Mittwoch, 10. September 2003

Hinweise zur Verwendung standardisierter Anamnesefragebögen

Bei Ärztekammern und Datenschutzbehörden gehen immer wieder Beschwerden von Patienten ein, dass sie von Ärzten vor der Behandlung zum Ausfüllen umfangreicher Fragebögen mit oft sensiblen, ja intimen Fragen aufgefordert werden. In Einzelfällen verweigern gar Ärzte die Behandlung, wenn diese Anamnesebögen nicht ausgefüllt werden. Der vorliegende Beitrag behandelt die Frage, inwieweit solche Fragebögen aus Datenschutzsicht zulässig sind und was in der täglichen Praxis beachtet werden sollte.

Um den Patienten die angemessene Behandlung zukommen lassen zu können, sind für den Arzt oder den Zahnarzt vielfältige Informationen über den Patienten erforderlich. Dies können Angaben zur Person des Patienten wie etwa Alter, Größe, Gewicht, bestimmte Gewohnheiten wie Tabak- oder Alkoholkonsum oder auch die Frage nach der beruflichen Tätigkeit sein. Außerdem benötigt der Arzt häufig Angaben zum Gesundheitszustand des Patienten, etwa über Vorerkrankungen oder erfolgte Operationen. Diese Informationsgrundlage ist oft eine wichtige Basis für die Diagnose und eine effiziente und erfolgreiche Therapie.

Begibt sich ein Patient zum ersten Mal bei einem Arzt in Behandlung, wird dieser in der Regel eine Reihe von Fragen der oben beschriebenen Art stellen. Um dieses Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen haben viele Ärzte und Zahnärzte einen standardisierten Fragenkatalog, einen sog. Anamnesebogen, für ihre Praxis entwickelt, den sie Patienten bei ihrem ersten Besuch zum Ausfüllen geben. Mit Hilfe solcher Fragebögen sollen u.U. sämtliche in Betracht kommenden Fälle abgedeckt werden können. Dabei kann es häufig vorkommen, dass durch den Fragenkatalog Daten abgefragt werden, die im Einzelfall für den jeweiligen Patienten oder den Behandlungsanlass ohne Bedeutung sind.

Aus diesem Grund werfen solche Anamnesebögen datenschutzrechtliche Fragen auf. Gemäß § 28 Abs. 7 Bundesdatenschutzgesetz dürfen Ärzte Angaben über die Gesundheit des Patienten nur soweit erheben, wie dies zum Zweck der Gesundheitsvorsorge, der medizinischen Diagnostik, der Gesundheitsversorgung, der Behandlung oder der Verwaltung von Gesundheitsdiensten erforderlich ist. Bei der Frage, welche Angaben des Patienten der Arzt für notwendig hält, steht ihm allerdings ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Denn gerade zu Beginn einer Behandlung kann regelmäßig nicht exakt abgeschätzt werden, welche Angaben im weiteren Verlauf der Behandlung erforderlich werden. Der Arzt ist vielmehr zu einer vollständigen Anamnese verpflichtet (siehe dazu Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Auflage 1999, § 48 Rn 4), die eine umfassende, ganzheitliche Behandlung ermöglicht.

Mit der Pflicht des Arztes zu einer umfassenden Aufklärung der gesundheitlichen Umstände korrespondieren die Regelungen zum Patientengeheimnis. Das Patientengeheimnis – die ärztliche Schweigepflicht – ist die Grundlage für ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten. Der Patient soll sich vertrauensvoll auch mit sensiblen Informationen an seinen Arzt wenden können. Er soll umfassend Angaben machen können, ohne befürchten zu müssen, dass diese Angaben in die falschen Hände gelangen oder ihm später Nachteile bereiten könnten.

Ungeachtet dieses weiten Beurteilungsspielraums des Arztes ist der Patient natürlich nicht zu bestimmten (über die Abrechnungsdaten hinausgehenden) Angaben verpflichtet; er hat auch das Recht, bestimmte Angaben zu verweigern. Dieses Recht sollte einem Patienten durch den Arzt stets auch tatsächlich eingeräumt werden. Macht der Patient hiervon Gebrauch, so sollte er dies ausdrücklich tun, damit dem Arzt das Fehlen bestimmter Informationen bei der Behandlung bewusst ist. Hält der Arzt gleichwohl bestimmte Informationen für eine nach seinen Vorstellungen qualifizierte Behandlung für unerlässlich, so kann es dazu kommen, dass der Arzt die Behandlung ablehnt.

Für den Arzt besteht grds. keine Pflicht, einen Patienten zu behandeln. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 der Musterberufsordnung Ärzte (MBO-Ä) kann der Arzt die Behandlung ablehnen, insbesondere dann, wenn er der Überzeugung ist, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten nicht besteht. Seine Verpflichtung, in Notfällen zu helfen, bleibt jedoch bestehen. Ebenso können auch Vertragsärzte die Behandlung eines Patienten ablehnen. Hier gilt zwar nach § 95 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V die Pflicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, nach der der Vertragsarzt alle Kassenpatienten im Rahmen der gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften zu behandeln hat. Aus triftigen Gründen kann aber auch ein Vertragsarzt die Behandlung eines Kassenpatienten ablehnen. Ein triftiger Grund liegt vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht besteht (siehe hierzu Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 41 Rn 5). Das Vertrauensverhältnis kann aus Sicht des Arztes auch dann fehlen, wenn der Patient nicht bereit ist, vom Arzt verlangte Angaben zu machen, die dieser für den Behandlungserfolg als notwendig erachtet.

Bevor jedoch die Behandlung des Patienten abgelehnt wird, sollte der Arzt versuchen, in einem Gespräch die Notwendigkeit bestimmter Angaben zu erläutern und dem Patienten Gelegenheit geben, seine Verweigerung zu begründen.

Eingeschränkt ist die Freiheit des Arztes über die Durchführung der Behandlung in solchen Fällen, in denen der Patient bei einer Ablehnung der Behandlung ohne Hilfe bleiben würde (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 41 Rn 2). Es ist von Seiten des Arztes somit immer zu berücksichtigen, ob dem Patienten eine Behandlungsalternative durch einen anderen Arzt zur Verfügung steht und zugemutet werden kann. Ist dies nicht der Fall, so kann er die Behandlung nicht ablehnen.

Was folgt hieraus?

Ein Arzt hat das begründete Recht, Informationen von seinen Patienten zu fordern, um eine verantwortungsvolle Behandlung durchführen zu können. Die Verwendung von standardisierten Fragebögen kann die Datenerhebung vereinfachen. Es sollten jedoch folgende Punkte bei der Gestaltung von Fragebögen für eine Erstanamnese beachtet werden:

Patienten wollen die Fragen verstehen

Die Bereitschaft eines Patienten, eine Fragen zu beantworten, ist abhängig von seinem Verständnis für die Frage. Die Frage nach einer Medikamentenunverträglichkeit mag jedem Patienten einleuchten. Er wird sie schon in eigenem Interesse nach bestem Wissen und Gewissen beantworten. Nicht immer erschließt sich einem Patienten jedoch der Sinn einer Frage so schnell wie bei der Frage nach der Medikamentenunverträglichkeit. Transparenz und Offenheit helfen. Aus einer Vielzahl von Anfragen und Beschwerden wissen wir, dass die Bereitschaft zur Beantwortung einer Frage abnimmt, je weniger der Patient versteht, warum der Arzt nun gerade ihm diese Frage stellt. Die Antworten der Patienten werden unvollständig, Vorerkrankungen werden verschwiegen oder es kommt gar zu bewusst falschen Antworten. Die von Patient und Arzt gewünschte verantwortungsvolle Behandlung wird so schon in diesem frühen Stadium belastet.

Ein Fragebogen sollte daher stets mit einigen einleitenden Worten beginnen. Der Patient sollte auf die Erforderlichkeit der Erstanamnese hingewiesen werden. Einzelne Fragen, deren Sinn sich einem durchschnittlichen Patienten nicht beim ersten Lesen eröffnet, sollten gesondert erläutert werden.

Manchmal wollen Patienten Fragen zu den Fragen stellen

Es lässt sich nicht alles auf dem Fragebogen schriftlich erläutern. Patienten sollten daher die Möglichkeit erhalten, bei ihrem Arzt oder dem Praxispersonal nachzufragen. Viele Patienten trauen sich nicht zu fragen. Sie haben Angst, ihre Frage könnte als versteckte Kritik empfunden werden. Den Patienten sollte diese Angst genommen werden.

Patienten unterscheiden sich

Die Bedürfnisse von Patienten unterscheiden sich. Ist ein Fragebogen aber erst einmal entworfen und in großer Stückzahl gedruckt, so wird er für jeden Patienten verwendet. Fragen, die bei einem Patienten sinnvoll und wichtig sind, mögen bei einem anderen Patienten unerheblich sein. Patienten sollten die Möglichkeit erhalten, dem Arzt Besonderheiten mitzuteilen.

Patienten brauchen Zeit, um die Fragen zu beantworten

Patienten sollten nicht überfordert werden. Wer mit Schmerzen eine Praxis aufsucht und von der Arzthelferin aufgefordert wird, schnell im Wartezimmer den Fragebogen auszufüllen, wird womöglich wichtige Angaben vergessen. Einige Ärzte sind dazu übergegangen, den Patienten den Fragebogen vor dem eigentlichen Termin zuzusenden, damit diese den Fragebogen in Ruhe zu Hause ausfüllen können.

Manchmal wollen Patienten eine Kopie des Fragebogens

Aus mangelndem Verständnis kann Misstrauen erwachsen. Misstrauen, welches das Behandlungsverhältnis belastet. Transparenz und Offenheit können hier entgegenwirken. Es kann daher hilfreich sein, dem Patienten eine Kopie dieses Fragebogens auszuhändigen. Positiver Nebeneffekt: Der Patient erhält die Möglichkeit, Informationen „nachzuliefern“.