16. Tätigkeitsbericht (1994)



5.

Datenschutz bei den Gerichten

5.1

Prozeßkostenhilfe hätte teuer werden können

Daten, die Bürger freiwillig im Rahmen der Beantragung von Prozeßkostenhilfe machen, dürfen nicht zur Vollstreckung staatlicher Forderungen gegen sie zweckentfremdet werden.

Nichts auf dieser Welt ist umsonst - schon gar nicht das Führen von Prozessen. Damit aber auch weniger finanzstarke Bürger ihr Recht bekommen, können sie bei Gericht Prozeßkostenhilfe beantragen. Dazu sind genaue Angaben über persönliche und finanzielle Verhältnisse erforderlich, aufgrund derer dann entschieden wird.

Informationen über die wirtschaftliche Situation eines Betroffenen sind jedoch auch für andere Behörden interessant, besonders, wenn es ihre Aufgabe ist, Geld einzutreiben. Vor diesem Hintergrund verlangte eine Landesbezirkskasse vom Arbeitsgericht in Lübeck die Übersendung von Prozeßkostenhilfeunterlagen, um daraus Erkenntnisse für die Vollstreckung anderer Forderungen zu ziehen.

Eine solche Auswertung hätte zur Folge gehabt, daß die Angaben zur Erlangung einer staatlichen Unterstützung unerwartet und in völlig anderem Zusammenhang zum Nachteil des Betroffenen verwendet worden wären. Sind Daten jedoch zu einem bestimmten Zweck erhoben worden, so dürfen sie grundsätzlich auch nur dazu genutzt werden.

Im vorliegenden Fall kam noch hinzu, daß es sich um ein Antragsverfahren handelte, dessen Durchführung ausschließlich vom Willen des Betreffenden abhing und in dem er alle Informationen über sich freiwillig und nur für diesen einen bestimmten Zweck preisgab. Für solche Fälle sieht das Landesdatenschutzgesetz ausdrücklich vor, daß die Daten nicht gegen den Willen des Betroffenen zu anderen Zwecken verwandt werden dürfen.

Dementsprechend lehnte die Justiz nach Erörterung der Sachlage mit uns eine Herausgabe der Akten ab.

5.2

Wenn der Gutachter kommt ...

Zu weit gefaßte Gutachteraufträge durch Gerichte können leicht zu einer exzessiven Erhebung sensibler Daten führen. Der Gesetzgeber sollte Regelungen für die weitere Verwendung von Sachverständigengutachten in Gerichtsakten treffen.

Neben der Zeugenvernehmung ist das Sachverständigengutachten vor Gericht eines der am häufigsten genutzten Beweismittel. Wenn um Gesundheitszustand und körperliche Schäden vor Gericht gestritten wird, kommt einem medizinischen Gutachter zumeist prozeßentscheidende Bedeutung zu. Um hier nichts falsch zu machen, erteilen die Gerichte den Gutachtern gelegentlich sehr umfassend formulierte Aufträge. Nicht selten führt dies dazu, daß eine Fülle sehr intimer Lebensumstände in das Gutachten und damit in die Gerichtsakten Eingang findet, deren Zusammenhang mit dem Streitgegenstand sich dem unbefangenen Beobachter auch bei näherem Hinsehen nicht erschließt.

So führte ein Petent Klage darüber, daß er bei einem Streit über seine Gehfähigkeit Testfragen zu seinem Denkvermögen und seiner geistigen Verfassung beantworten mußte. Der Gutachter befragte ihn weiter nach seinen Kinderwünschen und den Konsequenzen, die er aus einem eventuellen Verlust des Prozesses ziehen wollte. All diese Angaben sowie sämtliche im Vorgespräch erörterten Themen fanden sich dann später im Gutachten wieder. Über den Weg der Akteneinsicht erhielt davon auch die Gegenpartei Kenntnis.

Selbstverständlich entscheidet jeder Richter in Unabhängigkeit darüber, welche Beweise er in welchem Umfang für erforderlich hält, um den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Allerdings sollte auch über der alltäglichen Routine stets berücksichtigt werden, in welch außerordentlich hohem Maße die Intimsphäre eines Menschen ausgeleuchtet wird, wenn ihn ein medizinischer Sachverständiger begutachtet. Entsprechende Aufträge sollten deshalb sorgfältig formuliert und präzise auf die prozeßrelevanten Tatsachen beschränkt werden.

Zusammen mit anderen Datenschutzbeauftragten bemühen wir uns, den Gesetzgeber zu veranlassen, in die Prozeßordnungen Vorschriften aufzunehmen, die eine Datenerhebung durch Gutachter auf das dem Streitgegenstand entsprechend notwendige Maß beschränken.

Erforderlich sind auch Regelungen über die weitere Verwendung der in Gerichtsakten befindlichen Informationen nach Abschluß des Verfahrens. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die oben erwähnten Gutachten. Wer als Proband freiwillig mit Blick auf den Ausgang eines Verfahrens mitarbeitet und die Arbeit des Sachverständigen so erst ermöglicht oder wesentlich erleichtert, muß Gewißheit darüber haben, ob und wenn ja, in welchem Umfang die zur Verfügung gestellten Daten über den ursprünglichen Zweck hinaus auch nach Abschluß des Verfahrens weiter verwandt werden dürfen.


Zurück zum vorherigen Kapitel Zum Inhaltsverzeichnis Zum nächsten Kapitel