4.5         Soziales

Hartz IV schafft Arbeit! Was sich die Arbeitsmarktreformer erträumten, ist zumindest beim ULD Wahrheit geworden. Die Anzahl der Eingaben und Anfragen erreichte einen traurigen Rekord.

2007 dürfte im Sozialbereich des ULD „Vollbeschäftigung“ garantiert sein. Zwar stellt die Bundesagentur für Arbeit (BA) seit Juni 2006 endlich die mit den Datenschutzbeauftragten überarbeiteten und nunmehr datenschutzgerecht gestalteten Vordrucke zur Verfügung. Gleichwohl fehlt es weiterhin an datenschutzgerechten Berechtigungs- und Löschungskonzepten für zentrale EDV-Verfahren wie A2LL (28. TB, Tz. 4.5.1). Durch Prüfungen vor Ort werden wir auf aktuelle Missstände reagieren (Tz. 4.5.3).

2006 war ein Jahr, in dem Fälle von misshandelten Kindern traurige Schlagzeilen machten. Am Datenschutz kann es nicht gelegen haben. Die bestehenden Vorschriften im Kinder- und Jugendhilferecht ermöglichen notwendige Mitteilungen und eröffnen dadurch Handlungsoptionen für alle beteiligten Stellen, doch Aufklärung tut not (Tz. 4.5.11).

 

4.5.1      Datenschutzkontrollzuständigkeit über die Arbeitsgemeinschaften (ARGEn )

Über das Gesetz zur Fortentwicklung in der Grundsicherung findet sich seit dem August 2006 im Sozialgesetzbuch II eine Regelung, wonach die Bundesanstalt für Arbeit die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle ist, wenn die ARGEn Aufgaben der BA wahrnehmen. Doch wie weit geht diese Verantwortung?

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hat eine aus unserer Sicht zutreffende und praxistaugliche Auslegung dieser Regelung geliefert. Den einzelnen Leistungsträgern, also der Bundesagentur für Arbeit (BA) und den Kommunen, obliegt eine Finanzierungs- und Gewährleistungsverantwortung. Korrespondierend hierzu stellt die BA den ARGEn zentrale IT-Verfahren, verbindliche Handlungsempfehlungen und einheitliche Vordrucke zur Verfügung.

Aufgabe der ARGE ist es, mittels dieser zentralen Vorgaben vor Ort die Leistungsgewährung durchzuführen. Den ARGEn obliegt insoweit die Aufgabenwahrnehmungs- bzw. Durchführungsverantwortung. Der gesetzliche Auftrag des individuellen Förderns und Forderns von Hilfebedürftigen ist durch die ARGEn wahrzunehmen. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben in einem Beschluss die sich daraus ergebenden Konsequenzen aufgezeigt:

  • Die Kontrollkompetenz der Landesbeauftragten für den Datenschutz bezieht sich auf alle Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.
  • Die ARGEn sind unmittelbare Adressaten von eventuellen Beanstandungen der Landesbeauftragten. In Fällen grundsätzlicher Art soll der BfDI über Beanstandungen unterrichtet werden.
  • Auch wenn der BfDI Kontrollstelle für die zentralen IT-Verfahren der BA ist, sind die ARGEn verpflichtet, den Landesbeauftragten Einblick in oder Auskunft über die technischen Verfahren zu geben, die zu bestimmten Beschwerden Anlass geben. Entsprechendes gilt auch für die Hinweise zu den Verfahren, Empfehlungen usw. der BA. Die Landesbeauftragten können diese Verfahren/Hinweise selbst nicht datenschutzrechtlich bewerten, aber sie müssen diese zur Kontrolle der datenschutzgerechten Aufgabenerfüllung der ARGEn direkt vor Ort zur Kenntnis nehmen können.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als Aufsichtsbehörde teilt diese rechtliche Bewertung. So sind – trotz mancher Unklarheit in der gesetzlichen Regelung – zumindest auf Vollzugsebene die Irritationen über die Zuständigkeit bei der Datenschutzkontrolle hoffentlich beseitigt (28. TB, Tz. 4.5.1).

Was ist zu tun?

Die Datenverarbeitung in den ARGEn ist kein kontrollfreier Raum. Die Landesbeauftragten überwachen in enger Abstimmung mit dem Bundesbeauftragten die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften bei der Gewährung von Arbeitslosengeld II. Die Geschäftsführungen der ARGEn haben bei dieser Aufgabenwahrnehmung gegenüber den Landesbeauftragten eine Mitwirkungspflicht.

 

4.5.2      Viel Ärger um die ARGE  Lübeck

Ende November 2005 erfolgte eine Prüfung der konventionellen Datenverarbeitung bei der ARGE Lübeck. Die Prüfung war geprägt von massiven Behinderungen der Prüftätigkeit des ULD. Trotz unserer beschränkten Erkenntnismöglichkeiten waren die Ergebnisse unserer Prüfung alarmierend.

Die Geschäftsführung der ARGE war vorab von unserer beabsichtigten Prüfung unterrichtet worden. Vom ersten Tag an weigerte sie sich, den Prüfern Einblick in die elektronischen Datenverarbeitungssysteme wie A2LL oder coArB zu gewähren und bestehende Dienstanweisungen bzw. Arbeitsrichtlinien auszuhändigen. In den Akten wurden die zahlreichen Ausdrucke aus den EDV-Verfahren unkenntlich gemacht. Der Geschäftsführer der ARGE behauptete, auf Weisung der Regionaldirektion Nord der BA zu handeln. Die Regionaldirektion erklärte später, eine derartige Weisung nie erteilt zu haben.

Aufgrund dieser Weigerung war es unmöglich, die geprüften Einzelfälle komplett nachzuvollziehen. Ausgehende Schreiben befanden sich meist nicht in der Papierakte, sondern ausschließlich im Computer, ebenso waren viele Vermerke der Sachbearbeiter im IT-System gespeichert, die allenfalls als Screenshot ausgedruckt in die Akte gelangten und den Prüfern verweigert wurden. Eine reguläre datenschutzrechtliche Prüfung war nicht möglich.

Die Weigerung der Geschäftsführung wurde als Verstoß gegen die gesetzliche Mitwirkungspflicht der öffentlichen Stellen, das ULD bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen und hierzu die erforderlichen Auskünfte zu erteilen sowie Einsicht in Unterlagen und Dateien zu gewähren, beanstandet.

Weiterhin mussten wir beanstanden, dass die Geschäftsführung zum Zeitpunkt der Prüfung die gesetzlich geforderten schriftlichen Dienstanweisungen nicht vorlegen konnte bzw. auf mündliche Anweisungen verwies, die bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber – wenn überhaupt – nur bedingt bekannt waren bzw. von diesen nicht beachtet wurden. Dieser Verstoß wiegt besonders schwer, zumal wir feststellen mussten, dass – wohl auch wegen des Fehlens entsprechender Dienstanweisungen – in verschiedenen Bereichen unzulässige Datenerhebungen, ‑speicherungen oder -übermittlungen erfolgten. Schriftliche Dienstanweisungen sind unabdingbare Voraussetzung für die Beachtung des Sozialgeheimnisses.

Es überraschte uns schon nicht mehr, dass bei der Prüfung der Einzelakten der Sachbearbeiter (der sogenannte persönliche Ansprechpartner) bzw. der Vorgänge des Ermittlungsdienstes weitere schwerwiegende Verstöße zu beanstanden waren. Alleine in acht von zehn nach einem Zufallsprinzip ausgesuchten Akten der persönlichen Ansprechpartner fanden sich zum Teil gleich mehrere Datenschutzverletzungen. Fast durchgängig waren nicht erforderliche Daten erhoben und gespeichert worden (Kontoauszüge, Mietverträge ...). Bei dem besonderen Problembereich Ermittlungsdienst mussten wir u. a. feststellen, dass in Abwesenheit der Eltern minderjährige Kinder befragt wurden und regelrechte Observationen erfolgt waren.
Es passte ins Bild, dass die Geschäftsführung der ARGE es nicht für notwendig hielt, einen Mitarbeiter zum behördlichen Datenschutzbeauftragten zu bestellen. Dieser hätte vielleicht einiges verhindern können.

Was ist zu tun?

Die Geschäftsführung einer ARGE darf sich ihrer datenschutzrechtlichen Verantwortung nicht entziehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen verbindliche schriftliche Vorgaben. Durch Schulungen ist auf die konsequente Beachtung des Sozialdatenschutzes hinzuwirken.

 

4.5.3      Hausbesuche ? Wenn überhaupt, dann bitte datenschutzgerecht!

Hausbesuche sind als besondere Form der Datenerhebung nicht grundsätzlich unzulässig, oft aber nicht erforderlich. Wegen ihres für den Betroffenen besonders belastenden Charakters muss der Außendienst in jedem Fall besondere Regeln beachten.

Die Liste der Eingaben von ALG-II-Empfängern beim ULD ist erschreckend lang. Bei einer Prüfung mussten wir feststellen, dass eine Hilfesuchende verdeckt observiert wurde. In der Akte befand sich ein Überwachungsprotokoll. In einem anderen Fall wurde die minderjährige Tochter gefragt, ob die Mama nicht einen neuen Freund habe. Die Mutter selbst war gerade auf der Arbeit. Eine andere Betroffene schilderte uns, dass ohne ihr Wissen ihr Briefkasten durchsucht worden sei. Eine völlig verunsicherte Frau beschwerte sich, dass mit einer Videokamera Aufnahmen von ihrem Schlafzimmer und anderen Räumen gemacht wurden. Hilfesuchende, die nur zur Untermiete wohnten, schilderten uns, dass Außendienstmitarbeiter darauf bestanden, dass auch die vom Hauptmieter genutzten Räume besichtigt wurden, obwohl diese gar keine Leistungen bezogen.

Häufigster Grund für Hausbesuche scheint der Verdacht einer ARGE zu sein, dass der Hilfesuchende in einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft lebt („eheähnliche Gemeinschaft“), dieses jedoch verschweigt (23. TB, Tz. 4.7.3). Beim Vorliegen einer solchen Bedarfsgemeinschaft ist das Einkommen und Vermögen des Lebenspartners zu berücksichtigen. Seit August 2006 können auch gleichgeschlechtliche Beziehungen als eheähnliche Gemeinschaft bewertet werden.

Nach unserer Kenntnis können in Schleswig-Holstein alle ARGEn auf einen Außen- bzw. Ermittlungsdienst zurückgreifen. Das Gesetz sieht dies neuerdings zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch ausdrücklich verpflichtend vor. Doch für die Wahrnehmung der Aufgabe versäumte es die BA, den ARGEn praktikable und datenschutzkonforme Vorgaben zu machen. Dieses Defizit ist vor Ort sofort erkennbar. Wann ist ein Hausbesuch als letztes Mittel der Sachverhaltsklärung zulässig? Welche Befugnisse hat der Außendienstmitarbeiter bzw. welche Rechte und Mitwirkungspflichten der Betroffene? Welche Daten dürfen wie erhoben werden? Wie muss die Tätigkeit des Außendienstes in der Leistungsakte beweiskräftig dokumentiert werden? Wie prüft man, ob zwei Hilfesuchende zusammenleben? Dürfen Nachbarn befragt werden? Ohne Hilfestellung kommt es zwangsläufig zu den beschriebenen Fehlern beim Einsatz des Ermittlungsdienstes. Unter

@            www.datenschutzzentrum.de/sozialdatenschutz/hausbesuche.htm

haben wir „Hinweise zur datenschutzgerechten Ausgestaltung von Hausbesuchen im Bereich der Leistungsgewährung nach den Vorschriften des SGB II und SGB XII“ als Handreichung für die ARGEn zur rechtskonformen Durchführung von Ermittlungen veröffentlicht.

Diese Hinweise enthalten neben einer Musterdienstanweisung auch Mustervordrucke eines Prüfauftrages, eines Prüfprotokolls und eines Prüfberichtes. Die Unterlagen stehen als bearbeitbare RTF-Dateien zur Verfügung.

Was ist zu tun?

Leistungsträger, die einen Außen- bzw. Ermittlungsdienst einrichten, sollten durch innerorganisatorische Maßnahmen dafür sorgen, dass unsere Hinweise zur datenschutzgerechten Ausgestaltung von Hausbesuchen beachtet werden.

 

4.5.4      Informationsbroschüre zum Arbeitslosengeld  II

Was ist der Unterschied zwischen einer Wohn-, einer Haushalts- und einer Bedarfsgemeinschaft? Muss ich meine Kontoauszüge vorlegen? Darf das Amt bei meiner Bank mein Konto einsehen? Wenn ein Mitarbeiter der Behörde an meiner Wohnungstür klingelt, muss ich ihn reinlassen?

Unsere aktuelle Informationsbroschüre „Arbeitslosengeld II – Die häufigsten Fragen zum Datenschutz beim Arbeitslosengeld II“ gibt kurze und leicht verständliche Antworten auf diese und weitere Fragen. Die Broschüre kann unter der Telefonnummer 0431/988-1210 angefordert oder unter

@            www.datenschutzzentrum.de/download/br_alg2.pdf

heruntergeladen werden.

 

4.5.5      Vermittlungsvorschlag – Einwilligung  zwecks Übermittlung an potenziellen Arbeitgeber?

Es ist übliche Praxis der ARGEn, potenzielle Arbeitgeber zu informieren, welche Arbeitsuchenden aufgefordert wurden, sich bei ihnen zu bewerben. Gleichzeitig wird der Arbeitgeber gebeten, über das Ergebnis der Bewerbung zu berichten. Der Arbeitsuchende selbst erfährt von diesem „Datenaustausch“ oft nichts.

Diese Praxis geht auf eine Vorgabe der BA zurück. Wird der Kandidat nicht eingestellt, so wird vom Arbeitgeber Auskunft verlangt, weshalb der Bewerber nicht für geeignet gehalten wurde, welche gesundheitlichen Einschränkungen dieser geltend machte oder ob diesem Arbeitsweg, Arbeitszeit oder Gehalt nicht zusagten.

Die BA begründete diesen Datenaustausch damit, Arbeitsuchende und Arbeitgeber müssten zusammengebracht werden. Arbeitsvermittler bestätigen aber immer wieder, dass es oft gerade nicht hilfreich ist, wenn beim Arbeitgeber der Eindruck entsteht, der Arbeitsuchende bewerbe sich nur, weil das Amt ihn hierzu aufgefordert hat. Letztlich räumte die BA ein, dass das eigentliche Ziel der automatischen Einschaltung der Arbeitgeber in der Kontrolle der Arbeitsuchenden liegt. Es sei erforderlich, bei einem Nicht-zustande-Kommen eines Arbeitsverhältnisses die Gründe zu analysieren und gegebenenfalls zu beseitigen, um die Chancen für künftige Bewerbungsversuche zu verbessern. Wir fragten die BA, ob dieses Ziel denn nur dadurch erreicht werden könne, dass Arbeitgeber hinter dem Rücken der Bewerber ausgefragt werden. Die Antwort der BA erstaunte uns. Die Arbeitsvermittlung sei eben Aufgabe der BA. Den Betroffenen einzubeziehen, ihn zu informieren oder sogar um Einwilligung zu bitten, würde angeblich die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses be- oder gar verhindern.

Bei dem „Vermittlungsvorschlag“ handelt es sich um einen zentralen Vordruck der BA. Die datenschutzrechtliche Bewertung dieses Vordruckes bzw. das Verfahren an sich und die sich hieraus ergebende Speicherung der Daten im EDV-Verfahren VerBIS liegt formell in der Zuständigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Wir haben dem Bundesbeauftragten unsere kritische Sicht mitgeteilt und gebeten, sich für ein Verfahren einzusetzen, das für den Betroffenen datenschutzfreundlicher ist.

Was ist zu tun?

Die BA ist aufgefordert, die Datenschutzrechte der Betroffenen stärker zu berücksichtigen. Die Verarbeitung seiner Daten muss für den Hilfesuchenden transparent gestaltet werden. Arbeitsuchende sind vorab zu unterrichten und um Einwilligung zu bitten, bevor Arbeitgeber durch die Übersendung eines Vermittlungsvorschlages hinter dem Rücken der Betroffenen informiert oder ausgefragt werden.

 

4.5.6      Die Ortsabwesenheitsklausel

Eingliederungsvereinbarungen enthalten für den Arbeitsuchenden u. a. die Verpflichtung, sich nur nach Absprache und mit Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufzuhalten und persönlich an jedem Werktag am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort erreichbar zu sein.

Muss sich der Betroffene bei seinem persönlichen Ansprechpartner (pAp) – also dem Sachbearbeiter – abmelden, wenn er zum Einkaufen in die Stadt fährt? Wird eine Liste über die Ortsabwesenheiten geführt? Auf Nachfrage erfuhren wir, dass die in den Eingliederungsvereinbarungen verwendeten Formulierungen zentral von der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorgegeben sind. Erstaunt hat uns die Unkenntnis in den ARGEn hierzu. Kaum eine ARGE konnte uns konkret darlegen, welche Abwesenheiten der Betroffene anzugeben hat. Dabei hilft ein Blick ins Gesetz. Das Sozialgesetzbuch II verweist auf eine Erreichbarkeitsanordnung der BA. Die BA stellt den ARGEn zudem ausführliche fachliche Hinweise zur Verfügung. Aus diesen Unterlagen, die spätestens auf Nachfrage jedem Betroffenen auszuhändigen sind, ergibt sich u. a. Folgendes:

Erreichbar zu sein bedeutet zunächst sicherzustellen, dass der Hilfebedürftige persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort unter der von ihm genannten Anschrift durch Briefpost erreicht werden kann. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Leistungsträger den Betroffenen über aktuelle Arbeitsangebote oder Eingliederungsmaßnahmen informieren können und dass der Hilfebedürftige hierauf zeitnah reagieren kann. Es ist nicht erforderlich, den ganzen Tag in seiner Wohnung vor dem Telefon zu sitzen. Der Betroffene kann sich also grundsätzlich frei bewegen, ohne sich bei seinem persönlichen Ansprechpartner abmelden zu müssen.

Verlässt der Hilfeempfänger seinen Wohnort, bleibt aber im Nahbereich erreichbar, so muss er dem Amt seine Anschrift für die Dauer der Abwesenheit mitteilen. Zum Nahbereich gehören die Orte in der Umgebung der ARGE, von denen aus der erwerbsfähige Hilfebedürftige in der Lage wäre, den Leistungsträger oder unter Umständen mögliche Arbeitgeber täglich und ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen. Entscheidend ist, dass der Hilfebedürftige für die Vorsprache im Amt eine Pendelzeit von weniger als insgesamt 2,5 Stunden benötigt.

Verlässt der Hilfebedürftige diesen Nahbereich bzw. ist er nicht mehr werktags erreichbar, so bedarf es der vorherigen Zustimmung der ARGE. Aber auch Arbeitslose haben einen Anspruch auf Urlaub. Dieser muss jedoch beantragt und genehmigt werden.

Was ist zu tun?

Wird eine konkrete Forderung für den Hilfeempfänger in die Eingliederungsvereinbarung aufgenommen, z. B. zur Erreichbarkeit, so muss diese verständlich sein. Dem Betroffenen sind ausreichend Informationen, z. B. durch die Aushändigung der Handlungshilfen, zu geben.

 

4.5.7      Datenaustausch zwischen ARGE  und Maßnahmeträgern

Ein-Euro-Jobs, Bewerbungstraining, Umschulungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen – die ARGEn haben ein umfangreiches Angebot, zu dem sie häufig private Unternehmen, die sogenannten Maßnahmeträger, beauftragen. Vieles wird vom Land oder aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Damit alles reibungslos funktioniert, werden Unmengen von Daten zwischen den beteiligten Stellen ausgetauscht.

Auf welcher Rechtsgrundlage geschieht dies eigentlich? Der Arbeitsuchende ist vor Beginn über die Inhalte und Zielsetzung der Maßnahme und den Umfang der zu erwartenden Datenverarbeitung zu unterrichten. Dieses Wissen ist Grundlage für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung und zwingend erforderlich, damit der Betroffene frei entscheiden kann, ob er an einer konkreten Maßnahme teilnehmen möchte. Die Teilnahme an einer Maßnahme kann Gegenstand der Eingliederungsvereinbarung sein.

  • Darf die ARGE Daten an den Maßnahmeträger übermitteln?

Wird der Maßnahmeträger von der ARGE bzw. der BA mit der Durchführung der Maßnahme beauftragt, so darf die ARGE dem Maßnahmeträger Sozialdaten des Betroffenen übermitteln, soweit dies zur Erfüllung der übertragenen Aufgabe erforderlich ist (§ 50 SGB II). Hat der Betroffene zuvor seine Bereitschaft an der Teilnahme der Maßnahme erklärt, so bedarf es nun für die Übermittlung der erforderlichen Daten keiner weiteren Einwilligung des Betroffenen. In vielen Fällen mag es aber durchaus möglich und auch sinnvoll sein, dass der Betroffene selbst dem Maßnahmeträger die erforderlichen Daten liefert.

  • Darf der Maßnahmeträger an die ARGE Daten übermitteln?

Er ist durch das SGB II dazu sogar verpflichtet. Er muss Auskunft darüber erteilen, ob und inwieweit zu Recht Leistungen erbracht werden. Wird die Maßnahme nicht ordnungsgemäß durchgeführt, so sind auf Nachfrage die Gründe hierfür mitzuteilen. Dies können z. B. Fehlzeiten, die unzureichende Mitwirkung, die Unterbrechung oder der Abbruch der Maßnahme sein. Das Gesetz ermöglicht die aktuelle Unterrichtung der ARGEn, ob der Betroffene die Maßnahme begonnen hat und durchgehend teilnimmt.

Ein Maßnahmeträger ist zudem verpflichtet, eine Beurteilung von Leistung und Verhalten des Teilnehmers vorzunehmen und dieses Ergebnis unverzüglich der ARGE mitzuteilen. Hat der Betroffene zuvor seine Bereitschaft zur Teilnahme an der Maßnahme erklärt und wurde er über die bevorstehende Datenverarbeitung unterrichtet, so ist keine zusätzliche Einwilligungserklärung nötig. Die Regionaldirektion Nord der BA erläuterte uns, dass es bislang keine verbindlichen Vorgaben gebe, wie eine derartige Beurteilung durchzuführen bzw. in welcher Form sie der ARGE mitzuteilen ist. Üblich sei ein Arbeitszeugnis am Ende einer Maßnahme. Dieses könne der Betroffene auch bei Arbeitgebern vorlegen. Aus unserer Sicht ist ein solches Arbeitszeugnis eindeutig einer ungeregelten Rückmeldung vorzuziehen.

  • Darf der Maßnahmeträger Daten von Teilnehmern an andere Dritte wie Arbeitgeber oder Förderer übermitteln?

In Ermangelung einer gesetzlichen Befugnis ist dies nur zulässig, wenn der Betroffene zuvor über die beabsichtigte Übermittlung unterrichtet wurde und – grundsätzlich schriftlich – seine Einwilligung erklärt hat. Entsprechende Erklärungen sollten zu Beginn der Maßnahme eingeholt werden und können Bestandteil eines Betreuungs- oder Maßnahmevertrages zwischen dem Maßnahmeträger und dem Betroffenen sein.

Was ist zu tun?

Die ARGEn, aber auch die Maßnahmeträger, müssen die Betroffenen umfassend über Art und Inhalt einer Maßnahme und die beabsichtigte Datenverarbeitung unterrichten. Die ARGEn haben weitgehende Möglichkeiten zum transparenten Informationsaustausch mit den Maßnahmeträgern. Übermittlungen an andere dritte Stellen, wie z. B. Arbeitgeber, bedürfen grundsätzlich einer schriftlichen Einwilligungserklärung des Betroffenen.

 

4.5.8      Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement im SGB II

Erfolgreiche Arbeitsvermittlung setzt zielgerichtetes Fallmanagement voraus. Im Rahmen eines sogenannten Profiling erfolgt eine umfangreiche Datenerhebung über die berufliche, familiäre und soziale Situation des Betroffenen. Die Verwendung und Nutzung dieser Daten bedürfen dringender denn je einer datenschutzrechtlichen Bestandsaufnahme.

Es gibt in Deutschland keine Behörde, die so viele so sensible Informationen von so vielen Menschen sammelt wie die ARGEn und die BA. Bereits die Antragsvordrucke enthalten auf aktuell 31 Seiten (!) Unmengen an Datenfeldern. Zusätzlich erfolgt ein intensives Profiling mithilfe eines Profilingbogens. Schon 2005 präsentierte die BA ihr Fachkonzept „Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement im SGB II“. Dieses Konzept sieht u. a. die Erfassung aller erwerbsfähigen Leistungsempfänger vor. Fragen zum schulischen und beruflichen Werdegang, zur familiären und gesundheitlichen Situation, zu Drogen, Vorstrafen, Schulden, Eheproblemen, ja selbst zum Freundeskreis sind zu beantworten. Dies soll eine Chancen- und Risikoeinschätzung ermöglichen und Vermittlungshemmnisse feststellen.

Sind wirklich alle Daten erforderlich? Bringen die Daten den Arbeitsuchenden wirklich einem Arbeitsplatz näher? Wie wird mit diesen riesigen Datenmengen gearbeitet? Nur wenn sich diese Fragen zufriedenstellend beantworten ließen, wäre die Datenerhebung erforderlich und damit zulässig. Nötig ist ein Blick hinter die Kulissen: Beim Profiling werden „harte“ und „weiche“ Daten erhoben. So gehören z. B. Daten über den beruflichen Werdegang zu den harten Daten; diese sind objektiv und bedürfen keiner Einschätzung durch den Sachbearbeiter. Anders hingegen die weichen Daten. Bei Angaben zur Motivation oder zum Erscheinungsbild muss der Sachbearbeiter eine Bewertung vornehmen. Diese Bewertung erfolgt vergleichbar mit einem Schulnotensystem. Alle diese Daten werden in zentralen Verfahren wie A2LL oder VerBIS verwaltet. Aus Datenschutzsicht bestehen u. a. folgende Anforderungen:

  • Prüfung der Erforderlichkeit im konkreten Einzelfall

Daten können in einem Fall erforderlich, im nächsten Fall aber völlig unwichtig sein. Jeder Vordruck, jedes standardisierte Verfahren bedingt die Gefahr einer unreflektierten schematischen Datenerhebung. So muss z. B. nicht in jedem Fall nach der Konfession gefragt werden; nur bei wenigen Berufen spielt diese wirklich eine Rolle. Entsprechend variabel sind die Verarbeitungssysteme und die Befragungspraxis zu gestalten. Hilfesuchende müssen besser unterrichtet, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker sensibilisiert werden. Das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz führt zu weiteren Restriktionen bei der Datenerhebung.

  • Transparenz der Datenerhebung

Jede Datenerhebung muss für den Betroffenen transparent sein. Der Betroffene muss wissen oder zumindest erkennen können, welche Daten zu welchem Zweck bei ihm oder anderen Stellen erhoben werden. Daher sind Verfahren zu begrüßen, die systemseitig eine laufende Unterrichtung des Hilfesuchenden, z. B. durch Ausdruck und Aushändigung des vorhandenen Datenprofils, vorsehen.

  • Handlungsbedarf statt Schulnoten

Wem nützt es, wenn ein Sachbearbeiter in dem Datenfeld „Erscheinungsbild“ eine Schulnote von 1 bis 6 eingibt und diese Eingabe keine weitere praktische Konsequenz hat? Ein zielgerichtetes System sollte statt subjektiver Schulnoten Handlungsbedarf aufzeigen und umsetzen. Ist ein Sachbearbeiter der Meinung, dass ein Vermittlungshemmnis vorliegt, so muss diese Einschätzung zu einer Handlung führen, unter Umständen umgesetzt über Vorgaben für die abzuschließende Eingliederungsvereinbarung.

Was ist zu tun?

BA und ARGEn sind aufgefordert, ihre Datenerhebung vor allem im Bereich des Profiling kritisch auf die fachliche Erforderlichkeit zu hinterfragen. In Schleswig-Holstein bieten Audit- oder Gütesiegelverfahren eine Basis zur formellen Feststellung der datenschutzgerechten Gestaltung der Datenverarbeitung.

 

4.5.9      ARGE  will gemeinnützigen Verein abschöpfen

Wer einem Arbeitslosengeld-II-Empfänger Leistungen erbringt, die geeignet sind, die Leistung des ALG II auszuschließen oder zu mindern, hat der ARGE auf Verlangen hierüber Auskunft zu erteilen. So will es das Gesetz. Dies berechtigt aber nicht zur Nachfrage bei einem gemeinnützigen Verein, welche Personen wie unterstützt wurden.

Stolz hielt die Vorsitzende eines gemeinnützigen Vereins einen Zeitungsartikel in ihrer Hand, der ausführlich darüber berichtete, wie ehrenamtlich gesammelte Spenden an Not leidende Bürgerinnen und Bürger ihrer Gemeinde verteilt wurden. Einer Familie wurde eine Kaffeemaschine geschenkt. In einem anderen Fall wurde dem Sohn ein Malkurs ermöglicht. Der Zeitungsartikel versprach Publicity und neue Spenden. Umso größer war der Schreck, als nur wenige Tage später Post von der örtlichen ARGE kam. Diese forderte die Vereinsvorsitzende unter Androhung eines Bußgeldes auf, Namen und Anschriften der Spendenempfänger mitzuteilen, die ALG II erhalten. Es müsse geprüft werden, ob die Spendenmittel auf das ALG II angerechnet werden könnten. Hilfe suchend bat uns die Vorsitzende um Rat.

Wir teilten der ARGE und dem Verein mit, dass derartige Anfragen nur zulässig sind, wenn sich die ARGE auf einen konkreten Fall beziehen kann. Die ARGE hat kein Recht, Daten nicht näher bezeichneter Personen von Dritten, hier vom Verein, zu erfragen, um diese dann abzugleichen. Unzulässig wäre auch die Weitergabe einer Liste mit Verdachtsfällen an den Verein mit der Aufforderung, die Fälle zu bestätigen. Dadurch käme es zu einer unzulässigen Übermittlung von Daten an den Dritten. Nur wenn es um klar zu benennende Hilfesuchende geht, kommt eine Einholung der Auskunft bei einer dritten Stelle in Betracht. Für die Zulässigkeit ist weiterhin erforderlich, dass ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die weitergeleiteten Spenden wirklich auf das ALG II anzurechnen sind. Eine geschenkte Kaffeemaschine führt ebenso wenig zu einer Leistungskürzung wie ein unentgeltlicher Malkurs. Nötig wären schon die Unterstützung des ALG-II-Empfängers mit regelmäßigen bzw. größeren Geldbeträgen. Zudem muss einer Datenerhebung bei einer dritten Stelle immer der Versuch vorausgehen, die Daten beim Betroffenen zu erheben. Erst wenn sich das als erfolglos erweist, kommt die Befragung Dritter in Betracht.

Was ist zu tun?

Auskunftsersuchen bei dritten Stellen sind nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Die dritten Stellen sind auf die in Anspruch genommenen gesetzlichen Befugnisse hinzuweisen.

 

4.5.10    Datenerhebung  im Jugendamt  – Welche Rechte hat ein Amtspfleger?

Amtspfleger haben die Aufgabe, Unterhaltsansprüche eines Kindes gegenüber dem unterhaltspflichtigen Elternteil geltend zu machen. Dafür sind Angaben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltsschuldners nötig. Was ist zu tun, wenn der Unterhaltsschuldner seine Mitwirkung – zu der er an sich verpflichtet ist – verweigert?

Im vom ULD zu beurteilenden Fall ging es um bestimmte Subventionen einer Behörde im Bereich der Landwirtschaft an den Unterhaltspflichtigen. Der Amtspfleger begehrte hierüber Auskunft. Der nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch bestehende Auskunftsanspruch richtet sich primär gegen den Unterhaltspflichtigen. Das Kind bzw. die Kindesmutter kann diesen Auskunftsanspruch nur zivilgerichtlich durchsetzen. Der Amtspfleger hat jedoch aufgrund seiner Stellung als Mitarbeiter des Jugendamtes weitergehende Möglichkeiten.

Der Amtspfleger darf direkt Daten bei Arbeitgebern und öffentlichen Stellen erheben, wenn

  • der Unterhaltsschuldner über seine Auskunftspflicht gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind bzw. dem Amtspfleger/Unterhaltsbeistand unterrichtet worden ist,
  • der Betroffene unter Hinweis darauf, dass vom Amtspfleger/ Unterhaltsbeistand bei fehlender oder bei nicht ausreichender Auskunft eine direkte Datenerhebung beim Arbeitgeber oder öffentlichen Stellen erfolgt, gemahnt wurde und
  • der Unterhaltsschuldner dennoch seiner Auskunftspflicht nicht oder nicht ausreichend nachgekommen ist.

Der Auskunftsanspruch erstreckt sich auch auf die Personen, mit denen der Unterhaltsschuldner in einer neuen Ehe bzw. in einer Lebensgemeinschaft lebt, soweit die Einkünfte des neuen Ehepartners bzw. des neuen Lebensgefährten dem Unterhaltsschuldner zuzurechnen sind. Öffentliche Stellen sind nach dem allgemeinen Datenschutzrecht zur Auskunftserteilung gegenüber dem Amtspfleger/
Unterhaltsbeistand berechtigt und grundsätzlich auch verpflichtet.

Was ist zu beachten?

Ein Amtspfleger bzw. Unterhaltsbeistand hat unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Vorschriften das Recht, erforderliche Daten über das Einkommen und Vermögen des Unterhaltsschuldners direkt bei Arbeitgebern und öffentlichen Stellen zu erheben, wenn der Unterhaltsschuldner entgegen seiner Verpflichtung die erforderlichen Auskünfte nicht erteilt.

 

4.5.11    Informationen zum Schutz des Kindeswohls

Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) macht Jugendämtern sowie freien Trägern der Jugendhilfe Vorgaben, wie sie sich bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung verhalten müssen. Diese Vorgaben gilt es in die Praxis umzusetzen.

Man stelle sich folgenden Fall vor: Eine Erzieherin bemerkt in ihrem Kindergarten, wie sich ein vormals fröhliches und aufgeschlossenes Kind immer mehr zurückzieht. Wiederholt wird das Kind von der Mutter nicht pünktlich abgeholt. Anstelle eines gesunden Frühstücks hat das Kind neuerdings nur unregelmäßig einen Schokoriegel im Gepäck. Die Kleidung ist nicht mehr so gepflegt wie noch vor wenigen Monaten. Sind dies erste Anzeichen einer Vernachlässigung? Wie soll die Erzieherin reagieren – die Mutter ansprechen oder gleich das Jugendamt informieren? Das Gesetz sieht für die Erzieherin ein Vorgehen in Stufen vor.

Stufe 1 – Einschätzung des Gefährdungsrisikos

Zunächst muss die Erzieherin aus fachlicher Sicht eine Einschätzung des Gefährdungsrisikos vornehmen. Diese Einschätzung sollte die Erzieherin gemeinsam mit (eventuell externen) Fachkräften vornehmen. Der Gesetzgeber verlangt, dass dabei den Fachkräften nicht der Name des Kindes bzw. der Sorgeberechtigten mitgeteilt wird („Pseudonymisierung“). Nur wenn es aus fachlicher Sicht nicht vermeidbar ist, darf die Identität des Kindes preisgegeben werden. Soweit möglich und angebracht, sollen bei der Einschätzung des Gefährdungsrisikos die Personensorgeberechtigten und das Kind einbezogen werden.

Stufe 2 – Angebot einer Hilfestellung

Wenn nach Einschätzung des Gefährdungsrisikos zur Abwendung der Gefahr die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig gehalten wird, sind diese den Personen- bzw. Sorgeberechtigten anzubieten. Die (externen) Fachkräfte sollen darauf hinwirken, dass die Personen- bzw. Sorgeberechtigten die Hilfen annehmen.

Stufe 3 – Unterrichtung des Jugendamtes

Werden die angebotenen Hilfestellungen nicht angenommen oder sind diese nicht ausreichend, um die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, so ist mit Einwilligung des Personen- bzw. Sorgeberechtigten das Jugendamt zu informieren. Wird die Einwilligung nicht erteilt, kann eine Unterrichtung dennoch erfolgen, wenn die Kindeswohlgefährdung nicht anderweitig abgewendet werden kann.

Stufe 4 – Unterrichtung des Familiengerichtes durch das Jugendamt

Sind die Personen- oder Sorgeberechtigten nicht bereit, an der Gefährdungseinschätzung mitzuwirken, oder hält das Jugendamt es aus anderen Gründen für erforderlich, kann es das Familiengericht anrufen.

Stufe 5 – Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt

Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Familiengerichtes nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind in Obhut zu nehmen.

Stufe 6 – Einschaltung der Polizei

Soweit es zur Abwendung der Gefährdung erforderlich ist, hat das Jugendamt bzw. der freie Träger der Jugendhilfe den Personen- bzw. Sorgeberechtigten aufzufordern, die Polizei, andere Leistungsträger oder Einrichtungen der Gesundheitshilfe in Anspruch zu nehmen. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich oder wirken die Personensorgeberechtigten nicht mit, so muss das Jugendamt diese Stellen selbstständig einschalten.

Zur Umsetzung dieses Verfahrens sollen die Jugendämter mit den freien Trägern der Jugendhilfe Vereinbarungen treffen. Darin sind insbesondere Regelungen zur Einschaltung und zum Tätigwerden der (externen) Fachkräfte vorzusehen.

An dieser Stelle muss das Amt für Jugend und Sport des Kreises Plön lobend erwähnt werden. Es organisierte für die Leitungskräfte aller Kindertageseinrichtungen die Veranstaltungsreihe „Kinderschutz in Kooperation von Kindertageseinrichtungen und dem Allgemeinen Sozialen Dienst“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden über die aktuelle Rechtslage unterrichtet und konnten ihre Erfahrungen austauschen. Das ULD war eingeladen, über die Vorschriften zu referieren und mit zu diskutieren. Dabei zeigte sich: Nicht Datenschutz, sondern mangelnde Kenntnis der Vorschriften behindert die Arbeit.

Was ist zu tun?

Die datenschutzrechtlichen Vorschriften im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe geben den Jugendämtern und den freien Trägern der Jugendhilfe hilfreiche Vorgaben, wie bei einem Verdacht von Kindeswohlgefährdung zu verfahren ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind aufgefordert, sich die erforderlichen Kenntnisse anzueignen.

 

4.5.12    Neue Instrumente bei der Eingliederungshilfe

Neue Methoden wie z. B. eine konsequente Hilfeplanung und das sogenannte Case-Management sollen behinderten Menschen effektivere Hilfen ermöglichen. Die Datenschutzrechte der Betroffenen dürfen dabei nicht ausgehebelt werden.

Menschen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt sind oder denen eine solche Behinderung droht, erhalten häufig Eingliederungshilfe nach den Vorschriften des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Viele der Hilfeempfänger sind von psychischen Problemen oder Sucht betroffen. Vor allem freie Träger halten in unterschiedlich spezialisierten Einrichtungen passgenaue Angebote für die Eingliederungshilfe bereit. Die Bandbreite reicht von ambulanter Hilfe im Sinne von Hausbesuchen über betreutes Wohnen bis hin zu stationären Einrichtungen. Für die erbrachten Leistungen gewähren die Träger der Sozialhilfe eine Vergütung. Eine gewisse Zäsur brachte der Jahreswechsel 2006/2007: Bisher war das Land als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Eingliederungshilfe in stationären und teilstationären Einrichtungen zuständig, hatte die Durchführung der Aufgaben aber auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen. Seit Anfang 2007 sind diese nun selbst zuständig und führen die Aufgabe im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung durch.

Schon bisher war die Erfüllung dieser Aufgabe mit erheblichen Kosten für die Sozialhilfeträger verbunden. Dennoch gab es kein ausgeprägtes System zur Rückmeldung von Fortschritten bei der Eingliederung der einzelnen Leistungsempfänger. Die freien Träger rechneten regelmäßig pauschal für die in den Einrichtungen untergebrachten oder von diesen betreuten Personen ab. Den Kostenträgern war somit häufig nicht erkennbar, welche Erfolge oder Konsequenzen ihr finanzieller Einsatz hatte.

Vor diesem Hintergrund begannen die Kreise und kreisfreien Städte im Rahmen des Sozialhilferechts nach dem SGB XII eine verstärkte Steuerung einzelner Hilfefälle vorzunehmen. Dazu gehört die frühzeitige Aufstellung eines Gesamtplans zur Durchführung der Leistungen für den jeweiligen Leistungsempfänger durch den Träger der Sozialhilfe. Die Einzelfälle sollen künftig im Wege eines sogenannten Case-Managements behandelt werden. Dies bedeutet, dass eine organisierte, bedarfsgerechte Hilfeleistung gemäß eines Ablaufschemas erbracht wird, wobei der Versorgungsbedarf eines Klienten über einen definierten Zeitraum und unter Einbeziehung aller relevanten Dienstleistungen und Ämter geplant, koordiniert und evaluiert wird.

Ein Instrument hierfür ist der sogenannte Entwicklungsbericht. Mit diesem soll zunächst der Status quo bei neuen Fällen erfasst werden. Weiterhin dient er der kontinuierlichen Überwachung der Hilfefälle durch Nacherhebung in bestimmten Zeitabständen. Jeder individuelle Hilfefall weist seine besonderen Eigenschaften auf, auch wenn sich bestimmte Fallgruppen identifizieren lassen. Gleichwohl haben viele Sozialleistungsträger einen einheitlichen Befragungsbogen zur Erstellung des Entwicklungsberichts entwickelt. Dieser soll bei allen Hilfefällen eingesetzt werden. Um für alle Eventualitäten und Fallgestaltungen Platz vorzuhalten, versammeln solche Erhebungsbögen ein maximales Maß möglicher Fragen, frei nach Goethe: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.“ Natürlich sind nicht alle Fragen in allen Fällen einschlägig. Zumeist wird die Beantwortung nur eines Teils erforderlich sein. Andererseits lässt sich im Hinblick auf die große Zahl möglicher Fallgestaltungen nicht im Voraus sagen, welche Fragen jeweils nicht hilferelevant sind.

Aus Datenschutzsicht ist bei der Datenerhebung streng der Grundsatz der Erforderlichkeit zu beachten. Wegen der Vielzahl der möglichen Fallgestaltungen machen unterschiedliche Fragebögen wenig Sinn. Doch müssen die Betroffenen beim Ausfüllen, das in der Regel mithilfe der Mitarbeiter der Einrichtungen erfolgt, darauf hingewiesen werden, dass sie nicht sämtliche, sondern nur für ihren Fall relevante Angaben machen. Diese Daten werden benötigt und dürfen erhoben werden. In absehbarer Zukunft werden sich Standards für die Arbeit mit Entwicklungsberichten herauskristallisieren. Das ULD wird durch Nachschauen dafür sorgen, dass der Grundsatz der Erforderlichkeit gewahrt wird.

In Workshops und unter Beteiligung des ULD wurden Standards für Verfahren der Eingliederungshilfe und die Lösung einzelner Probleme erörtert. Aus unserer Sicht waren dabei die Diskussion von Konzepten für zwei landesweite Datenbanken von Interesse, die jeweils zum Management der Zielgruppe und der Anbieter erarbeitet werden sollen. Unter Beteiligung der künftig allein zuständigen Kreise und kreisfreien Städte und des noch zuständigen Landessozialministeriums wurden dabei Gestaltungsanforderungen definiert, die für mehr Transparenz und Effektivität bei der Eingliederungshilfe sorgen sollen. Durch die frühzeitige Beteiligung des ULD wird eine datenschutzkonforme Gestaltung der Datenbanken möglich. Es ist vorgesehen, dass die einzelnen Kostenträger in ihrem Zuständigkeitsbereich Zugriff auf die Daten haben. Die neue Datenbank zur Zielgruppe soll es den Kostenträgern ermöglichen, auf statistische Angaben aus den bei anderen Kostenträgern geführten Verfahren zuzugreifen. Ein Zugriff auf personenbezogene Daten in Verfahren außerhalb der eigenen Zuständigkeit wird jedoch ausgeschlossen.

Was ist zu tun?

Die Sozialleistungsträger müssen beim Einsatz von neuen Hilfsmethoden und Instrumenten den Sozialdatenschutz im Auge behalten, insbesondere die Beschränkung der Datenerhebung auf das erforderliche Maß. Bei der Weiterentwicklung von zentralen Datenbanken zu Zielgruppen- und Anbietermanagement sollte das ULD wie bisher einbezogen werden.

 

Zurück zum vorherigen Kapitel Zum Inhaltsverzeichnis Zum nächsten Kapitel