Dienstag, 11. November 1997

5: Stellungnahmen

Stellungnahme zur geplanten Einführung des Großen Lauschangriffs

(Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes Art. 13 GG, (BT-Drs. 13/8650);
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (BT-Drs. 13/8651))

I.         Grundsätzliche Erwägungen gegen den Lauschangriff

Gegenüber dem bisherigen Instrumentarium der Strafermittlungsbehörden weist der geplante Große Lauschangriff zweifellos eine neue Qualität auf. Er schränkt die für die Verwirklichung der engsten Persönlichkeitssphäre unverzichtbare Möglichkeit ein, sich in eine Wohnung zurückzuziehen, sich darin frei zu entfalten und von jederman unbeobachtet zu kommunizieren. Anders als beim staatlichen Zugriff auf Telefonkommunikation, auf den Briefverkehr oder auf Gespräche, die in der Kneipe oder auf der Straße geführt werden, gibt es vor der Überwachung von Gesprächen in Wohnungen schlechterdings keine weitere Rückzugsmöglichkeit für den Betroffenen. Bereits die Existenz einer Rechtsgrundlage für den Großen Lauschangriff, auch wenn sie im einzelnen vermeintlich rechtsstaatlich ausgestaltet werden soll, führt daher zu einer tieferen Erschütterung der engsten Privatsphäre des Bürgers als die bisherigen Ermittlungsinstrumente. 

Vor den daraus folgenden gesellschaftlichen, psychologischen wie auch vor den verfahrensrechtlichen Auswirkungen des Großen Lauschangriffs im einzelnen kann nicht nachdrücklich genug gewarnt werden. Wenn sich der Bürger selbst im Wohn- oder Schlafzimmer nicht sicher sein kann, daß staatliche Behörden jedes Wort mithören, wird sich auch sein Verhältnis zum Staat ändern. In unserer Gesellschaft, deren informationelle Dichte und Komplexität dem Bürger kaum noch Sicherheiten für die Wahrung seiner privatesten Lebenssphäre beläßt, steigt die verfassungsrechtliche Wertigkeit der "Unverletzlichkeit" der Wohnung. Der unantastbare Kernbereich von Art. 13 GG wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits in einer frühen Entscheidung (BVerfGE 27,1) sowie jüngst etwa vom sächsischen Verfassungsgerichtshof eindrücklich und unmißverständlich beschrieben: "Es muß Räume geben, in die sich der Einzelne so zurückziehen kann, daß er unangetastet von jeglicher staatlichen Einmischung seine Vorstellung vom Leben nach seinem Belieben verwirklichen kann und in denen er über sein Verhalten keiner staatlichen Stelle Rechenschaft schuldet und von der Obrigkeit völlig in Ruhe gelassen werden muß. In diesem Bereich vermögen auch schwerstwiegende Interessen der Allgemeinheit oder gar Einzelner einen staatlichen Eingriff nicht zu rechtfertigen.", Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 14.05.1966, DuD 1996, S. 560. 

Der Große Lauschangriff berührt ein sich dramatisch verknappendes persönliches und gesellschaftliches Gut, die Privatheit, in ihren letzten Refugien, und damit höchste verfassungsrechtliche Maßstäbe. Was kann vom Wesensgehalt des Art. 13 GG noch übrig bleiben, wenn sämtliche Lebensäußerungen in der "unverletzlichen" Wohnung staatlich belauscht werden können, weil sich "vermutlich" ein Beschuldigter in ihr aufhält? Auch auf der Stufe der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben sich erhebliche Zweifel, ob die in der Gesetzesbegründung angeführte Bedrohung durch die der Organisierte Kriminalität gegenüber der Privatheit des in Wohnungen gesprochenen Wortes überwiegen kann, da die Hauptzielrichtung des vorliegenden Gesetzentwurfs gerade nicht die Gefahrenabwehr ist.

Es steht zu befürchten, daß auch der Lauschangriff als schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht hinnehmbarer Eingriff in die Intimsphäre nicht die gewünschten und durch den Gesetzentwurf in Aussicht gestellten Erfolge bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität bringen wird. Logistisch gut ausgestattete und international operierende Täterstrukturen als Zielgruppe der geplanten Überwachung werden sich durch organisatorische Verabredungen, technische Störmanöver oder die Wahl anderer Kommunikationswege auf die Möglichkeit eines Lauschangriffs in Wohnungen einstellen können und die erheblichen Aufwendungen zu seiner Vorbereitung vielfach ins Leere laufen lassen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der dritte in einer erst 1992 mit dem OrgKG begonnenen und 1994 durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz fortgesetzten Reihe von fundamentalen Ausweitungen des polizeilichen Ermittlungsinstrumentariums, die alle mit der Bedrohung durch die Organisierte Kriminalität begründet wurden. 

Ohne daß vor oder nach der Schaffung der jeweils neuen Eingriffsinstrumente eine saubere Rechtstatsachenanalyse durchgeführt und die Erforderlichkeit und Eignung solcher Instrumente nachvollziehbar begründet worden wäre, wird der Lauschangriff nun gefordert, weil die gerade erst geschaffenen Instrumente bereits versagt hätten (vgl. S. 30, 31 der Begründung). Das Für und Wider gerade des Belauschens von Wohnungen wird nur ganz kursorisch abgehandelt. Gerade in der Perspektive dieser zurückliegenden Novellen der Strafprozeßordnung drängt sich der Eindruck auf, daß mit dem Begründungstopos der Organisierten Kriminalität allzu leichtfertig, und ohne Rechenschaft über die praktische Anwendung der Ermittlungsmaßnahmen abzulegen, höchstrangige Rechtsgüter des Bürgers erneut verkürzt werden sollen. 

Vieles spricht dafür, daß auch der Große Lauschangriff in einigen Jahren von den Strafverfolgungsbehörden selbst als ineffektiv im Kampf gegen die Organisierte Kriminalitätbewertet werden wird und dies dann die Grundlage für weitere Ausweitungen des strafprozessualen Instrumentariums abgibt. Die Eingriffsgrundlagen jedoch werden dann bestehenbleiben und vermutlich in ganz anderen Ermittlungszusammenhängen zur Anwendung gebracht werden, als dies der ursprünglichen Begründung entspricht. Beispiele für eine derartige Verselbständigung von Eingriffsgrundlagen finden sich bereits heute: So etwa die Befugnis zur Herstellung von Bildaufzeichnungen nach § 100 c StPO, einst zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität eingeführt und heute u.a. Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung des fließenden Straßenverkehrs. Vor der Wiederholung solcher Entwicklungen, die Ausdruck einer schleichenden Erosion rechtsstaatlicher Sensibilität sind, muß nachdrücklich gewarnt werden. Es liegen schlichtweg keine stichhaltigen Argumente dafür vor, daß der Lauschangriff den stets beklagten logistischen Vorsprung der organisierten Täter vor den Ermittlungsbehörden entscheidend verringern wird. Betroffen werden durch ihn vor allem schlechter ausgestattete Täter sein, die weit unflexibler in vorher festgelegten Wohnungen und nicht beispielsweise per Handy über die Grenze hinweg kommunizieren, sowie vor allem eineVielzahl von unbeteiligten Personen (s.u. II.3).

Sollten diese eindeutig gegen den Lauschangriff auf dem Gebiet der Strafverfolgung sprechenden Argumente rechtspolitisch bis zu einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht zum Zuge kommen, so folgen aus ihnen jedenfalls strengste Maßstäbe für die Ausgestaltung eines Lauschangriffes. Eine gesetzliche Regelung muß dazu zwingen, die einzelnen Ermittlungs- und Verfahrensschritte immer wieder ins Verhältnis zum überragenden Rechtsgut der intimsten räumlichen Persönlichkeitssphäre der Betroffenen zu setzen. Eine Ausweitung des Katalogs von Straftaten, bei denen ein Lauschangriff zulässig sein soll, sowie eine tatsächliche Ausuferung der Anwendungspraxis, wie sie in Deutschland bei der Telefonüberwachung nach § 100 a StPO seit längerem zu beobachten ist, muß bereits grundgesetzlich unterbunden werden. Und vor allem: Falls tatsächlich nach einem absehbaren Zeitraum nicht objektiv nachvollziehbar Rechenschaft darüber abgelegt werden kann, daß die tiefgreifenden Rechtsverkürzungen des Bürgers durch substantielle Fortschritte bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität "aufgewogen" werden, muß die gesetzliche Eingriffsgrundlage zurückgenommen werden. Die Diskussion um eine bis heute nicht gewährleistete saubere Rechtstatsachenanalyse zur Bewertung des vorhandenen Instrumentariums der Strafermittlungsbehörden hat gezeigt, daß offensichtlich nur durch eine im Gesetz selbst verankerteBefristung von Ermächtigungsgrundlagen die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Forderung, die Notwendigkeit von Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht regelmäßig zu überprüfen, erfüllt werden kann.


II.         Zu den Einzelheiten des Entwurfs

Der in § 100 c Abs. 3 StPO des Entwurfs vorgesehene Begriff der "besonders schweren Straftat" läßt dem einfachen Gesetzgeber zu viel Freiraum für die Aufstellung und praktisch vor allem für die nachträgliche Erweiterung eines Straftatenkataloges, bei dem ein Lauschangriff zulässig sein soll. Wie erwähnt, zeigt leider die Erfahrung mit dem Katalog des § 100 a StPO für die Telefonüberwachung, daß die Schwelle zur Erweiterung eines solchen Kataloges vergleichsweise schnell überschritten wird, wenn das Eingriffsinstrument als solches einmal geschaffen ist, und daß die ursprünglich strengeren Maßstäbe im Hinblick auf die Schwere der Tat im Laufe der Zeit deutlich abgeschwächt werden. In Art. 13 Abs. 3 Satz 1 GG sollte daher jedenfalls die Formulierung "schwerste Straftat" verankert, besser noch eine für den einfachen Gesetzgeber maßgebliche Verobjektivierung des Schweregrades vorgesehen werden. Ein Lauschangriff kann überhaupt nur bei Verbrechen in Rede stehen, welche die Rechtsordnung nachhaltig gefährden.

Die Sichtung des vorgesehenen Kataloges in § 100 c Abs. 1 Nr. 3 zeigt, daß bereits jetzt teilweiseStraftaten unterhalb der Verbrechensstufe vorgesehen sind, beispielsweise der einfache Bandendiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB), einige Vergehen aus dem Bereich der Staatsschutzkriminalität (§§ 80 a, 84, 85, 87, 88, auch etwa § 129 a Abs. 3 StGB), gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei (§ 260 StGB) sowie § 92 a Ausländergesetz. Sie sind aus dem Katalog zu streichen. 

Ausgehend von der Gesetzesbegründung zum Großen Lauschangriff muß es verwundern, daß bereits von Anfang an weite Teile des politischen Strafrechts in den Katalog miteinbezogen werden sollen. Sicherlich mag es Überschneidungen zwischen Organisierter Kriminalität und manchenStaatsschutzdelikten geben; der Gesetzentwurf verlangt dies jedoch nicht ausdrücklich und nährt daher die bereits oben geäußerte Besorgnis, daß sich die Rechtsgrundlage für den Lauschangriff aus dem ursprünglichen Begründungszusammenhang lösen wird. 

In der Praxis besteht zudem die Gefahr, daß ein Blick in den einfachgesetzlichen Straftatenkatalog die verfassungsrechtlich auch im Einzelfall notwendige Prüfung ersetzen wird, ob die Maßnahme des Lauschangriffs zur Verfolgung der konkreten Straftat im Verhältnis zu den betroffenen Rechtsgütern der belauschten Personen angemessen ist. Wo dies nicht am ehesten naheliegt (ungeachtet der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Einwände), wie etwa bei Mord, sollten daher entsprechende klarstellende Zusätze eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im einzelnen vorsehen, entweder bei den jeweils genannten Delikten oder im zweiten Halbsatz von § 100 c Abs. 1 Ziff. 3 StPO.

2. Verdachtsgrad und Subsidiaritätsklausel

Angesichts der Schwere des Eingriffs in die Rechte von Beschuldigten und ihres gesamten Umfeldes kann ein einfacher Tatverdacht nicht ausreichen, um einen Lauschangriff anzuordnen. Es muß schon eine hohe Wahrscheinlichkeit im Sinne eines dringenden Tatverdachtes vorhanden sein, zumal dann, wenn nach § 100 c Abs. 2 StPO in Wohnungen "anderer Personen" gelauscht werden soll. Zwar sind die Maßnahmen der Freiheitsentziehung durch Inhaftierung (§ 112 StPO) und der geheime Lauschangriff schwer miteinander vergleichbar; für eine nicht geringere Schwere des Eingriffs eines Lauschangriffs gegenüber der Untersuchungshaft spricht jedoch, daß er dem Betroffenen gerade nicht bewußt wird und seine privatesten Lebensäußerungen des Wohnens und Kommunizierens über eine beträchtliche Dauer hinweg betreffen kann, ohne daß sich der Belauschte hierauf einstellen kann. 

Auch bei der Subsidiaritätsklausel in Art. 13 Abs. 3 GG, § 100 c Abs. 2 StPO i.d.F. des Entwurfs, müssen die anwendbaren höchsten verfassungsrechtlichen Maßstäbe durchschlagen: Soll der Lauschangriff wirklich ultima ratio im Instrumentarium der Ermittlungsbehörden sein, dann darf nicht schon eine unverhältnismäßige Erschwerung der Ermittlungen zu seiner Begründung ausreichen. Es liegt nahe, daß dieses Kriterium in der Praxis der Ermittlungsbehörden relativ leicht bejaht werden und der richterliche Spruchkörper sich bei der Entscheidung über eine Anordnung schwertun wird, die ihm dargelegten Sachzwänge zu widerlegen. Die Subsidiariätsklausel sollte sich also auf die drohende Aussichtslosigkeit der Ermittlungen als Negativkriterium beschränken. Art. 13 Abs. 3 GG in der Entwurfsfassung bietet überdies keinen ausdrücklichen Rückhalt für den Einsatz des Lauschangriffs "zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters", wie ihn § 100 c Abs. 1 Nr. 3 sowie Abs. 2 StPO vorsehen sollen. Daß die Ermittlung des Aufenthaltesortes neben der Erforschung des Sachverhaltes genannt wird, führt zu Verwirrungen, da solche Ermittlungen doch regelmäßig zum Sachverhalt dazugehören werden und die in der Entwurfsbegründung (S. 33) genannte Zielrichtung ausschließlich im Hinblick auf den Aufenthalt von Mittätern im Gesetzestext nicht zum Ausdruck kommt. Der Zweck der Ermittlung des Aufenthaltsortes sollte daher in § 100 c Abs. 1 und Abs. 2 StPO der Entwurfsfassung gestrichen werden.

Aufgrund des weitreichenden Eingriffs einer Überwachung von Gesprächen in Wohnungen in die Persönlichkeitsrechte aller Betroffenen sollte diese nur möglich sein, wenn nicht nur andere Ermittlungsansätze versagen, sondern von dem 
Lauschangriff auch aufgrund konkreter Tatsachen Fortschritte für die Ermittlung des Sachverhaltes zu erwarten sind. Zusätzlich zu dem Negativkriterium der Subsidiaritätsklausel sollte deshalb ausdrücklich bereits in Art. 13 GG gefordert werden, daß eine derartige tatsachengestützte Relevanzprognosestattfindet. Dies würde auch als zusätzliche verfahrensrechtliche Sicherung der betroffenen Persönlichkeitsrechte die Darlegungslast der einen Lauschangriff beantragenden Ermittlungsbehörden gegenüber der entscheidenden Strafkammer verändern. 

3. Betroffene Personen und räumlicher Umfang

Von der akustischen Wohnraumüberwachung würden eine Vielzahl von unbeteiligten Personenbetroffen sein: Ungeachtet der vorgesehenen Formulierung in § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO: "Das nichtöffentlich gesprochene Wort des Beschuldigten" wird auch das Wort aller Gesprächspartner und werden auch Gespräche zwischen gänzlich unbeteiligten Dritten überwacht und aufgezeichnet werden. Gegenüber der Telefonüberwachung, wo es "lediglich" um die Benutzer der überwachten Telefonanschlüsse geht, ist der Kreis der betroffenen Personen noch deutlich erweitert.

Hierunter fallen auch sämtliche Personen, zu denen der Beschuldigte - oder eine andere Person, deren Wort aufgezeichnet wird - aus persönlichen oder beruflichen Gründen ein Vertrauensverhältnisaufgebaut hat. Es ist besonders schwerwiegend, daß der vorliegende Gesetzentwurf für die Überwachung dieser Gespräche keinerlei besondere Regelung trifft, um sie von der Überwachung oder von einer nachfolgenden Verwertung der Gespräche auszunehmen (s.u. Ziff. 4.). Von vielen Betroffenen, deren Gespräche aufgezeichnet werden, wird den Ermittlungsbehörden keine Zustelladresse bekannt sein, um sie als "Beteiligte" i.S.d. § 101 Abs. 1 StPO von den getroffenen Maßnahmen zu benachrichtigen (s.u. Ziff. 6.). Vermutlich werden auch eine Vielzahl von Personen als "unvermeidbar betroffene Dritte" i.S.d. § 100 c Abs. 3 StPO angesehen und der Rechtsschutz demzufolge für sie verkürzt werden. Gerade in Wohnungen anderer Personen nach § 100 c Abs. 2 StPO der Entwurfsfassung, in denen sich der Beschuldigte, wenn überhaupt, zumeist nur punktuell aufhalten wird, wird die Anzahl der Gespräche unter gänzlich Unbeteiligten deutlich überwiegen. Dieses Problem ist auch im Hinblick auf die Verfahrensrechte von grundrechtsbetroffenen Personen aus den geschilderten Gründen kaum befriedigend zu lösen und bleibt damit ein Argument mehr, um den Lauschangriff ganz grundsätzlich in Frage zu stellen.

Am prägnantesten hat in der Rechtsprechung bislang der Sächsische Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil zum sächsischen Polizeigesetz zum Ausdruck gebracht, daß jegliche staatliche Maßnahmen vor einem absolut geschützten Intimbereich der Privatsphäre auch räumlich Halt zu machen haben (vgl. o. I.). Diesem Schutz trägt der vorliegende Gesetzentwurf an keiner Stelle Rechnung. Räumlich gesehen bedeutet der Schutz der absolut geschützten Privatsphäre zum einen, daß technische Vorrichtungen nicht in solchen Räumen angebracht werden dürfen, in denen die Intimsphäre verwirklicht wird und generell auch keine für die Strafverfolgung relevanten Gespräche zu erwarten sind; funktionell gesehen bedeutet dieser Schutz darüber hinaus, daß aufgezeichnete Gespräche mit intimem Inhalt unmittelbar zu löschen sind.

4. Auswirkungen auf die Verfahrensrechte der Betroffenen

Einer der großen Schwachpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs zum Lauschangriff liegt in seiner mangelnden Berücksichtigung der Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte. Weder im Gesetzestext noch in der Begründung wird dafür Sorge getragen, daß Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte der verschiedenen Betroffenen nicht durch eine Verwertung der durch den Lauschangriff gewonnenen Beweise im Strafverfahren umgangen werden. Der in der politischen Debatte von den Verfechtern des Gesetzentwurfs angebrachte Hinweis, diese Verfahrensrechte hätten auch weiterhin Bestand, selbst wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Gesetzestext ergebe, ist schlichtweg irreführend und unrichtig. Völlig zu Recht haben deshalb bereits die Kirchen wie auch Berufsverbände z.B. der Ärzte und Rechtsanwälte vehement reagiert und drängen auf eine wasserdichte Absicherung von Amts- und Berufsgeheimnissen gegenüber dem Lauschangriff.

Die Rechtslage stellt sich nach der bisherigen Rechtsprechung und in Ermangelung besonderer Regelungen für den Großen Lauschangriff nämlich wie folgt dar:

Die Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 136, 55, 52, 53 StPO sowie das auf Zeugenaussagen anwendbare Verwertungsverbot des § 252 StPO bestehen nach der Rechtsprechung des BGH lediglich für die spezifische Konfliktsituation einer Vernehmung. Es gibt bisher nach der insoweit unmißverständlichen Rechtsprechung des BGH keinen umfassenden Schutz von Informationen aus persönlichen oder beruflichen Vertrauensverhältnissen gegenüber Ermittlungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, sondern es wird lediglich der Zwangssituation des Zeugen abgeholfen, wenn er sich bei einer Vernehmung bewußt ist, möglicherweise zur Überführung des mit ihm vertrauten Beschuldigten beizutragen (vgl. BGH, Urteil vom 21.07.1994 - "Sedlmayr-Urteil" - JZ 1995, S. 841 ff.; Kleinknecht/Meyer/Goßner, Kommentar zur StPO, § 252 Rn. 7 ff). Eine entsprechende Anwendung dieses Schutzes auf Situationen, in denen die berechtigten Personen außerhalb einer Vernehmung Informationen preisgeben, welche durch rechtmäßige,geheime Ermittlungsmaßnahmen auf Grundlage der StPO in den Strafprozeß einfließen, lehnt der BGH ausdrücklich ab. Für Informationen aus Telefonüberwachungen nach § 100 a StPO wird ein Verwertungsverbot ebenfalls verneint, wenn dem Gesprächsteilnehmer bei einer offenen Vernehmung ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde (vgl. Kleinknecht/Meyer/Goßner, § 100 a Rn. 21; BGH NStZ 1988, S. 562). Eine Ausnahme ergibt sich einzig für Gespräche des Beschuldigten mit dem Verteidiger, weil hier in Form des § 148 StPO eine besondere Schutznorm für den ungehinderten Verkehr existiert. Aus ihr leitet die Rechtsprechung ab, daß Informationen aus der Überwachung des Fernsprechverkehrs mit dem Verteidiger grundsätzlich unverwertbar sind, es sei denn, es handele sich um Gespräche des Verteidigers mit einer dritten Person, die für das Verfahren gegen den Beschuldigten relevant sind (vgl. BGH NStZ 88, S. 563). Mittelbar kann der Beschuldigte also dennoch durch eine Verwertung des überwachten gesprochenen Wortes seines Verteidigers im Strafverfahren belastet werden.

Es zeigt sich also, daß die in der öffentlichen Diskussion geäußerten Befürchtungen, der Große Lauschangriff könne eine Überwachung von Beichtstühlen, Arztpraxen und Anwaltskanzleien ermöglichen, nach der bisherigen Rechtslage berechtigt sind. Die Zeugnisverweigerungsrechte aus diesen Vertrauensverhältnissen wie auch das Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten selbst würden durch den Lauschangriff als weitere geheime Ermittlungsmethode - noch dazu bezogen auf einen Raum, in dem die Betroffenen besonders arglos sind - erheblich entwertet. Eine gesetzliche Regelung muß daher zumindest sämtliche Räumlichkeiten, in denen die in § 53 StPO genannten Personen ihren Beruf ausüben, von vorneherein von der Überwachung und die in anderen Räumen aufgezeichneten Gespräche zwischen ihnen und dem Beschuldigten von einer Verwertung ausschließen. Letzteres muß für alle Gespräche gelten, soweit sich ein Teilnehmer im Strafverfahren auf sein Zeugnisverweigerungsrecht (auch aus § 52 StPO) beruft. 

Der Regierungsentwurf verstößt zudem gegen den verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes, da er die durch den Lauschangriff aufgeworfene grundrechtsrelevante Konfliktlage zwischen den Rechten des Beschuldigten sowie den Trägern von Amts- und Berufsgeheimnissen einerseits und der Strafverfolgung andererseits nicht selbst löst (vgl. hierzu deutlich das Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes, DuD 1996, S. 439). 

5. Anordnungsverfahren

Nach § 100 d Abs. 3 StPO des Entwurfs ist - bei Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen - eine unbegrenzte Verlängerung der Überwachungsmaßnahme möglich, sofern nur mindestens alle vier Wochen eine erneute Entscheidung des Richtergremiums eingeholt wird. Die bisherige Praxis richterlicher Anordnungen von Telefonüberwachungen zeigt, daß die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht einen erheblichen Vorsprung an Informationen und Sachkunde besitzt, der sich dahingehend auswirkt, daß eine Anordnung in den seltensten Fällen abgelehnt wird. Mit zunehmender Dauer steigt jedoch die Eingriffstiefe eines Lauschangriffs oder einer sonstigen geheimen Überwachungsmaßnahme in die Rechte sämtlicher Betroffenen, da sich immer mehr ein ganzheitliches Bild über ihre Lebensgewohnheiten und -äußerungen ergibt. Die Staatsanwaltschaft sollte daher bei einer Verlängerung der Überwachungsmaßnahme sich steigernden Begründungspflichten gegenüber dem Gericht unterliegen, d.h. Rechenschaft über den Umfang der bisherigen Maßnahme, über die dadurch erreichten Ermittlungsfortschritte bzw. den Grund des Ausbleibens solcher Fortschritte sowie über die erhofften weiteren Erkenntnisse ablegen müssen. Auch die für das Gericht maßgeblichen Entscheidungsvoraussetzungen im Gesetz sollten wiederspiegeln, daß an die Verlängerung gesteigerte materielle Anforderungen zu stellen sind (die Verlängerung muß dringend erforderlich und im Sinne einer erneuten Relevanzprognose erfolgversprechend sein).

6. Benachrichtigung und Kontrolle durch die Betroffenen

Um eine Rechtskontrolle im Nachhinein zu ermöglichen, erstreckt der Gesetzentwurf die bestehende Benachrichtigungspflicht des § 101 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch auf die Betroffenen eines Lauschangriffs. Durch die bisherige Fassung des § 101 StPO wird aber nicht sichergestellt, daß die Vielzahl von betroffenen dritten Personen, die nicht selbst Beschuldigte des betreffenden Strafverfahrens sind, auch sämtlich benachrichtigt werden und somit ihre Verfahrensrechte geltend machen können (vgl. bereits oben Ziff. 3.): Nach § 101 Abs. 1 StPO sind die "Beteiligten" zu benachrichtigen, worunter nach bisheriger Auffassung z.B. bei der Telefonüberwachung die Gesprächspartner eines Telefonats fallen sollen, nicht jedoch die nach § 100 c Abs. 3 StPO durch eine Überwachungsmaßnahme mit technischen Mitteln unvermeidbar Betroffenen (vgl. Kleinknecht/Meyer/Goßner, § 101 Rn. 2). Die "Beteiligten" eines nicht leitungsgebunden geführten Gespräches in Räumlichkeiten sind weit schwieriger einzugrenzen als diejenigen eines Telefongespräches; sie können andererseits bei grundrechtsfreundlicher Auslegung der geplanten Ermächtigungsgrundlage nicht als "unvermeidbar Betroffene" eingeordnet und damit rechtlos gestellt werden. Es sollte deshalb der Begriff der "Beteiligten" durch "Betroffene" ersetzt und die Benachrichtigung aller Personen verlangt werden, deren gesprochenes Wort überwacht wurde. Dennoch wird wegen der praktischen Probleme, für alle Betroffenen entsprechende Zustelladressen ausfindig zu machen, ein erheblicher Personenkreis seine Verfahrensrechte nicht wahrnehmen können.

Eine besondere Rechtskontrolle will der Entwurf in § 100 d Abs. 5 StPO jedoch lediglich dem Beschuldigten sowie dem Inhaber einer anderen Wohnung, sofern dort Überwachungsmaßnahmen stattgefunden haben, eröffnen, nicht jedoch sämtlichen anderen benachrichtigten Betroffenen. Diese Rechtsschutzmöglichkeit muß jedoch auf alle Betroffenen ausgeweitet werden, da anderenfalls auch die Benachrichtigungspflicht ins Leere liefe. 

7. Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Die Probleme der Verwertung von Informationen aus abgehörten Gesprächen in Wohnungen im Hinblick auf die bestehenden Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte wurden bereits oben (vgl. 5.) angesprochen. Der Gesetzentwurf weist darüber hinaus noch weitere Mängel auf:

Zum einen wird nicht klargestellt, daß eine Verwertung von Erkenntnissen aus dem Lauschangriff nur dann in Frage kommen kann, wenn tatsächlich eine Bestätigung einer einzelrichterlichen Anordnung nach § 100 d Abs. 2 StPO durch die Strafkammer erfolgt. Es kann nicht angehen, daß Gespräche über eine Dauer von drei Tagen überwacht und aufgezeichnet sowie im Strafverfahren verwertet werden können, wenn die Kammer eine Bestätigung ablehnt.

Auf dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung zu §§ 100 a, 100 b Abs. 5 StPO (vgl. Kleinknecht/Meyer/Goßner, § 100 a Rn. 18-20) ergibt sich aus dem im Entwurf vorgeschlagenen § 100 d Abs. 4 StPO, daß sogenannte Zufallsfunde in anderen Strafverfahren auch bei Nichtkatalogtaten als Ermittlungsansatz verwendet werden dürfen; es wird lediglich ihre Anführung zu Beweiszwecken untersagt. Auch dies wird der Wertigkeit der durch den Lauschangriff betroffenen intimsten Privatsphäre nicht gerecht. Die Verwertung von erlangten Informationen ist generell auf die Verfolgung von Katalogtaten zu beschränken. Eine ähnliche Problematik ergibt sich bei der vorgesehenen Verwertungsregelung für Informationen, die bei einer polizeirechtlichen Maßnahme des Lauschangriffs erlangt wurden (vgl. § 100 f Abs. 2 StPO des Entwurfs). Diese Bestimmung ist allerdings bereits aufgrund der Landeskompetenz im Bereich des Polizeirechts verfassungsrechtlich nicht haltbar, da allein das Polizeirecht darüber bestimmen darf, zu welchen Zwecken und mit welchen Maßgaben die auf dieser Grundlage erhobenen Informationen verwendet werden dürfen.

8. Berichtspflichten

Erfahrungen mit Berichtspflichten hinsichtlich geheimer Ermittlungsmethoden der Strafverfolgungsbehörden in den USA (den sog. "wire tap reports") haben gezeigt, daß eine wesentliche Kontrollfunktion gerade durch die Öffentlichkeit ausgeübt wird. Da eine der grundrechtsrelevanten Auswirkungen des Großen Lauschangriffs bereits in der Verunsicherung des Bürgers darüber liegt, inwieweit seine engste Persönlichkeitssphäre in den eigenen vier Wänden überhaupt noch gewährleistet wird, sollte bereits grundgesetzlich festgeschrieben werden, daß die entsprechende Behandlung der Berichte im Bundestag bzw. in den Landesparlamenten öffentlich ist. 

Um einen möglichst objektiv ausgerichteten Erkenntniswert der Berichte über Ermittlungsmaßnahmen gem. § 100 e StPO zu erreichen, müssen die in Abs. 1 enthaltenen Angaben - insbesondere "Umfang, Dauer, Ergebnis" der Maßnahme - möglichst umfassend verstanden werden, um auch Auskunft über die Anzahl der abgehörten Gespräche, der dabei betroffenen Gesprächspartner, sowie objektiv über deren Relevanz für das Ermittlungsergebnis zu geben. Nur durch eine lückenlose und an objektiven Kriterien meßbare Berichterstattung können Parlamente und Öffentlichkeit die erforderliche Kontrolle über Lauschangriffe im nachhinein ausüben.