16. Tätigkeitsbericht (1994)



4.6

Sozialwesen

4.6.1

Intime Fragen an Sozialhilfeempfänger

Die Datenerhebung durch Sozial- und Wohngeldämter findet ihre Grenze in der Intimsphäre der Betroffenen.

"Antragsteller mit Schnüffelbogen abschrecken?" und "Wer sortiert die Wäsche in den Schrank?", so lauteten die Schlagzeilen von Berichten über den sogenannten Überprüfungsbogen "Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft/eheähnliche Gemeinschaft", den eine Stadtverwaltung durch Antragsteller ausfüllen ließ. Sie wollte damit herausfinden, ob eine Wohn-und Wirtschaftsgemeinschaft oder eine eheähnliche Gemeinschaft vorlag, mit der Folge, daß bei der Berechnung der Sozialhilfe auch das Einkommen gemeinsam zu kalkulieren war wie bei Ehepaaren.

So wollte die Stadt beispielsweise wissen, wer die Räume pflegt, wie die Lebensmittel eingekauft werden, wie die Lebensmittel aufbewahrt werden, wer die Wäsche bügelt und ob der Fernseher gemeinsam genutzt wird. Für uns waren die Presseberichte Anlaß, der Wohngeldstelle der betreffenden Stadt einen Prüfbesuch abzustatten. Die Durchsicht einschlägiger Vorgänge ergab, daß sich betroffene Bürger durch die Fragen erheblich in ihrer Intimsphäre verletzt fühlten. Einzelne Randbemerkungen an den Anträgen machten die ganze Erbitterung über diese staatliche Neugier deutlich.

So entspann sich zwischen Antragstellern und der zuständigen Behörde folgender "Dialog": Nachdem im Antrag eine getrennte Nutzung des Schlafzimmers angegeben worden war, wurden vom Sozialamt hierzu und zu weiteren Punkten ergänzende Nachfragen gestellt. Wunschgemäß führten die Betroffenen aus:

"Eine eheähnliche Beziehung besteht zwischen uns nicht; wir kennen uns erst seit ... und außer einem "guten Verstehen" besteht keine Beziehung. Eine Änderung unserer persönlichen Verhältnisse (Beziehung etc.) teilen wir Ihnen unverzüglich mit."

In der Folge kam es zu weiteren Meinungsverschiedenheiten zwischen Betroffenen und Sozialbehörde. Schließlich teilten die Antragsteller sarkastisch mit: "... Zu allerletzt etwas Positives für Sie: Seit gestern, sprich dem ..., haben wir ein enges, intimes Verhältnis."

Bereits im Laufe der Prüfung wurde erreicht, daß der kritisierte Fragebogen von der Stadtverwaltung aus dem Verkehr gezogen wurde. Dem schloß sich der Kreis an. Da es viele Wohngeldstellen gibt, wurde nachgefragt, wie in den Landkreisen in Schleswig-Holstein und in anderen Bundesländern verfahren wird. Die Rückläufe ergaben, daß bisher auch andere Landkreise und kreisfreien Städte ähnlich vorgegangen sind. Zwar wurden unterschiedliche Fragebogen verwandt und teilweise auch abgestufte Verfahren. Die kritischen Fragen, wie z.B. die nach dem gemeinsamen Schlafzimmer fanden sich jedoch stets wieder, zumindest in den Fällen, in denen anders eine Klärung nicht zu erreichen war.

Derart intime Fragen halten wir für unzumutbar. Sie sind auch nicht geeignet, da das Vorliegen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft oder eheähnlichen Gemeinschaft nicht davon abhängig ist, daß die betroffenen Bewohner der Wohnung das Bett miteinander teilen. Diese Auffassung bestätigt das Bundesverfassungsgericht, das in einer Entscheidung zur eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes dargelegt hat, daß die Annahme, es liege eine eheähnliche Gemeinschaft vor, nicht die Feststellung voraussetzte, daß zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen. Die Betroffenen haben nach dem Urteil insoweit Anspruch auf Respektierung ihrer Intimsphäre. Wir wollen deshalb darauf hinwirken, daß in Schleswig-Holstein auf Fragen dieser Art künftig verzichtet wird.

Verbesserungen sollten auch bezüglich der übrigen Fragen angestrebt werden. Wir haben angeregt, die Antragsteller darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber nach der geltenden Rechtslage vermutet, daß Personen, die gemeinsam eine Wohnung bewohnen, auch eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden und dies im Einzelfall vom Antragsteller zu widerlegen wäre. Anstelle des bisher üblichen obligatorischen Fragebogens haben wir empfohlen, dem Antragsteller im einzelnen aufzulisten, welches die maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung der Frage, ob eine eheähnliche Gemeinschaft beziehungsweise eine Wohn-und Wirtschaftsgemeinschaft vorliegt, sind. In diesem Zusammenhang haben wir den zuständigen Wohngeldstellen die Streichung einer Reihe von Kriterien nahegelegt, da sie nach unserer Auffassung nicht erforderlich und im Zweifelsfall auch kaum überprüfbar und damit auch nicht justitiabel sind. Es sind dies zum Beispiel die Fragen danach, wer bügelt oder die Wäsche wäscht.

4.6.2

Neugierige Fragen im Rahmen der Anerkennung der Vaterschaft

Der Umfang der Fragen der Jugendämter an junge Mütter im Zusammenhang mit der Ermittlung der Vaterschaft mußte erheblich eingeschränkt werden.

Eine junge Frau machte darauf aufmerksam, daß ein Kreisjugendamt in Zusammenhang mit der Ermittlung der Vaterschaft einen Fragebogen verwendete, der zahlreiche Fragen enthielt, deren rechtliche Zulässigkeit ihr fragwürdig erschien. So wurde z.B. wie folgt gefragt:

- Sind Sie gesund?

- Wissen die Eltern der Kindesmutter von der Geburt?

- Wie hoch ist das Einkommen Ihrer Eltern?

Außerdem enthielt der Fragebogen eine Schweigepflichtentbindungserklärung, in der es hieß: "Ich befreie hiermit den an der Geburt beteiligten Arzt und die Hebamme von ihrer Schweigepflicht."

Unsere Bemühungen ergaben, daß diese Klausel ersatzlos aus dem Formular gestrichen wurde. Auch der übrige Datenumfang des Fragebogens wurde deutlich reduziert. Wo erforderlich, wurde auf die Freiwilligkeit der Angaben ausdrücklich hingewiesen, z.B. bei der Frage nach dem religiösen Bekenntnis. Gestrichen wurden u.a. die Fragen nach dem Geburtsgewicht, der Länge, dem Kopfumfang sowie dem Gesundheitszustand des Kindes und der Mutter.

Die Mütter werden künftig auch nicht mehr nach ihrer Schulbildung und ihrem jetzigen Beruf befragt. Entfallen sind ferner die Fragen nach dem Beruf, dem Arbeitgeber, dem Einkommen und dem Vermögen der Großeltern. Es stellte sich nämlich heraus, daß die Angaben über die Großeltern erst dann erforderlich sind, wenn sie zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden sollen. Nur in diesen Einzelfällen sind die Jugendämter befugt, die entsprechenden Angaben zu verlangen. Der reduzierte Datenkatalog kommt im übrigen nicht nur den jungen Müttern zugute, sondern dürfte letztlich auch die Verwaltung entlasten, da die Verarbeitung überflüssiger Daten unnötig Verwaltungskapazität bindet.


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