3: Vorträge, Vorlesungen, Aufsätze
„Stop Watching Us – We are all Edward Snowden“
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
wir erleben derzeit eine einzigartige Auseinandersetzung zwischen Europa und den USA. Die USA haben in ihrer gesamten Geschichte – anders als wir hier in Deutschland – keine Diktaturen erlebt. Autoritäre und freiheitsfeindliche Tendenzen hat es dort aber immer gegeben. Davon zeugt auch der Spruch von Thomas Jefferson: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren." Seit den frühen 60er Jahren gibt es in den USA eine Bürgerrechtsbewegung, die sich gegen staatliche und private Überwachung engagiert. Anders als in Europa konnte sich diese Bürgerrechtsbewegung aber bis heute nicht durchsetzen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die staatliche Überwachung durch CIA, NSA, FBI und viele andere sog. Sicherheitsdienste wurde und ist – im eigenen Land wie auch global – die Rückversicherung der politischen Dominanz der US-Regierung. Und mit dem Aufkommen des Internet konnten sich weltweit US-Firmen die größten Teile des Weltmarktes sichern, indem sie die Internet-User unter Verletzung von Datenschutz und Privatsphäre zu gläsernen Kundinnen und Kunden machen.
Der Konflikt zwischen den USA und Europa wegen der Überwachung der Menschen ist also nicht nur ein kultureller und ein bürgerrechtlicher Konflikt, sondern es ist ein politischer und ein ökonomischer Konflikt. Und dieser Konflikt ist kein klassischer transatlantischer Konflikt, sondern ein Konflikt, der die US- und die europäische Gesellschaft jeweils spaltet. Auch in den USA gibt es Bürgerrechtsorganisationen, die erkannt haben, dass eine moderne demokratische Informationsgesellschaft nur durch die Gewährleistung von digitalen Grundrechten lebensfähig ist. Diese Freunde in den USA führen eine viel schwierigere Auseinandersetzung als wir hier – und wir danken ihnen dafür. Es gibt in den USA viele, die erkannt haben, dass die gesellschaftspolitischen Konfliktlinien von morgen nicht zwischen Europa und den USA verlaufen, sondern zwischen den westlichen demokratischen Länder einerseits und modernen autoritären Regimes von Schlage Chinas und Russlands andererseits. Das müsste die Botschaft der deutschen Bundesregierung an die US- Politik sein – ist es aber noch nicht.
Insofern ist es absurd, dass Edward Snowden in autoritären Staaten wie China und Russland Schutz suchen muss, weil er für ein bürgerrechtliches demokratisches Engagement von den USA politisch verfolgt wird, also durch einen Staat, der für sich den Anspruch hat, demokratische Transparenz, Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Es ist eines demokratischen Staates unwürdig, wenn er betonen muss, Todesstrafe und Folter kämen hier nicht zur Anwendung, so wie dies gestern US-Justizminister Holder getan hat. Dies ist eine Bankrotterklärung demokratischer Werte in der Welt. Diese Bankrotterklärung darf nicht das letzte Wort sein.
Und deshalb demonstrieren wir heute. Wir setzen ein Zeichen für informationelle Selbstbestimmung und Transparenz. Mit unserer Demonstration verlangen wir von der Bundespolitik ein Umsteuern beim Datenschutz in vieler Hinsicht: So muss die Bundesregierung nicht nur verbal, sondern auch tatsächlich ihre Blockade beim europäischen Datenschutz, also bei der Verabschiedung einer grundrechtsfreundlichen Datenschutz-Grundverordnung, aufgeben. Die Bundesregierung muss Grundrechtsverstöße in den USA als das benennen, was sie sind: Verletzung unserer demokratischen Werte. Vor wenigen Tagen haben alle deutschen Datenschutzbeauftragten die Kündigung des Safe-Harbor-Abkommens gefordert, das bisher die freie Datenbeschaffung durch Google und Facebook legitimierte, aber auch durch die NSA. Um den USA zu zeigen, dass wir es mit unserem Engagement ernst meinen, müssen wir Edward Snowden in Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung anbieten. Mit dem Wissen von Edward Snowden können wir den Schleier der Geheimhaltung von der Überwachung der Bevölkerung weiter aufreißen und damit eine wichtige Grundlage schaffen, dass diese Überwachung beendet wird.
Wir müssen Druck auf die Amazons, Googles, Facebooks und Apples ausüben, damit diese Unternehmen uns entweder das Recht auf Datenschutz zugestehen oder, wenn nicht, vom Markt verschwinden. Diesen Druck können wir durch unser eigenes Verhalten im Internet verstärken, indem wir datenschutzfreundliche Technologien nutzen, also Anonymisierungs- und Pseudonymisierungsdienste, Verschlüsselung, unterschiedliche digitale Identitäten, indem wir die Verantwortung für unsere Datenverarbeitung selbst übernehmen und nicht in die Cloud auslagern, indem wir einerseits im Internet gesellschaftliche Transparenz herstellen, andererseits aber zugleich private Datensparsamkeit praktizieren.
Der Kampf um eine demokratische und freiheitliche Informationsgesellschaft ist noch lange nicht verloren. Dieser Kampf hat gerade erst begonnen. Und wir müssen bereit sein, diese lange Auseinandersetzung zu führen.
Vielen Dank.