4.4          Verkehr

Die Zeiten, in denen das Verkehrsgeschehen im Hinblick auf den Datenschutz überschaubar und begrenzt war, sind vorbei. Der Flugverkehr ist schon seit Längerem ein überwachungsintensiver Sektor. Es folgen nun die öffentlichen Verkehrsmittel und der Individualverkehr.

4.4.1       Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln

In Bahnhöfen kooperiert die Deutsche Bahn schon seit Jahren mit der Bundespolizei bei der Videoüberwachung. Zum Jahresende 2014 kündigte die Bahn an, die Bahnhöfe bundesweit durch Installation von 700 weiteren Kameras sicherer machen zu wollen. Als Begründung wurde angeführt, die Fahrgäste würden dies fordern; das subjektive Sicherheitsgefühl würde erhöht. Derartige subjektive Aspekte können in keinem Fall die mit der Videoüberwachung verbundenen Grundrechtseingriffe rechtfertigen. Jede einzelne Kamera bedarf in ihrer konkreten Ausgestaltung einer rechtlichen Legitimation. Gefühlte Sicherheit ist trügerisch; im Notfall kann die Kamera nicht zur Hilfe eilen. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen belegt, dass von Kameras nur in wenigen Fällen ein messbarer präventiver Effekt ausgeht. Zur Aufklärung von Straftaten sind aufgezeichnete Videobilder oft wenig tauglich, etwa weil die Täter auf nicht erfasste Räume ausweichen oder weil sie ihre Identifizierbarkeit bewusst erschweren.

Seit jeher können Fahrgäste die Züge der Bahn unbeobachtet nutzen. Kontrollen beschränkten sich auf das Vorzeigen der nötigen Fahrkarte. Doch hatten es der Busverkehr und der städtische Personennahverkehr schon vorgemacht: Inzwischen soll nach dem Willen der Landesregierung gemäß den Vergabevoraussetzungen für Schienenpersonennahverkehrsleistungen auch in den Zügen umfassend Videotechnik installiert werden. Dies war Anlass für das ULD, den Dialog mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen und der Landesweiten Verkehrsservicegesellschaft Schleswig-Holstein (LVS) zu suchen. Das ULD wies darauf hin, dass das hier anwendbare Bundesdatenschutzgesetz keine umfassende und flächendeckende Videoüberwachung erlaubt, weil dies unverhältnismäßig wäre. Gefahrenlagen und Straftaten, zu deren Vermeidung und Aufklärung Videoüberwachung einen Beitrag leisten könnte, sind in der Fläche in Schleswig-Holstein selten und bewegen sich im Bahnverkehr eher im niederschwelligen Bereich. Dies führte aber leider nicht zum Verzicht auf die Vergabeanforderung durch die LVS, weshalb sich der Landtag mit dem Thema befassen musste und das ULD gegenüber dem Wirtschaftsausschuss eine Stellungnahme abgab. Ergänzend wies das ULD darauf hin, dass selbst für den Fall einer zulässigen Kamerainstallation folgende Aspekte zu beachten sind:

  • Eindeutige Kennzeichnung der überwachten Räume,
  • Bereitstellung von überwachungsfreiem Fahrgastraum,
  • Ausschluss der Toiletten von der Überwachung,
  • Beschränkung der maximalen Speicherdauer auf drei Tage,
  • Beschränkung auf Videobeobachtung bzw. bei Erforderlichkeit auf ein Ringspeicherkonzept ohne Vernetzung,
  • Vorliegen eines Datenschutzkonzeptes, das die verfolgten Zwecke und die Verarbeitung, Nutzung/Auswertung und Löschung der Daten mit entsprechenden Zugriffsregelungen und Verfahrenssicherungen festlegt.

http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/2200/umdruck-18-2256.pdf

Das Wirtschaftsministerium teilte mit, dass neu bestellte Züge der Regionalbahn Schleswig-Holstein sowie der Nordbahn gemäß den Vorgaben der LVS mit Kameras ausgestattet sein werden. Dies verursacht nicht nur finanzielle, sondern auch grundrechtliche Kosten. Zugleich ist dies ein überflüssiges Arbeitsbeschaffungsprogramm für das ULD, das nun umfassend kontrollieren muss, ob die strengen gesetzlichen Anforderungen eingehalten werden.

Was ist zu tun?
Der Zugverkehr in Schleswig-Holstein sollte frei von Videoüberwachung bleiben.

 

4.4.2       Datenschutz im Auto

Ähnlich wie bei der Internetdatenverarbeitung besteht die Gefahr, dass durch datenschutzwidrige Technikgestaltung und das nur begrenzte datenschutzbewusste Konsumverhalten der Autohalter, Autofahrerinnen und -fahrer die „überwachungsfreie Fahrt für freie Bürger“ zur nostalgischen Forderung von Oldtimerfans wird. Interesse an den personenbeziehbaren Daten haben viele, allen voran Hersteller und Werkstätten, aber auch Versicherungen, die erste Angebote mit fahrverhaltensabhängigen Tarifen machen, die IT- und die Werbeindustrie. Dies war der Grund, weshalb sich der 52. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar im Januar 2014 in dem Arbeitskreis VII mit dem Thema „Wem gehören die Fahrzeugdaten?“ befasste, wozu das ULD einen Beitrag leistete und aus Datenschutzsicht zu begrüßende Empfehlungen an die Politik formulierte.

http://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de/images/empfehlungen_pdf/Gesamt_Empfehlungen_52._VGT_2014.pdf

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten richtete zu diesen Fragestellungen eine Unterarbeitsgruppe ein, die sich mit den vielfältigen mit der Digitalisierung des Autos und dessen multimedialer Vernetzung verbundenen Datenschutzfragen befasste. Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) hat inzwischen erkannt, dass der Datenschutz von Fahrern, Haltern und sonstigen Kfz-Nutzenden ein marktrelevantes Thema ist und dass diesbezüglich „Compliance“ gefordert ist. Nicht zuletzt die auf extensives Datensammeln ausgerichtete Konkurrenz aus den USA, die weniger von den dortigen Automobil- als von den IT-Unternehmen ausgeht, stärkt die Bereitschaft zur Etablierung höherer Datenschutzstandards in Europa. In den weiteren Gesprächen zwischen Datenschützern und Kfz-Herstellern muss es darum gehen, klare Standards festzulegen. Am Ende sollten verbindliche Verhaltensregeln, also gesetzlich anerkannte „Codes of Conduct“ stehen, die auch umgesetzt werden.

https://www.vda.de/de/themen/innovation-und-technik/vernetzung/datenschutz-prinzipien-fuer-vernetzte-fahrzeuge.html

Was ist zu tun?
Bei dem Dialog mit den Kfz-Herstellern sollten nationale und mittelfristig europäische hohe Datenschutzstandards vereinbart und festgeschrieben werden.

 

4.4.3       eCall

Ab April 2018 sollen alle neuen Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeuge in der EU verpflichtend mit „eCall“ ausgestattet werden, ein in der Kfz-Elektronik installiertes Verfahren, mit dem automatisch oder manuell bei einem Unfall, z. B. beim Auslösen des Airbags oder einer Panne, ein Notruf an die Nummer 112 ausgelöst wird. Dies soll über eine voreingestellte mobile Datenübertragung inklusive Standortdatum an die nächste Rettungsleitstelle erfolgen. Automatisch soll eine Tonverbindung aufgebaut werden, um eine Kommunikation zwischen Rettungsleitstelle und Insassen zu ermöglichen. Die EU-Kommission erhofft sich mit diesem System wegen der dadurch ermöglichten schnelleren adäquaten Hilfe eine Senkung der Zahl der Unfalltoten um bis zu 2.500 im Jahr. Im Juni 2013 gab die EU-Kommission bekannt, dass sie EU-weit einheitliche technische Standards festgelegt hat. Das EU-Parlament soll das Verordnungspaket im März 2015 absegnen.

Der Regelungsvorschlag zielt auf Transparenz für die Betroffenen, Datensparsamkeit und Zweckbindung der verarbeiteten Daten ab. Offen ist noch die konkrete technisch-organisatorische Umsetzung. Zugleich sieht die Verordnung vor, dass es den Fahrzeugherstellern und unabhängigen Anbietern unbenommen bleiben soll, die dann installierte Technik für zusätzliche Notfalldienste und „Dienste mit Zusatznutzen“ zu verwenden. Es geht den EU-Gremien nicht nur um ein zusätzliches Instrument der Verkehrssicherheit, sondern auch darum, in der Kfz-Informationstechnik zunächst für diesen Dienst einheitliche Standards einzuführen und zugleich eine technische Plattform für eine weiter gehende Informatisierung des Autos zu schaffen.

Die bordeigene Mobilfunkeinheit soll nur dann Verbindung zum Netz aufnehmen, wenn tatsächlich ein Notfallruf abgesetzt wird. Ein dauerndes Tracking mit der Bildung eines genauen Bewegungsbildes, wie es heute z. B. mit eingeschalteten Handys möglich ist, findet bei eCall nicht statt. Der Fahrer kann aber das System nicht abschalten. Dies wird damit gerechtfertigt, dass es beim eCall nicht nur um den Schutz des Fahrers, sondern auch von weiteren Verkehrsbeteiligten geht. Dies hat zwangsläufig in der lange dauernden Einführungsphase eine informationelle Ungleichbehandlung von Fahrten mit neuen und alten, noch nicht mit eCall ausgestatteten Autos zur Folge. Es ist fraglich, ob das angestrebte Ziel diese Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung rechtfertigen kann.

Was ist zu tun?
Bei der technischen Umsetzung von eCall ist darauf zu achten, dass Wahlfreiheit, Transparenz, Datensparsamkeit und Datensicherheit gewahrt bleiben.

 

4.4.4       Pkw-Maut

Das Bundesverkehrsministerium stellte im Oktober 2014 einen Entwurf für ein Pkw-Maut-Gesetz vor, wonach Halterinnen und Halter von Personenkraftwagen (Pkws) eine Infrastrukturabgabe (Maut) entrichten müssen, wenn sie Autobahnen und Bundesstraßen nutzen. Halter von im Inland zugelassenen Pkws sollen die Abgabe vorab beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) per Lastschrift entrichten, wozu dort in einem Infrastrukturabgaberegister Angaben zum Pkw, zur Kontobeziehung sowie zur Entrichtung der Abgabe gespeichert werden sollen. Halter ausländischer Pkws sollen Zeitvignetten erwerben können.

Die Überwachung der Einhaltung der Abgabenpflicht obliegt dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG). Hierzu sollten zunächst folgende Daten erhoben und weiterverarbeitet werden: Bild des Kfz, Name und Anschrift des Kfz-Führers, Ort und Zeit der Kfz-Nutzung, Kfz-Kennzeichen und abgaberelevante Kfz-Merkmale. Über eine mindestens 13 Monate dauernde Speicherung beim BAG sollte der Nachweis einer Nichtnutzung der Straßen zum Zweck der Rückerstattung der vorausbezahlten Abgabe ermöglicht werden. Der Entwurf enthielt zwar eine strenge Zweckbindung der Daten, hätte aber dazu geführt, dass zwecks möglicher Rückerstattung von wohl weniger als 1 % der tatsächlich erfolgten inländischen Mautzahlungen beim BAG sämtliche über Pkw-Maut-Kontrollstellen erfassten Kfz-Bewegungen mit Ort, Zeit und Foto von 100 % aller Pkws über ein Jahr lang elektronisch gespeichert worden wären. Trotz versprochener Zweckbindung forderten Polizeivertreter schon Zugriff auf die künftige Datenbank. Diese Vorratsspeicherung sämtlicher Pkw-Bewegungen in Deutschland wurde von den Datenschutzbeauftragten unisono heftig kritisiert.

https://www.datenschutz-hamburg.de/uploads/media/Entschliessung_DSK_PKW-Maut.pdf

Der im Dezember 2014 vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf (BR-Drs. 648/14) sieht keine Bewegungsdatenbank beim BAG mehr vor. Inländer sollen ihren Nachweis für den Rückzahlungsanspruch und für das Nichtnutzen von Bundesstraßen selbst erbringen und glaubhaft machen, etwa durch ein Fahrtenbuch. Die umfassende zentrale Fahrtdatenspeicherung wird ersetzt durch individuelle Nachweissammlungen. Nachweiskonflikte im Fall von Rückforderungen sind vorhersehbar. Unabhängig davon wird dennoch eine umfassende Kontrolle des gesamten Pkw-Verkehrs mit einem Abgleich des Registers der zahlenden Pkws zugelassen. Auf das beim KBA geführte Register mit Zahlungsangaben will der Entwurf also ebenso nicht verzichten wie auf die elektronische Überwachung der Mautzahlung. Der Entwurf behauptet fälschlicherweise, damit „datensparsam“ vorzugehen. Datensparsam wäre, wenn auf die Umsetzung der Pkw-Maut völlig verzichtet würde oder man sich andere EU-Staaten zum Vorbild nähme, die mit einer Plakette und nicht mit Daten Mautgebühren erheben.

Was ist zu tun?
Das datenintensive Pkw-Maut-Verfahren sollte aufgegeben werden.

 

4.4.5       Auto ohne Parkschein geparkt? Bitte recht freundlich!

Verkehrsüberwacherinnen und Verkehrsüberwacher einer Stadt in Schleswig-Holstein fertigten bei der Kontrolle von Fahrzeugen, die auf Parkplätzen mit Parkschein- oder Parkscheibenpflicht abgestellt wurden, Digitalfotos des gesamten Fahrzeuginnenraumes an, wenn sie keine Parkscheibe bzw. keinen Parkschein vorfanden. Die Stadt rechtfertigte dies damit, dass in der Straßenverkehrsordnung lediglich vorgeschrieben sei, dass der Parkschein oder die Parkscheibe im Fahrzeug von außen gut sichtbar ausgelegt sein muss. Dem Fahrzeugführer bzw. der Fahrzeugführerin stünde es daher frei, den Parkschein auch hinter die Heckscheibe zu legen. Betroffene würden bei Bußgeldverfahren argumentieren, der Parkschein sei in den Fußraum des Fahrzeugs gefallen. Um eindeutig nachweisen zu können, dass Parkschein bzw. Parkscheibe nicht ausgelegt wurden, würde auch das Wageninnere fotografiert. Diese Vorgehensweise sei in vielen Städten in Schleswig-Holstein gängige Praxis. Das ULD kennt auch Städte, die lediglich ein Foto durch die Frontscheibe fertigen, wenn festgestellt wird, dass kein Parkschein oder keine Parkscheibe sichtbar ist.

Das ULD teilte der Stadt mit, dass es aus Gründen der Datensparsamkeit das Fotografieren des kompletten Innenraumes eines Fahrzeugs zur Beweissicherung für übertrieben hält. Das wegen der grundsätzlichen Bedeutsamkeit eingeschaltete Verkehrsministerium wurde um eine rechtliche Einschätzung gebeten. Dieses meint dagegen, dass das Fotografieren des gesamten Innenraumes eines Fahrzeuges im Einzelfall zulässig sein könne. Wegen der nicht eindeutigen Formulierung in der Straßenverkehrsordnung sei die Beschränkung des Fotografierens auf die Frontscheibe nicht durchsetzbar. Die Stadt hat mittlerweile mitgeteilt, dass sie zukünftig Einzelfallprüfungen vornehmen wird.

Die unklaren gesetzlichen Vorgaben zum Auslegen von Parkschein oder Parkscheibe im Fahrzeug haben letztlich unterschiedliche Vorgehensweisen im Land und teilweise übermäßige Datenerhebungen zur Folge. Das ULD regt deshalb eine Präzisierung der Vorschrift an. Kommunen sollten auch durch Allgemeinverfügung festlegen können, wo der Nachweis im Auto abgelegt werden muss. So könnte die bestehende Beweisunsicherheit datensparsam vermieden werden.

Was ist zu tun?
Die verbindlichen Normen über die Ablage von Parknachweisen im Auto sind zu präzisieren.

 

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