4.8          Steuerverwaltung

4.8.1       Die Steuerverwaltung  ohne Auskunftsanspruch

Die Finanzverwaltung verweigert in Schleswig-Holstein weiterhin immer wieder Betroffenen Auskunft bzw. Einsicht zu Informationen in der eigenen Steuerakte.

In der Abgabenordnung (AO) ist ein Auskunftsanspruch bezüglich der eigenen Steuerakte bisher nicht gesetzlich festgeschrieben. Daraus folgert die Finanzverwaltung des Landes Schleswig-Holstein, dass dieser Anspruch aufgrund einer „absichtsvollen Nichtregelung in der Abgabenordnung“ auch nicht bestünde. Ein Anspruch auf Einsicht in die eigene Steuerakte sei insbesondere dann ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige Auskunft begehrt, um zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bund oder ein Land durchzusetzen, sprich, wenn der Finanzverwaltung ein Fehler unterlaufen sein könnte und diese Auskunft der Vorbereitung eines Amtshaftungsverfahrens dient.

Diese Position des Finanzministeriums ist schlicht verfassungswidrig und bürgerfeindlich und ignoriert gerichtliche Entscheidungen: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seiner Entscheidung vom 10. März 2008 ausdrücklich festgestellt, dass natürliche Personen einen grundrechtlich geschützten Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG auf die Information zu den sie betreffenden gesammelten Daten haben (BVerfG, Beschluss vom 10.03.2008, Az: 1 BvR 2388/03). Die Gewährleistung eines tatsächlich effektiven Rechtsschutzes setzt die Kenntnis derartiger Informationen voraus. Der Gesetzgeber muss unter Beachtung der Grundrechte der Betroffenen hinreichende Kenntnischancen gewährleisten. Ein Auskunftsanspruch tritt nur in den Hintergrund, wenn die Aufgabenerfüllung und eine gleichmäßige Festsetzung und Erhebung von Steuern gefährdet würde, wobei dann in jedem Fall die widerstreitenden Interessen abgewogen werden müssen.

Das BVerfG hat im Hinblick auf eine Bundessteuerbehörde § 19 Bundesdatenschutzgesetz als Entscheidungsmaßstab für einen Informationszugang im Bereich der Steuerverwaltung herangezogen. Das Fehlen eines Akteneinsichts- und Auskunftsrechts in der AO könne nicht als fortbestehende planvolle Negativregelung interpretiert werden. Die Anwendung der Datenschutzgesetze könne nicht ausgeschlossen werden. Die Entscheidung des BVerfG ist mit Verweis auf § 27 LDSG auf die Finanzämter des Landes Schleswig-Holstein im laufenden Steuerverfahren übertragbar.

Gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 1 LDSG darf eine Auskunftserteilung oder Gewährung von Einsicht nur unterbleiben, wenn eine Prüfung ergibt, dass dadurch die Erfüllung der Aufgaben der datenverarbeitenden Stelle, einer übermittelnden Stelle oder einer empfangenden Stelle gefährdet würde. Das LDSG sieht keine Darlegungsverpflichtung eines berechtigten Interesses des Betroffenen vor. Insoweit steht ein Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 17.12.2008 im Widerspruch zur Entscheidung des BVerfGs und zum Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung. Die Forderung vom Auskunftsersuchenden, ein berechtigtes Interesse darlegen zu müssen, steht im Widerspruch zu unserem Grundgesetz. Auch in § 27 LDSG wird den Behörden bei der Auskunftserteilung kein Ermessen eingeräumt.

Diese Verfassungsrechtsprechung wurde von der Verwaltungsgerichtsbarkeit übernommen. So bestätigte das VG Potsdam einen Auskunftsanspruch eines Betroffenen im Rahmen eines Besteuerungsverfahrens und nahm Bezug auf eine Regelung, die dem § 3 Informationszugangsgesetz Schleswig-Holstein (IZG-SH) entspricht (VG Potsdam, Urteil vom 27.04.2010, Az: 3 K 1595/05, Tz. 41). Von einer planvollen Nichtregelung des Akteneinsichtsrechts könne keine Rede sein. Eine Weisung des BMF, also eine exekutive Verwaltungsvorschrift, kann den grundrechtlich begründeten Auskunftsanspruch nicht infrage stellen.

Die Nichterteilung der Auskunft, z. B. des Finanzamtes Kiel-Süd, wird deshalb immer wieder durch das ULD beanstandet. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig schloss sich mit einem Urteil vom 6. Dezember 2012 dem Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 2011 an und bejahte einen Anspruch auf Akteneinsicht aus dem IZG-SH im laufenden Steuerverfahren gegenüber dem Finanzamt. Zusätzlich hat das OVG Schleswig einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch bejaht. Mit dem Urteil des OVG Schleswig ist hoffentlich der langjährige Streit mit der Finanzverwaltung des Landes Schleswig-Holstein beendet.

Was ist zu tun?

Die Finanzverwaltung muss endlich ihre Verweigerungspraxis bei Auskunftsansprüchen von Betroffenen beenden.

 

4.8.2       Zusendung falscher Steuerunterlagen

Erneut informierten Steuerpflichtige mehrfach das ULD, dass ihnen vom Finanzamt Steuerunterlagen fremder Personen zugesandt wurden (32. TB, Tz. 4.8.3).

Konkret betroffen waren das Finanzamt Ratzeburg, das Finanzamt Flensburg, das Finanzamt Stormarn und das Finanzamt Kiel-Süd. Es handelte sich jeweils um von Steuerpflichtigen eingereichte Steuerbelege, also Kontoauszüge, Arztrechnungen, Überstundennachweise usw. Diese Unterlagen sind nach Prüfung durch das Finanzamt üblicherweise an die Steuerpflichtigen zurückzusenden. In allen dem ULD bekannten Fällen sind diese sensiblen Daten an andere Steuerpflichtige versandt worden. Der Grund war jeweils eine falsche Befüllung von Briefumschlägen. Dass eine hohe Arbeitsbelastung zu Fehlern im Arbeitsablauf führen kann, ist dem ULD bekannt. Bei den Steuerunterlagen handelt es sich aber um besonders schutzbedürftige und rechtlich geschützte Daten. Hier kann besondere Sorgfalt erwartet werden.

Was ist zu tun?

Die Leitungen der Finanzämter müssen organisatorische Vorkehrungen treffen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bearbeitung von Steuerunterlagen Sorgfalt walten lassen und Verwechslungen vermeiden.

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