicherheitsbehörden an der jeweiligen projektbezogenen Zusammenarbeit teilnehmen“ (BR-Drs. 672/06, S. 48 f.). Die Begründung nennt keine inhaltlichen Kriterien für die Ausgestaltung, sondern stellt auf die bloße Teilnahme bestimmter Behörden ab. Damit können sämtliche Daten, die bei Sicherheitsbehörden vorliegen, in einer solchen Datei gespeichert werden. Nicht nur die Daten, sondern auch die Befugnisse aller beteiligten Behörden werden in der Datei vermischt.

Beispiel für die extrem weite Ausgestaltung von Projektdateien ist der Anwendungsbereich des § 22a BVerfSchG-E. Dieser stellt auf die Aufgaben und Befugnisse es BfV nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 4 BVerfSchG ab. Die Vorschrift begrenzt den Inhalt der Dateien nicht auf solche Informationen, die unmittelbar mit der Terrorismusabwehr zu tun haben, sondern nimmt lediglich den Bereich der zum Zweck der Sicherheitsüberprüfung oder des vorbeugenden Sabotageschutzes gespeicherten Daten aus. Damit dient die Datei nicht allein dem Zweck der Terrorismusbekämpfung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BVerfSchG, sondern auch folgenden Zwecken:

  • Beobachtung von Bestrebungen gegen die freiheitliche-demokratische Grundordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG (Extremismusbeobachtung),
  • Beobachtung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG (Spionageabwehr),
  • Beobachtung von Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BVerfSchG.

Anzumerken bleibt die Frage, wie die beteiligten Behörden mit den Daten verfahren sollen. Gemäß § 22a Abs. 1 BVerfSchG-E dürfen diese im Rahmen ihrer Befugnisse die Informationen aus einer Projektdatei lediglich „verwenden“. Aus dem Umkehrschluss aus § 27 BVerfSchG ergibt sich, dass der Begriff des „Verwendens“ gemäß § 3 Abs. 5 BDSG zu bestimmen ist. Gemäß § 3 Abs. 5 ist die Verwendung von Daten ihre Nutzung, soweit es sich nicht um Verarbeitung handelt. Die beteiligten Behörden dürfen die Daten also nicht speichern, verändern, übermitteln, sperren und löschen (vgl. § 3 Abs. 4 BDSG). Wenn beispielsweise die Polizei die Daten nicht in eine Ermittlungsakte speichern darf, kann sie diese praktisch nicht zur Grundlage weiteren Handelns machen. Damit tendieren die Handlungsmöglichkeiten gegen Null. Dies zeigt die fehlende Klarheit und Gründlichkeit des Entwurfs.

Die zum Antiterrordateigesetz angemerkten Mängel der Ausgestaltung der Verfahrensvorkehrungen zum Schutze des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung – insbesondere die unzureichenden Regelungen zu Löschungsfristen – finden sich auch bei den Regelungen zu den Projektdateien. Hier enthalten die Regelungen – im Gegensatz zu § 9 ATDG-E – nicht einmal Löschfristen für Protokolldaten.

Unklar ist, weshalb die im jeweiligen Absatz 6 (§ 22a Abs. 6 BVerfSchG-E, § 9a Abs. 6 BKAG-E, § 9a BND-Gesetz-E) enthaltenen Vorschriften zu Errichtungs- bzw. Dateianordnungen für Projekt­dateien von den sonst geltenden Vorschriften (z.B. § 12 BVerfSchG) abweichen. Sie stimmen auch nicht mit der geplanten Regelung in § 12 ATDG-E überein.

Die Bedenken gelten um so mehr, als die Dateien ausweislich der Gesetzesbegründung Vorfelderkenntnisse enthalten sollen. Im Bereich der Vorfeldermittlungen besteht – wie das Bundesverfassungsgericht besonders betont – ein besonders hohes Risiko einer Fehlprognose – die zu Personen gespeicherten Daten können ein legales Verhalten betreffen. Eine derartige Vermischung nachrichtendienstlicher und polizeilicher Erkenntnisse – ohne hinreichende sachliche und personelle Eingrenzung – kann nicht verfassungsgemäß sein kann.

III. Fazit

Dem Gesetzesentwurf fehlt es an der verfassungsrechtlich notwendigen Normenklarheit. Für die Betroffenen ist kaum bestimmbar, ob und in welchem Umfang sie Adressat staatlicher Eingriffe werden. Diese Eingriffe sind erheblich. Denn auf Grund der Vermischung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Informationsbestände steigt auch für Unbeteiligte das Risiko, auf Grund vager Anhaltspunkte im Vorfeld von Gefahren polizeiliche Eingriffe oder eine Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln fürchten zu müssen. Damit ist auch die Verhältnismäßigkeit des Entwurfs nicht gewahrt.

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Siehe hierzu folgende Entschließungen der 72. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 26. bis 27. Oktober 2006 in Naumburg: