Dienstag, 23. März 2004

5: Stellungnahmen

ULD zu den Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff

(Urteil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99)

1. Hintergrund

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Praxis des Großen Lauschangriffs in weiten Teilen verfassungswidrig ist. Das Gericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis spätestens zum 30. Juni 2005 einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. Justiz und Strafverfolgungsbehörden sind bis dahin verpflichtet, bei Eingriffen in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung so zu agieren, dass der unantastbare Kernbereich der Menschenwürde gewahrt bleibt. Hierfür hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht klare Vorgaben gemacht. Damit wurden die datenschutzrechtlichen Bedenken u. a. der Landesdatenschutzbeauftragten aus Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in weitgehendem Maße bestätigt.

Zur Vorgeschichte:

Durch eine Grundgesetzesänderung wurden im Jahre 1998 in Art. 13 GG - dem Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung - die Absätze 3 bis 6 eingefügt. Nach Art. 13 Abs. 3 GG ist nunmehr die akustische Wohnraumüberwachung zum Zwecke der Strafverfolgung möglich. Voraussetzung ist, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, sich der Beschuldigte vermutlich in der Wohnung aufhält und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Art. 13 Abs. 3 GG wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 04.05.1998 (BGBl. I S. 845) einfachgesetzlich ausgestaltet. Im Zentrum steht § 100 c Abs. 1 Nr. 3 Strafprozessordnung (StPO). Danach darf das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort eines Beschuldigten abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass er eine der näher bezeichneten Katalogtaten begangen hat. Weitere Vorschriften regeln unter anderem Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote und Pflichten zur Benachrichtigung der Betroffenen. Auch wird die Möglichkeit eröffnet, die Daten in weiteren Zusammenhängen zu verwenden.

Auch wenn der Große Lauschangriff nicht für völlig verfassungswidrig erklärt worden ist, hat das Gericht klargestellt, dass zukünftig nur solche Überwachungsmaßnahmen zulässig sind, die dieMenschenwürde wahren . Damit soll der Kernbereich privater Lebensgestaltung vor akustischen Überwachungsmaßnahmen geschützt werden. Eine auf die Überwachung von Wohnraum gerichtete gesetzliche Ermächtigung muss unter Beachtung des Grundsatzes der Normenklarheit nähere Sicherungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde enthalten.

Im Folgenden (Punkte 2 - 6) werden zentrale Aussagen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zum Großen Lauschangriff dargestellt. Punkt 7 befasst sich mit den Konsequenzen für andere heimliche Ermittlungsmethoden.

 

2. Der Schutz der Menschenwürde

Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass Art. 13 Abs. 3 GG - die verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung - nicht gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstößt. Art. 79 Abs. 3 GG verbietet nur Verfassungsänderungen, durch welche die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden. Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes ist jedoch durch die Änderung des Art. 13 Abs. 3 GG nicht berührt. Im Wege einer systematischen Verfassungsauslegung haben die Richter Art. 13 Abs. 3 GG weitere ungeschriebene Grenzen hinzugefügt mit der Folge, dass über den Wortlaut hinaus die Ermächtigung zur akustischen Wohnraumüberwachung eingeschränkt wird.

Das Gericht hat die unbedingte Achtung der Privatsphäre des Einzelnen herausgehoben. Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört danach auch die vertrauliche Kommunikation und zwar ohne Angst vor staatlicher Überwachung . Bürgerinnen und Bürger sollen sich nach den von ihnen selbst gesetzten Maßstäben in ihrer Privatwohnung frei entfalten können. Die Privatwohnung ist ein " letztes Refugium " zur Wahrung der Menschenwürde. In diesen Kernbereich privater Lebensgestaltung darf die akustische Wohnraumüberwachung nicht eingreifen, und zwar auch dann nicht, wenn es um die Effektivität der Strafrechtspflege oder um andere wichtige Interessen der Allgemeinheit geht.

Abhörmaßnahmen sind dann zu unterlassen , wenn sich jemand allein oder mit Personen seines Vertrauens - etwa mit Familienangehörigen oder sonstigen engsten Vertrauten - in der Wohnung aufhält und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die zu erwartenden Gespräche einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen. Ehe und Familie haben für die Kommunikation im höchstpersönlichen Bereich, gerade im Intimbereich , eine besondere Bedeutung. Dabei besteht eineVermutung für Gespräche aus dem unantastbaren Kernbereich für Räume, denen prinzipiell die Funktion als Rückzugsbereich der privaten Lebensgestaltung zukommt. Eine andere Bewertung kann hingegen erfolgen, wenn Gespräche in Betriebs- und Geschäftsräumen geführt werden. Hier ist typischerweise ein Sozialbezug anzunehmen.

Hieraus ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass ein Abhören von Privatwohnungen nur dann zulässig ist, wenn eine Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass strafverfahrensrelevante Gespräche erfasst werden. Lauschangriffe, die erst darauf abzielen, Erkenntnisse über eine Straftatenbeteiligung zu gewinnen, sind im Bereich der höchstpersönlichen Lebensentfaltung zu unterlassen.

Durch geeignete Vorkehrungen muss sichergestellt werden, dass in diesen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht eingegriffen wird. Sollte es dennoch zum Abhören in diesem Bereich kommen, muss die Überwachung abgebrochen werden. Bereits erfolgte Aufzeichnungen sind zuvernichten . Die Weitergabe und jede andere Verwendung der gewonnenen Informationen sind untersagt. Die Verfassung verlangt, dass der Gesetzgeber hierfür geeignete Regelungen trifft.

Das Gericht betont, dass der Große Lauschangriff nicht nur die Rechte der unmittelbar Betroffenen berührt, sondern sich auf die Kommunikation der Gesellschaft insgesamt auswirken und zu einerBefangenheit in der Kommunikation führen kann. Die Regelungen zum Großen Lauschangriff betreffen deshalb auch das Vertrauen der Allgemeinheit in eine grundrechtsschonende Überwachungspraxis.

 

3. Generelle Anforderungen an gesetzliche Vorschriften zum Großen Lauschangriff

Art. 13 Abs. 3 GG ermächtigt ausschließlich zum Erlass solcher gesetzlicher Regelungen, die gewährleisten, dass die akustische Wohnraumüberwachung nicht in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreift. Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich klargestellt, dass eine Praxis, auf gut Glück abzuhören, verfassungswidrig wäre. Das heißt, eine Abhörmaßnahme darfnicht erst zur Gewinnung von Anhaltspunkten für die Begehung konkreter Straftaten führen. Bereits zu Beginn der Abhörmaßnahme, genauer gesagt im Zeitpunkt der richterlichen Anordnung, müssen derartige Anhaltspunkte bestehen. Damit sind die Strafverfolgungsbehörden gehalten, beweiskräftiges Material auf anderem Wege, d. h. durch andere geeignete Ermittlungsmaßnahmen, zu erlangen. Nur ein solches Vorgehen ist geeignet, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen; Abhörmaßnahmen müssen ultima ratio bleiben.

Angesichts der Tatsache, dass bisher in 58% aller Fälle, die aus Lauschangriffen gewonnenen Erkenntnisse nicht von Bedeutung für das Ermittlungsverfahren waren, sind generelle Zweifel an der Erforderlichkeit des Großen Lauschangriffs zwar durchaus angezeigt. Diesen Schluss wollte das Gericht aber nicht ziehen, sondern hat den einfachgesetzlichen Regelungen enge - durch die Verfassung vorgegebene - Grenzen gesetzt. Die Regelungen des § 100 c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 3 StPO sowie weitere damit in Verbindung stehende Regelungen sind in weiten Teilen verfassungswidrig . Folgende Punkte wird der Gesetzgeber bei der Neuregelung zu beachten haben:

  1. Die Regelung des § 100 d Abs. 3 StPO ist so auszugestalten, dass Überwachungsmaßnahmenausgeschlossen sind, wenn sich der Beschuldigte mit engsten Familienangehörigen oderengsten Personen seines Vertrauens in der Wohnung aufhält und keine Anzeichen für deren Tatbeteiligung bestehen. Tritt eine solche Situation unerwartet ein, sind die Abhörmaßnahmensofort abzubrechen . Rechtswidrig erhobene Daten, d. h. solche, die aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung stammen, dürfen weder im Hauptsacheverfahren verwertet noch Grundlage für weitere, sich anschließende Ermittlungsmaßnahmen sein. Aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung stammende Informationen müssen unverzüglich gelöscht werden. Dies gilt sowohl für Originalbänder als auch für ggf. erstellte Kopien und Abschriften.
  2. Der Straftatenkatalog des § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur zum Teil gerecht. Art. 13 Abs. 3 GG verlangt, dass es sich um Ermittlungsverfahren im Bereich besonders schwerer , im Gesetz einzeln aufgeführter Straftaten handelt. Die von Art. 13 Abs. 3 GG vorausgesetzten "besonders schweren Straftaten" müssen den mittleren Kriminalitätsbereich deutlich übersteigen. Damit hat das Gericht die Kritik aufgegriffen, die u. a. die Landesdatenschutzbeauftragten an dem Begriff der Organisierten Kriminalität und der damit einhergehenden Ausweitung des Straftatenkataloges des § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO geübt hatten. Das Gericht hat festgestellt, dass die besondere Schwere der Straftat nur gegeben ist, wenn der Gesetzgeber eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe oder mehr vorgesehen hat. Ob dieser Strafrahmen tatsächlich geeignet ist, die Katalogtaten auf ein verhältnismäßiges Maß zurückzuführen, wird sich zeigen.

 

4. Richtervorbehalt

Das Bundesverfassungsgericht hat in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung diegrundrechtssichernde Funktion des Richtervorbehalts betont und den Gerichten umfassende Begründungspflichten bei der Anordnung einer akustischen Wohnraumüberwachung auferlegt. Das für die jeweilige Anordnung von Maßnahmen zur akustischen Wohnraumüberwachung zuständige Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen des Betroffenen gewahrt werden, da dieser aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahme präventiv keine Abwehrmöglichkeiten hat. Aus der Begründung muss sich daher die konkrete Verdachtslage ergeben und es muss erkennbar sein, dass eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung aller bedeutsamen Umstände stattgefunden hat.

Die Maßnahme muss auch inhaltlich den grundrechtlichen Anforderungen aus Art. 13 GG genügen. Das Gericht muss daher Festlegungen zu Art Dauer und Umfang der Anordnung treffen. Ferner wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Gerichte ihre Tätigkeit nicht auf den Erlass der Anordnung als solche beschränken dürfen, sondern sich im Laufe der Durchführung der Maßnahme zu unterrichtenund ggf. korrigierend einzugreifen haben. Nur so kann gewährleistet werden, dass der rechtlich unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung auch tatsächlich unangetastet bleibt.

Die grundrechtssichernde Funktion der Richter zeigt sich auch daran, dass das anordnende Gericht den Abbruch der Maßnahme anzuordnen hat, wenn deren gesetzlichen bzw. in der Anordnung festgelegten Voraussetzungen entfallen sind. Im Zusammenhang mit der Grundanordnung bzw. der Verlängerung der Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall besonders betont.

Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass auch über die Verwendung der durch einen Großen Lauschangriff gewonnenen Informationen eine unabhängige Stelle , etwa das anordnende Gericht, zu entscheiden hat.

 

5. Benachrichtigungspflicht

Die Regelungen über die Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten (§ 101 StPO) sind nur teilweise verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht hat anknüpfend daran, dass die Benachrichtigungspflicht der Gewährleistung effektiven Schutzes des hier betroffenen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dient, ausgeführt, dass der Begriff der Beteiligten im Sinne des § 101 Abs. 1 StPO weit auszulegen ist. Daher sind neben dem Beschuldigten die Inhaber und Bewohner einer Wohnung zu benachrichtigen, in denen Abhörmaßnahmen durchgeführt worden sind. Eine Benachrichtigungspflicht besteht darüber hinaus auch gegenüber solchen Personen, die sich als Gastoder sonst zufällig in einer überwachten Wohnung aufgehalten haben. Eine Grenze ist dort zu ziehen, wo Nachforschungen zu personenbezogenen Daten zu einer Vertiefung des Eingriffs in ihr Persönlichkeitsrecht führen würden. Auch in diesem Punkt hat das Gericht die Auffassung der Landesdatenschutzbeauftragten aufgegriffen.

Das Gericht hat festgestellt, dass die in § 101 Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Gründe für eine ausnahmsweise Zurückstellung der Benachrichtigung nur zum Teil verfassungsgemäß sind. Die Benachrichtigung kann zurückgestellt werden, wenn anderenfalls der Untersuchungszweck oder Leib und Leben einer Person gefährdet wären. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der Möglichkeit des weiteren Einsatzes eines nicht offen ermittelnden Beamten reicht hingegen für eine Zurückstellung nicht aus.

Ferner hat das Gericht klargestellt, dass die grundrechtssichernde Funktion des Richtervorbehalts erst dann endet, wenn der Betroffene unterrichtet ist und sich selbst bei Gericht gegen die Maßnahme wehren kann.

 

6. Weitere wichtige Punkte aus dem Urteil

  • Der Schutz der Wohnung und der engsten Privatsphäre ist nicht nur gegen Abhörmikrofone innerhalb der Wohnung, sondern auch gegen Abhörmikrofone von außen gewährleistet.
  • Informationen, die unzulässiger Weise aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben wurden, dürfen nicht nur nicht als Beweismittel , sondern auch nicht zu anderen Zwecken, etwa als Spurenansätze für Ermittlungen , verwendet werden. 
  • Die Regelungen über die Verwendung personenbezogener Informationen in anderen Verfahren (§ 100 d Abs. 5 Satz 2 und § 100 f Abs. 1 StPO) genügen nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, soweit keine Pflicht zur Kennzeichnung der weitergegebenen Informationen besteht. 
  • Eine Verwendung von Informationen auch in anderen Strafverfahren kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um die Aufklärung besonders schwerer Katalogtaten handelt und es im Einzelfall um die Abwehr von Gefahren für hochrangige Rechtsgüter geht. Ferner muss der veränderte Verwendungszweck mit dem Verwendungszweck, zu dem die Erhebung erfolgt ist, vereinbar sein. 
  • Die in § 101 Abs. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz StPO vorgesehene Zuständigkeitsregelung , wonach nach Erhebung der öffentlichen Klage das Prozessgericht über die Zurückstellung der Benachrichtigung entscheidet, ist nicht vereinbar mit dem in Art. 103 Abs. 1 GG verankertenAnspruch auf rechtliches Gehör . Damit erlangt das Prozessgericht nämlich Kenntnis über Tatsachen, die dem Angeklagten verborgen bleiben. 
  • Eine von den Hauptakten des Verfahrens getrennte Verwahrung der Unterlagen über die akustische Wohnraumüberwachung bei der Staatsanwaltschaft hat nur dann Bestand, wenn es dafür Gründe von hinreichendem Gewicht gibt. Durchgreifende Bedenken hat das Gericht jedenfalls dann nicht erhoben, wenn der Tatbestand der Gefährdung von Leib und Leben einer Person in Betracht kommt. 
  • Die Vorschriften über die Datenvernichtung (§ 100 d Abs. 4 Satz 3, § 100 d Abs. 6 StPO) verstoßen gegen Artikel Art. 19 Abs. 4 GG. Der Gesetzgeber ist gehalten, die unterschiedlichen Interessen an der Löschung der Daten einerseits und der Gewährung effektiven Rechtsschutzes andererseits miteinander in Einklang zu bringen. Werden Daten noch benötigt - etwa dafür, dass der Betroffene sein Rechtsschutzinteresse verfolgen will - dürfen die Daten einstweilen nicht gelöscht, sondern sie müssen stattdessen gesperrt werden und dürfen zu keinem anderen Zweck als dem zur Information des Betroffenen und zur gerichtlichen Kontrolle verwendet werden. 
  • Das Gericht hat die Notwendigkeit einer fortlaufenden Beobachtung und Prüfung durch den Gesetzgeber betont, ob die Ermittlungsmaßnahmen in der Praxis grundsätzlich geeignet sind.

 

7. Konsequenzen für andere heimliche Ermittlungsmethoden

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist zu begrüßen. Sie korrigiert die Tendenz der vergangenen Jahre, die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger immer mehr und stets einseitig zu Gunsten von Sicherheits- und Strafverfolgungsinteressen einzuschränken. In den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung darf jetzt nicht mehr eingegriffen werden. Jede Verwertung unter Verletzung dieser absolut geschützten Privatsphäre erlangter Informationen muss ausgeschlossen sein. Ob sich die an den Gesetzgeber, die Justiz und die Strafverfolgungsbehörden gerichteten Vorgaben in der Praxis werden umsetzen lassen, muss die Zukunft zeigen. Sollte dies nicht der Fall sein, so muss auf den Großen Lauschangriff als Instrument der Strafverfolgung gänzlich verzichtet werden.

Der Gesetzgeber ist aufgefordert, auch andere Eingriffsmaßnahmen, wie etwa die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten oder die Telefonüberwachung, anhand des Maßstabes dieser Entscheidung zu überprüfen. Dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, hatten bereits die Ergebnisse des Gutachtens des Max-Planck-Instituts "Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100 a, 100 b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen" gezeigt. Auch alle anderen - insbesondere heimlichen - Ermittlungsmethoden im Rahmen der Strafverfolgung müssen den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung respektieren. Zum Beispiel kann es auch beim Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen oder bei der Datenerhebung durch verdeckte Ermittler zu Verletzungen des Kernbereichs privater Lebensgestaltung kommen. Der Gesetzgeber wird zu prüfen haben, welche Vorkehrungen hierzu auf Gesetzesebene zu treffen sind. Während sich die Praxis auch insoweit bereits jetzt an die Grundsätze des Urteils halten muss.

Darüber hinaus wird sich der schleswig-holsteinische Landesgesetzgeber mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob die Landesregelungen zum Lauschangriff in Wohnungen den Schutz des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung hinreichend gewährleisten. Insbesondere ist zu prüfen, ob auch die Benachrichtigungspflichten der von Abhörmaßnahmen Betroffenen, die Vernichtungsregelungen und die Kennzeichnungspflichten der aus verdeckter Wohnraumüberwachung gewonnenen Daten bei deren anderweitiger Verwertung an die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen sind.