1         Datenschutz in Schleswig-Holstein

1.1         Welchen Datenschutz können wir uns noch leisten?

Diese Frage stellen sich viele Menschen in der heutigen Zeit, die geprägt ist von Haushaltsdefiziten, wirtschaftlicher Globalisierung, internationalen Terroranschlägen und einer atemberaubenden Technikentwicklung. Die Diskussion über Kosten und Nutzen des Datenschutzes findet auch in Schleswig-Holstein statt.

Die Arbeit des ULD wird in Schleswig-Holstein von vielen mit Wohlwollen verfolgt: Jeder hat eine Privatsphäre, die er geschützt wissen will. Zugleich ist aber die Vorstellung sehr weit verbreitet, eigentlich habe man auch nichts zu verbergen. Angesichts terroristischer Anschläge und spektakulärer Kriminalität, großkalibriger Steuerverkürzung und des Missbrauchs staatlicher Leistungen betrachten viele den Datenschutz eher als Luxus, den sie sich wegen knapper Ressourcen und wegen Wichtigerem nicht mehr wie bisher leisten können.

Diese reservierte Haltung gegenüber dem Datenschutz wird verstärkt durch die Kritik, die Datenschützer immer wieder üben müssen bei der Erneuerung der IT‑Infrastruktur in der öffentlichen Verwaltung oder bei der Durchsetzung neuer Eingriffsbefugnisse für staatliche Einrichtungen – vom Sozialamt bis zur Polizei. Hinzu kommt die Erfahrung mit scheinbar übermäßigen bürokratischen Anforderungen: Pflichten zur Meldung von Verfahren, zur Vorabkontrolle, zur Dokumentation von Verarbeitungs- und Sicherheitskonzepten, zur Erprobung und Freigabe, zur Protokollierung von Prozessen und zur Protokollkontrolle – all dies versperrt bei vielen Betreibern, Anwendern und sonstigen Verantwortlichen leicht den Blick darauf, dass es beim Datenschutz vor allem um eines geht: um Grundrechtsschutz.

Die Frage nach Sinn und Unsinn bzw. Art und Umfang des Datenschutzes stellt sich heute zudem anders als noch ein Jahr zuvor: Sowohl in Schleswig-Holstein als auch auf Bundesebene wurde bisher mit knappen Regierungsmehrheiten regiert. Diese politisch unsichere Lage mag ein Grund gewesen sein, dem Datenschutz besonders aufgeschlossen gegenüberzutreten und Interesse daran zu zeigen, dass die unabhängigen Datenschutzkontrollinstanzen die Politik mit einer freundlichen Grundeinstellung begleiten. Nun regieren im Bund sowie in unserem Land große Koalitionen, die angesichts satter Mehrheiten zumindest rechnerisch keine Rücksichten mehr nehmen müssen auf solche speziellen gesellschaftlichen Anliegen.

Eigentlich ist die Frage, ob wir uns Datenschutz noch leisten können, mit einem Blick ins Grundgesetz einfach zu beantworten: Es stellt sich nicht die Frage, ob wir können – wir müssen. Mit erfrischender Klarheit machte gerade in jüngster Vergangenheit das Bundesverfassungsgericht immer wieder deutlich, dass alle scheinbaren faktischen Zwänge kein Anlass dafür sein dürfen, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu opfern. Als Maßstab für den Zustand einer Demokratie wird immer wieder – zu Recht – der Umgang einer Gesellschaft mit seinen Minderheiten herangezogen. Diese Messmethode lässt sich auf den Datenschutz übertragen: Maßstab für die Freiheitlichkeit unserer Informationsgesellschaft ist deren Umgang mit dem Datenschutz.

Beim Datenschutz – ebenso wie beim Minderheitenschutz – geht es nicht vorrangig um die Wahrung von Partikularinteressen. Es geht ums Gemeinwohl, d. h. auch um die Interessen der Mehrheiten und damit derer, die weitgehend ohne gefühlte persönlichkeitsrechtliche Konflikte mitten in unserer Gesellschaft stehen. Jeder Mensch schwebt in der Gefahr, aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand gedrängt zu werden. Durch die tatsächlich erfolgende tausendfache Erfassung von allen Menschen besteht ein latentes weiter zunehmendes Risiko für alle Bürgerinnen und Bürger für deren Persönlichkeitsrechte, z. B. durch fehlerhafte oder zweckwidrige Verarbeitung ihrer Daten. Datenschutz ist nicht nur Bestandteil unserer Rechtsordnung, sondern auch unserer Kultur, die das Leben angenehm und lebenswert macht.

1.2         Die Gewinnrechnung des Datenschutzes

Das ULD baut nicht allein auf die verfassungsrechtliche Unersetzlichkeit des Datenschutzes. Unser Ziel ist es vielmehr darauf hinzuwirken, dass sich Datenschutz auch greifbar lohnt – als kultureller, wirtschaftlicher und finanzieller Gewinn.

Das Land Schleswig-Holstein soll von der Arbeit des ULD äußerlich sichtbar profitieren. Dies bedeutet für uns, dass wir uns nicht auf das einfache Kontrollieren beschränken, also auf das nachträgliche Überprüfen, ob von öffentlichen und privaten Stellen die Datenschutzvorschriften beachtet wurden. Wir verfolgen vielmehr zusätzlich einen präventiven Ansatz, der Aufsicht nicht als Konfrontation, sondern als eine kommunikative Aufgabe versteht, und der Anreize zur Befolgung der Regeln gibt. Die Beachtung des Datenschutzes soll – in vieler Hinsicht – sich lohnen und belohnt werden.

Dieser Ansatz ist beileibe nichts revolutionär Neues. Schon das erste Datenschutzgesetz des Landes aus dem Jahr 1978 erklärt die Beratung der Daten verarbeitenden Stellen zur Kernaufgabe. Dies ändert nichts daran, dass das ULD als Datenschutzaufsicht prüfen muss und dies auch tut. Dies gilt sowohl für die zeitnahe Bearbeitung von Hinweisen und Beschwerden als auch für Stichproben- und Querschnittsprüfungen. Selbst wenn in einem konkreten Zusammenhang eine Beratung erfolgt, kann auf Prüfungen nicht völlig verzichtet werden. Dennoch hält sich das ULD mit Prüfungen zurück, wenn Beratungskontakte bestehen. Hierdurch lassen sich Irritationen über die Rolle des ULD vermeiden. Kontrollen mit Mängelfeststellungen können wiederum der Beginn einer konstruktiven Beratung sein.

Neben dem klassischen Beratungsgeschäft hat das ULD seit dem Jahr 2000 auf gesetzlicher Basis sein präventives Instrumentarium ausgebaut. Hierbei handelt es sich nicht um teuren "Luxus", sondern um den Versuch, das Grundanliegen des Schutzes informationeller Selbstbestimmung intelligent, d. h. umfassender, billiger und wirksamer zu verwirklichen als allein mit Kontrollen und Beratung.
Während Prüfungen und Beratungen vom ULD bisher weitgehend unentgeltlich erfolgen, werden für die Auditierung von Verfahren und die Verleihung von Datenschutz-Gütesiegeln für IT-Produkte Gebühren erhoben. Hierdurch wird nicht nur der Landeshaushalt entlastet, alle Beteiligten haben hiervon einen Nutzen: Die für die Verarbeitung Verantwortlichen können sich darauf verlassen, dass ihr Produkt oder ihr Verfahren geprüft und für gut befunden wurde. Dies erhöht die Rechtssicherheit. Zugleich ist dies ein wichtiges Argument im Wettbewerb, mit dem Vertrauen von Partnern sowie von Bürgerinnen und Bürgern gewonnen werden kann. Letztere gewinnen an informationeller Selbstbestimmung. Und selbst für die professionellen Datenschützer in Behörden und Betrieben wird das Geschäft erleichtert durch Standardisierung, qualifizierte Dokumentation und Einbeziehung fremden Sachverstands. Dass wir hier in Schleswig-Holstein als Pionier auf dem richtigen Weg sind, zeigt die nationale und internationale Resonanz: Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder erwarten vom Bundesgesetzgeber endlich den Erlass des per Gesetz seit 2001 angekündigten Bundesdatenschutzauditgesetzes. Dieser Forderung schließen sich zunehmend Unternehmen, insbesondere aus der IT-Branche, an. Die französische Datenschutzaufsichtsbehörde zeigt sich interessiert, unsere Verfahren auf die dortige Situation zu übertragen (Tz. 9.2.6). Selbst Vertreter weltweit agierender IT-Konzerne kommen nach Kiel, um von unseren Auditerfahrungen zu profitieren.

Die DATENSCHUTZAKADEMIE Schleswig-Holstein ist eine – vom ULD gemeinsam mit dem Deutschen Grenzverein schon im zwölften Jahr erfolgreich tätige – sich finanziell weitgehend selbst tragende Bildungseinrichtung im Bereich Datenschutz. Zwischen Prüfung, Beratung und Schulung bestehen enge Wechselwirkungen: Bei Schulungsmaßnahmen kann anstelle einer Einzelberatung sofort eine Vielzahl von Personen erreicht werden. Es wird Verständnis für den Datenschutz vermittelt, was die Grundlage für die Beachtung rechtlicher Vorgaben ist. Zugleich wird durch den Gedanken- und Informationsaustausch bei den Schulungen bewirkt, dass die Kursteilnehmer sich gegenseitig motivieren und dass die Unterrichtenden Rückmeldungen aus der behördlichen oder betrieblichen Praxis erhalten. Beides ist von unschätzbarem Wert, sowohl für die Einzelberatung als auch für die Prüftätigkeit. Ein positiver Nebeneffekt der DATENSCHUTZAKADEMIE und der Kooperation mit dem Deutschen Grenzverein e.V. liegt darin, dass auch Menschen außerhalb Schleswig-Holsteins in unser schönes Land "gelockt" werden, um sich weiterzubilden. Für den Standort Leck erfolgt derart – in zugegeben kleinem Umfang – eine regionale Wirtschaftsförderung (Tz. 13).

Eine völlig kostenneutrale Bildungsarbeit besteht in Kooperationen des ULD mit weiteren Bildungsträgern in Schleswig-Holstein, u. a. mit der Universität Kiel, dem dortigen Multimedia Campus oder der Fachhochschule Kiel. Die von Mitarbeitern des ULD angebotenen Lehrveranstaltungen werden freiwillig als Nebentätigkeit ausgeübt; hierin liegt eine Zusatzleistung der Mitarbeiter, von der die Bildungseinrichtungen sowie das ULD und nicht zuletzt die Studierenden profitieren.

Die Öffentlichkeitsarbeit hat für die Außenwirkung des ULD eine immense Bedeutung. Der personelle und finanzielle Aufwand hierfür ist dagegen eher gering. Im Ergebnis handelt es sich um nichts anderes als die mediale Aufbereitung ohnehin erarbeiteter Arbeitsergebnisse. Voraussetzung der Beachtung des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen und der privaten Stellen die Datenschutzregelungen kennen und verstehen lernen, um diese in der betrieblichen bzw. behördlichen Praxis umsetzen zu können. Über die elektronischen und gedruckten Veröffentlichungen des ULD werden Sensibilität und Know-how für einen effektiven Grundrechtsschutz vermittelt. Durch Verweis hierauf kann der Beratungsaufwand reduziert und optimiert werden. Unser Informationsangebot findet großen Zuspruch und zeigt durchgängig positive Wirkungen – nicht nur, aber vor allem in Schleswig-Holstein.

Die Veröffentlichungen des ULD sollen auch die Bürgerinnen und Bürger ansprechen. Im Interesse eines effektiven Ressourceneinsatzes zur Wahrung der rechtlich geschützten Interessen der Betroffenen kann hierdurch für diese mehr Transparenz bei der Verarbeitung ihrer Daten geschaffen werden. Es werden Hilfen zur Selbsthilfe geboten. Überall dort, wo sich die Betroffenen selbst helfen können, ist nicht mehr die Unterstützung des Staates durch Beschwerdebearbeitung oder Beratung erforderlich. Das ULD versteht Öffentlichkeitsarbeit als Werbung für den Datenschutz und für das Land Schleswig-Holstein. Insbesondere der Webauftritt soll den Anspruch auf Transparenz einlösen, mit dem das ULD – nicht zuletzt auch als Informationsfreiheitsbehörde – konfrontiert ist.

Das ULD beteiligt sich an vielen Forschungs- und Diskursprojekten im Bereich Datenschutz und an der Entwicklung von Innovationen. Es erstellt im Auftrag von Ministerien wissenschaftliche Gutachten. Diese Projekte stellen für das Land keine finanzielle Belastung dar, weil sie weitgehend kostendeckend über Drittmittel finanziert werden. Durch Synergieeffekte besteht sogar die Möglichkeit der Nutzung der Projektressourcen für die Wahrnehmung der Kernaufgaben des ULD. Zugleich werden – leider immer nur befristet – hoch qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen. Eine Zielsetzung der Projekte liegt in der Förderung moderner Technologien. Schleswig-Holstein macht in den Bereichen der Informations- und der Biotechnik große Anstrengungen, um angesichts des globalen Wettbewerbs auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Gerade in diesen Schlüsseltechnologien ist die Implementierung von Datenschutz eine zentrale Rahmenbedingung auf dem Markt. In Marktsegmenten, bei denen es um die menschengerechte Einbettung von Hightech in eine größere gesellschaftliche Infrastruktur geht, hat Deutschland gegenüber vielen anderen Staaten einen Standortvorteil. Zu diesen Segmenten gehört der Datenschutz. Durch Private-Public-Partnerships – vorzugsweise mit Unternehmen des Landes – versucht das ULD, die eigene Kompetenz auch für die Wirtschaft des Landes nutzbar zu machen. Für den Wissenstransfer steht als besondere Abteilung des ULD dessen Innovationszentrum zur Verfügung (ULD-i).

Was ist zu tun?

Die Tätigkeit des ULD steht nicht nur auf einem datenschutzrechtlichen Prüfstand. Da das ULD öffentliche Mittel in Anspruch nimmt, gibt es auch Rechenschaft darüber ab, wie diese Mittel eingesetzt und welche Effekte hierdurch erreicht werden.

1.3         Die Gesetzgebung

Das Datenschutz- und Informationsfreiheitsrecht von Schleswig-Holstein ist durch Kürze, Klarheit und Grundrechtsfreundlichkeit geprägt. Dieser Weg sollte nicht verlassen werden.

Im Berichtszeitraum wurden von der Landesregierung Gesetzesvorschläge gemacht, mit denen das Polizeirecht und die Informationsfreiheit neu geregelt werden sollen. So unterschiedlich die Regelungsmaterien sind, so Besorgnis erregend sind einige Gemeinsamkeiten.

Bisher zeichnet sich das Landesverwaltungsgesetz, das die Rechte und Pflichten der Polizei des Landes regelt, dadurch aus, dass es in einer für Bürger wie Polizisten verständlichen Sprache klar definierte Eingriffsbefugnisse festlegt, die sich an der Aufgabe, Gefahren abzuwehren, orientieren. Damit soll jetzt Schluss sein: Ein von der Landesregierung vorgelegter Entwurf ist in vieler Hinsicht zu weitgehend. Er öffnet die Tür für Grundrechtseingriffe, die aus fachlicher Sicht nicht notwendig sind. Er überschreitet zudem sprachlich und systematisch bisherige Grenzen: Durch neue unbestimmte Rechtsbegriffe, wortreiche Umschreibungen und Verweisungen verliert der Gesetzestext an Praktikabilität. Damit ist niemandem gedient (Tz. 4.2.1).

Die gleiche Problematik eröffnet sich nun mit der Überarbeitung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Dieses hat sich in den sechs Jahren seiner Geltung bewährt. Nachdem nun die Notwendigkeit entstanden ist, auf Landesebene das Umweltinformationsrecht zu regeln, hätte es nahe gelegen, die positiven Erfahrungen mit dem IFG hierauf zu erweitern und ein einheitliches schlankes Gesetz zu schaffen. Das federführende Innenministerium will den umgekehrten Weg gehen: Zwar hat es den Einblick in Umweltinformationen und in allgemeine Verwaltungsinformationen in einen Gesetzentwurf mit einer Überschrift aufgenommen, doch nutzte es nicht die Chance, beide Regelungsbereiche inhaltlich zusammenzuführen. Nicht nur, dass dadurch zwei Gesetze einfach zusammengepackt und dadurch unübersichtlich werden – die Gelegenheit der Gesetzesnovellierung wurde genutzt, um die informationsfreundlichen Regelungen des allgemeinen IFG zurückzuschrauben und den Zugang zu Verwaltungsinformationen mit zusätzlichen bürokratischen Hürden zu versehen. Vorstellungen des Innenministeriums, die sich weder bei dem Erlass des ersten IFG noch über Gerichtsurteile verwirklichen ließen, sollen nun – sozusagen durch die Hintertür – verbindlich vorgegeben werden (Tz. 12.1).

Was ist zu tun?

Bei der Gesetzgebung im Bereich des Informationsrechtes sollten die schleswig-holsteinischen Tugenden nicht aufgegeben werden: Kürze, Klarheit und Grundrechtsfreundlichkeit.

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